Louis Stiens stellt sich als Junge vor, der marschieren soll, aber lieber tanzen will. „The Boy“ heißt das Solo, das als Uraufführung zu erleben war Foto: Stuttgarter Ballett

Tänzer des Balletts und der John-Cranko-Schule bescherten zum 34. Mal dem begeisterten Publikum im ausverkauften Opernhaus eine Matinee. Der Erlös kommt der Aktion Weihnachten zugute.

Stuttgart - Grau in grau zeigte sich der Himmel am zweiten Adventssonntag, so dass die Besucher der vorweihnachtlichen Ballettmatinee des Stuttgarter Balletts und der John-Cranko-Schule nicht schnell genug in die Wärme des Opernhauses gelangen konnten. Die Tristesse vor der Türe war aber schnell vergessen, als die Tänzer mit ihrer Reise quer durch Europa begannen.

Mit warmen Worten des Dankes hatte zuvor Jörg Hamann, Lokalchef unserer Zeitung, besonders Marc-Oliver Hendricks, Geschäftsführender Intendant der Staatstheater, Reid Anderson, Intendant des Stuttgarter Balletts, und Tadeusz Matacz, Direktor der John-Cranko-Schule, bedacht: „Ihrem Wirken ist es zu verdanken, dass wir bei dieser Benefiz-Veranstaltung nunmehr im 34. Jahr Spitzentanz der Weltklasse bewundern können.“ Alle Mitwirkenden verzichteten an diesem Tag zugunsten der Aktion Weihnachten auf ihre Gage. Zum Dank erhielten die Tänzer Blumengebinde in weihnachtlichen Farben, gestiftet von den Württembergischen Gärtnern. Die Aktion Weihnachten unterstützt in diesem Jahr unter anderem eine neue Einrichtung des Rudolf-Sophien-Stifts für psychisch kranke Menschen.

Außerdem lobte Hamann die nachhaltige Arbeit der Cranko-Schule. Belohnt wird sie im Mai 2015 endlich mit dem Spatenstich für den Neubau: „Wir freuen uns, dass dieses kulturelle Kleinod nach langen Jahren der Planung und des zähen Ringens um die Finanzierung auch weiterhin in die Welt hinausstrahlen kann.“ Mit tosendem Applaus machten die Zuschauer deutlich, dass auch sie dem Projekt alles Gute wünschen.

Wie um die Vorschusslorbeeren zu rechtfertigen, legten sich die Schüler der Klassen zwei bis fünf und der Akademie nun richtig ins Zeug. Das Publikum konnte an den Aufführungen der unterschiedlichen Altersklassen erkennen, wie sich die jungen Talente an der Schule von Klasse zu Klasse weiterentwickeln.

Schon die Kleinsten überzeugten mit einer durch Leichtigkeit und Tanzfreude geprägten Finnischen Polka zur passenden Volksmusik. Nicht nur ihr fröhlicher Tanz, sondern auch die Mimik und Gestik der jungen Mädchen, die ihre Begleiter mit einer Handbewegung in Schach halten, entlockte den Zuschauern ein Lächeln. Als die Kleinsten schwer atmend, aber sichtlich stolz ihren Applaus entgegennahmen, flogen ihnen alle Sympathien zu.

Die Interpretation von „Die Spieluhr“, die die jungen Tänzer Runia Hanza und Paolo Terranova präsentierten, ließ das Publikum zwischen Lachen und Staunen schwanken. Mit ulkigen Bewegungen und wie aufgezogen ahmten die Tänzer zur Musik des Russen Anatolij Liadov in farbenfrohen Kostümen ein Uhrwerk nach, das mal mit kraftvollen Hampelmann-Sprüngen rast, dann wieder langsam tickt. Dabei bewiesen sie, dass die Tänzer der John-Cranko-Schule doch genau das Gegenteil von tanzenden Maschinen sind. Denn neben den perfekt sitzenden Schritten stellten die beiden auch ihr Talent für Schauspiel und Komik so gut unter Beweis, dass sie noch in der Spielpause für den meisten Gesprächsstoff unter den Zuschauern sorgten.

Das folgende Stück stand dagegen in krassem Kontrast zur lustigen Spieluhr. Dunkelheit umgab den ganz in Schwarz gekleideten Tänzer Riccardo Ferlito, der zu Beginn des Solos „Into your arms“ auf dem Boden lag. Mit den Armen umschlang er sich selbst, wand sich und stand plötzlich aufrecht. Unterstrichen von der Musik der amerikanischen Band Balmorhea wurde sein Tanz kraft- und hoffnungsvoll. Schließlich jedoch schien die Energie wieder aus seinem Körper zu weichen. Aller Kraft beraubt umschlangen seine Arme erneut den Körper, und die Zuschauer beobachteten gebannt, wie er in der Dunkelheit verschwand.

Mit leuchtend roten Kleidern und kraftvollem Stepptanz entführten die Tänzer der Akademie das Publikum nach Spanien. Sie bewiesen, dass sie für ihren ausdrucksstarken Tanz nicht einmal Musik benötigen, und gaben den Rhythmus einfach selbst an. Als die Kastagnetten in ihren Händen abwechselnd mit ihren Schuhsohlen auf den Boden knallten, schien die Sonne Spaniens plötzlich auch in Stuttgart zu scheinen.

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