Frisch repariert: Brünner Wappen auf der Stuttgarter Königstraße. Foto: Martin Haar

Mit Städtepartnerschaften ist das so eine Sache. Oft existieren sie nur auf dem Papier. Anders bei der Verbindung zwischen Stuttgart und dem tschechischen Brünn. Sie existiert seit 30 Jahren. Und scheint vitaler denn je.

Brünn/Stuttgart - Jacob Martinez sitzt bei sommerlichen Temperaturen mit seinen Klassenkameraden vom Königin-Katharina-Stift-Gymnasium, Dennis Shakirov und Maxim Morasch, am Rande des Zelný trh (Krautmarkt) in Brünn – einem beliebten Platz in Brünn. Ähnlich aufgekratzt wie mancher Markthändler, der lautstark seine Ware anpreist, ist auch der 17-jährige Jacob, wenn er seine Eindrücke schildert: „So schön hätte ich mir die Stadt nicht vorgestellt. Hier muss man sich wahrlich nicht schämen, Tourist zu sein“, sagt er und spielt damit auf überlaufene Städte wie beispielsweise Prag an. „Auch das Nachtleben ist cool.“ Die Kumpels nicken und loben zudem die Gastfreundschaft der Brünner und deren Aufgeschlossenheit gegenüber Fremden sowie die günstigen Preise in der mit 380 000 Einwohner zweitgrößten Stadt Tschechiens. Die Jugendlichen sind sich sicher: „Wir kommen wieder.“ Tatsächlich gilt Brünn immer noch als Geheimtipp. 1243 gegründet, ist die Stadt reich an (Architektur-)Geschichte und präsentiert sich zugleich jung und aufgeschlossen. Das weiß auch Christoph Wagner, Musiklehrer am Königin-Katharina-Stift-Gymnasium, zu schätzen. „In Brünn gibt’s eine Menge zu entdecken. Die Stadt hat ein besonderes Flair.“ Er pflegt schon länger den Kontakt zur Partnerschule und seinem tschechischen Kollegen. Trotz 680 Kilometer Entfernung haben sich Freundschaften entwickelt.

Kuhn ist mit Gemeinde- und Jugendräten angereist

Insgesamt 16 Schulen beider Städte stehen miteinander in Kontakt. Passend zum 30-Jahr-Jubiläum darf Wagner mit seinen Schülern ein Konzert in Brünns guter Stube, dem prachtvollen Versammlungssaal im Neuen Rathaus, geben. Edwards Elgers Stück „Pomp and Circumstance“ probten die 13 bis 18 Jahre alten Stuttgarter Schüler drei Monate lang.

Zu den Zuhörern gehört auch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn und eine Gruppe aus Gemeinde- und Jugendräten, Vertretern von Schulen, Literatur und Wissenschaft, die mit ihm angereist sind. Kuhn erinnert an die Anfänge der Städtepartnerschaft, die am 8. November 1989 besiegelt wurde. Brünn hatte der Verbindung bereits vor dem Mauerfall 1988 zugestimmt. Als „gelebtes Europa“ bezeichnet Kuhn die Verbindungen zwischen beiden Städten, die einige Parallelen aufweisen – etwa die Verbindungen zum Bauhaus. So besucht Kuhn denn auch die berühmte Villa Tugendhat, ein Klassiker dieses Architekturstils, die ebenso wie die Stuttgarter Weißenhofsiedlung zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.

Ein dunkles Kapitel deutsch-tschechischer Geschichte

Spannend für die Stuttgarter ist es außerdem, zu erfahren, wie Brünn, die Stadt der vielen Hochschulen und Universitäten, es hinbekommt, wissenschaftliches Potenzial in Arbeitsplätze zu transformieren. Nicht zuletzt durch die zahlreichen Start-ups hat sich Brünn den Ruf einer „Boomtown“ erarbeitet. „Da lässt sich nicht alles eins zu eins auf Stuttgart übertragen. Aber wir haben viel über Vernetzungstechnik erfahren, Brünn ist da sehr fix“, sagt Kuhn.

Bei seinem Brünn-Besuch wird das Stuttgarter Stadtoberhaupt aber auch mit einem dunklen Kapitel deutsch-tschechischer Geschichte konfrontiert. Traurige Bekanntheit hat der Brünner Todesmarsch erlangt. Nach Kriegsende, am 31. Mai 1945 , waren mehr als 20 000 deutschsprachige Brünner an die über 50 Kilometer entfernte österreichische Grenze getrieben worden, mindestens 2000 Menschen starben unterwegs. In Erinnerung daran gibt es alljährlich den sogenannten Versöhnungsmarsch. Vor Zeitzeugen und dem deutschen Botschafter in Tschechien, Christoph Israng, sowie der Brünner Oberbürgermeisterin Markéta Vanková führt Kuhn bei der Abschlussveranstaltung im Garten des Augustinerklosters aus: „So schlimm wie die Naziverbrechen waren, war auch diese Vertreibung nicht in Ordnung. Die Lehren daraus sind, dass wir die Demokratie stärken und für den Rechtsstaat kämpfen müssen.“

Kuhn: Politiker müssen gelegentlich fliegen

Stuttgart zeigt in Brünn ein freundliches Gesicht . Maultaschen und Wein vom Gut der Stadt Stuttgart werden in mehr als zehnstündiger LKW-Fahrt eigens angekarrt. So lange dauert für Kuhn und Gattin die Rückreise nicht. Sie nehmen den Flieger von Wien aus. Ein Widerspruch für einen Grünen-Politiker? „Wenn sie in der Politik in einer Spitzenfunktion sind, dann müssen sie gelegentlich fliegen. Ich habe das Auto abgeschafft, mache Carsharing. Wir kaufen im Biomarkt ein und essen ganz wenig Fleisch. Meine Botschaft ist: Jeder muss den Weg finden, wie er richtig ordentliche Beiträge zum Klimaschutz leisten kann. Ich bin kein Hundertprozentiger, aber ich mache viel“, betont Kuhn. „Seit 40 Jahren trete ich für den Klimaschutz ein – und darauf bin ich stolz.“