Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte macht die syrische Luftwaffe für den mutmaßlichen Giftgasangriff verantwortlich. Foto: AFP

Angaben von Aktivisten zufolge sind im Nordwesten Syriens zahlreiche Menschen bei einem Giftgasangriff gestorben. Das Krankenhaus, in dem Überlebende behandelt wurden, geriet unter Raketenbeschuss.

Damaskus - Beim einem der schwersten Angriffe mit Giftgas im syrischen Bürgerkrieg sind Aktivisten zufolge mindestens 58 Menschen getötet worden, darunter elf Kinder. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Dienstag aus der von Rebellen kontrollierten Stadt Chan Scheichun im Nordwesten des Landes zudem Dutzende Verletzte. Die Rettungshelfer der Organisation Weißhelme berichteten sogar von 240 Verletzten.

Flugzeuge hätten am Morgen mehrere Angriffe geflogen, erklärten die Menschenrechtsbeobachter. Menschen seien in Ohnmacht gefallen, hätten sich erbrochen und Schaum vor dem Mund gehabt. Der Zustand vieler Verletzter sei ernst. Bilder im Internet zeigten zahlreiche Leichen und Opfer, die mit Sauerstoff behandelt wurden. Der Arzt einer Klinik berichtete, es habe einen schweren Giftgasangriff gegeben.

Aktivisten machten für die Bombardierung Jets der syrischen Luftwaffe verantwortlich. Diese wies den Vorwurf zurück. Ein syrischer General, der ungenannt bleiben wollte, erklärte, die syrische Armee habe in Chan Scheichun kein Giftgas eingesetzt. Syriens Opposition rief den UN-Sicherheitsrat zu einer Ermittlung auf.

Später am Tag hätten Jets Chan Scheichun erneut angegriffen und dabei das Gebiet um einen medizinischen Versorgungspunkt bombardiert, meldeten die Menschenrechtsbeobachter. Andere Aktivisten erklärten, eine Klinik sei getroffen worden. Die Menschenrechtler sitzen in England, stützen sich aber auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien. Ihren Angaben haben sich als zuverlässig erwiesen.

„Die schrecklichen Bilder müssen jeden Menschen erschüttern“

Chan Scheichun liegt im Süden der Provinz Idlib, die von unterschiedlichen Rebellengruppen kontrolliert wird. Eigentlich gilt in dem Bürgerkriegsland seit Ende des vergangenen Jahres eine von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Diese ist jedoch brüchig. Ausgenommen von der Waffenruhe sind die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Al-Kaida-nahe Organisation Tahrir al-Scham. Diese ist besonders in der Provinz Idlib stark.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte in einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin, „diese Art unmenschlicher Angriffe“ sei „inakzeptabel“, wie die türkische Nachrichtenagentur DHA meldete.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu schrieb über Twitter: „Die schrecklichen Bilder aus Syrien müssen jeden Menschen erschüttern.“ Israel rufe die internationale Gemeinschaft dazu auf, „entsprechend der Zusage von 2013 alle Chemiewaffen aus Syrien zu entfernen“. Israelische Experten für Massenvernichtungswaffen vermuten, dass bei dem jüngsten Angriff das Nervengas Sarin eingesetzt wurde.

UN-Ermittler hatten Syriens Regierung im März vorgeworfen, in den vergangenen Monaten im Kampf um die Stadt Aleppo und andernorts Chlorgas eingesetzt zu haben. Ein Bericht der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrates sprach von mindestens fünf Chlorgas-Angriffen regierungstreuer Kräfte seit Anfang dieses Jahres.

Bereits 2013 waren östlich der Hauptstadt Damaskus bei Angriffen mit Giftgas rund 1400 Menschen getötet worden. Die Opposition und der Westen machten dafür Syriens Regierung verantwortlich. Diese stimmte danach zu, alle Giftgasvorräte zu vernichten. Chlor fiel jedoch nicht unter das Verbot, weil es für zivile Zwecken benötigt wird. Im vergangenen Dezember starben einer Hilfsorganisation zufolge in der Provinz Hama bei einem Giftgasangriff 93 Zivilisten.