Charles Urban – mit Ente und Fernsehturm – ist Stuttgart fest verbunden. Foto: Oliver Willikonsky - Lichtgut

Derzeit finden in Stuttgart auf mehreren Bühnen Theateraufführungen der kurzen Art statt: Zwölf Stücke an einem Abend

StuttgartDerzeit finden in Stuttgart auf mehreren Bühnen Theateraufführungen der kurzen Art statt: Zwölf Stücke an einem Abend -

Herr Urban, vor 30 Jahren sind Sie nach Stuttgart gezogen und haben das New English American Theater gegründet. Was machen Sie in diesem Jubiläumsjahr?

Dazu bieten wir vor allem dem Publikum etwas Neues: das One Page Play Festival. Die Premiere ist gleich an diesem Montag, dem 1. April, im Merlin um 20 Uhr. Da werden nur Theaterstücke gespielt, deren Texte auf maximal eine DIN-A4-Seite passen. Wir haben Autoren in Stuttgart aufgefordert, die auf Englisch schreiben, etwa die Writers In Stuttgart. Da kamen mehr als 50 Zusendungen, 12 davon sind zu sehen. Bis zum 9. Mai werden die an fünf weiteren Terminen im Theater am Olgaeck und im Dreigroschentheater aufgeführt. Zum Abschluss stimmt das Publikum über das beste Stück ab.

Das werden sicher kurzweilige Abende: 12 verschiedene Stücke hintereinander.

Ja, die Stücke dauern zwischen fünf und acht Minuten. Und die Umbauten sollen möglichst fließend geschehen, wie früher im Zirkus, als im laufenden Betrieb die Raubtierkäfige auf- oder abgebaut wurden. Das Publikum soll daran seinen Spaß haben. Für meinen Geschmack werden auf Stuttgarts Bühnen eh zu wenig Einakter gespielt.

Und die Neat-Schauspieler, werden die auch geehrt in diesem Jubiläumsjahr?

Wir sind jetzt wieder zu dem europäischen Festival der anglofonen Theater in Europa eingeladen, dem Feats, das in diesem Jahr zwischen dem 30. Mai und 2. Juni in München stattfindet. Das ist eine große Ehre für uns. Um diese Teilnahme kämpfen mehr als 40 Einrichtungen, von denen dann 12 ausgewählt werden. Die machen wie wir englischsprachiges Theater, aber zum Teil unter ganz anderen Voraussetzungen. Diese Theater in Frankfurt, Hamburg oder Den Haag etwa blicken auf eine 100-jährige Geschichte zurück, haben eigene große Häuser und viele Schauspieler, wir haben weder eine eigene Bühne noch ein eigenes Haus. Dennoch bekommen wir bei unseren Teilnahmen eigentlich immer Preise oder Nominierungen: Einen Sonderpreis für unsere Choreografin Sera Babakus etwa, Felice Becker wurde beste Schauspielerin. Vor zwei Jahren wurden wir zweimal nominiert.

Und mit welchem Stück gehen Sie bei dem Europa-Treffen ins Rennen?

Das ist „Graceland“ von Ellen Byron. Anlässlich der Eröffnung der Elvis-Presley-Gedächtnisstätte wollen zwei Frauen unbedingt die jeweils Erste sein, die über die Schwelle dieses Hauses tritt.

Elvis lebt also noch?

Auf jeden Fall. Und er hat seine Riesenfreude daran, was all die Nachahmer in seinem Namen und in seinen Gewändern so alles treiben. Deshalb bleibt der wahre Elvis auch ganz ruhig irgendwo im Hintergrund. Auch die beiden Frauen hier werden Elvis-Songs singen. Das wird ein großer Spaß. Die Stuttgarter können sich das zuvor anschauen am 15. und am 22. Mai im Theater am Olgaeck.

Welche Wünsche haben Sie zum Jubiläum?

Ein eigenes Haus wäre schon eine feine Sache. Wir haben ja inzwischen so ziemlich jede Theaterbühne in der Stadt bespielt, angefangen im Wangener Theaterhaus über das Kulturwerk Naost, die Tri-Bühne, die Rampe, das kommunale Kontakttheater in Bad Cannstatt, das Theater am Olgaeck oder das Dreigroschentheater beim Marienplatz und viele andere. Das Ensemble hat sich in den letzten drei Jahren von 30 auf 60 Akteure verdoppelt, und die Nachfrage hält weiter an. Die Vorführungen sind immer sehr gut besucht. Allein unsere „Dark Monday“-Reihe im Merlin hat nach mehr als 60 Vorstellungen ein Stammpublikum von 80 Zuschauern. Jeden ersten Montag im Monat präsentieren wir da Musik, szenische Lesungen, Live-Hörspiele und vieles andere. Aber ein eigenes Haus hier in der Stadt ist heute wohl nicht mehr realistisch. Dafür habe ich die Freiheit, mehr das zu inszenieren, was mich besonders interessiert. Aber mal selbst so ein Europa-Treffen der anglofonen Theater organisieren hier in Stuttgart, das wäre schon ganz toll.

Wie funktioniert denn das Neat-Theater?

Anfangs waren es vor allem Amerikaner und Briten, die hier ihre Heimatsprache pflegten, also die „native speakers“. Das war auch zunächst mein Ansatz. Beruflich und privat war ich voll in Stuttgart eingebunden. Heute machen im Neat Menschen aus den verschiedensten Nationen mit, die aber schon ganz gut Englisch oder Amerikanisch können sollten. Aus beruflichen Gründen sind sie meist für zwei oder drei Jahre hier in Stuttgart, bringen ihre Lust und Leidenschaft für das Theater mit und wollen dies auf der Bühne zeigen. Und seit 2005 kümmere ich mich ausschließlich um das Neat. Das ist heute ein Vollzeitjob. Und was eingespielt wird, kommt ausschließlich dem Theater zugute. Inzwischen bekommen wir auch immer wieder Anfragen für Sprecherrollen oder von Filmproduktionen, etwa von „Soko Stuttgart“ oder „Doktor Klein“. An der Ludwigsburger Filmakademie und in deren Umfeld wird viel Internationales produziert.

Schildern Sie doch mal, wer da so alles kommt als Schauspieler und wie Sie dies dann theatralisch umsetzen.

Sera Babakus hat uns im Steptanz unterrichtet. So haben sechs Leute gesteppt in „Death“ von Woody Allen. Denise Woodmansee hat in der Stuttgarter Musicalproduktion „Miss Saigon“ mitgewirkt. Mit ihr als Judy Garland haben wir den „Zauberer von Oz“ aufgeführt mit dem Song „Over the Rainbow“. Heute kommen viele Interessierte aus Indien, Ägypten, Palästina oder Syrien. Die sprechen dann schon meist mit Akzent. Aber das ist ideal etwa für eine der Tiergeschichten von Rudyard Kipling. Ein Elefant mit Akzent – das passt doch besser zusammen als einer, der Oxford-Englisch spricht. Jetzt haben wir einen Sitar-Musiker. Er spielt in unserer Bob-Dylan-Geschichte „Tolling Thunder Revue“ mit, ein Abend mit bis zu 15 Musikern auf der Bühne, als Nächstes am 6. Mai und am 20. Juni in Stuttgart.

Dann wird dieses Bob-Dylan-Konzert wahrscheinlich abwechslungsreicher als der Auftritt von Dylan selbst am 10. Juli hier auf dem Schlossplatz im Rahmen der Jazz Open.

Ich war der Erste, der sich hier ein Ticket für den Auftritt von Dylan besorgt hat. Mich kann er nicht enttäuschen, komme, was wolle.

Welche Aufführungen schätzt denn das Publikum besonders am Neat-Theater?

Das hängt immer etwas davon ab, wo wir gerade was spielen können. Jetzt im März war „A Raisin in the Sun“ ein Renner im Theater am Olgaeck. Da hätten wir noch fünf weitere Vorstellungen ansetzen können. Immer sehr gut laufen „Animal Farm“ oder Texte von Mark Twain. Und dann gibt es eben seit Jahren gut besuchte Traditionsabende wie den irischen Abend „Celtic cultural Evening“ seit 17 Jahren im März. Oder das britische „Christmas Panto“, ein britischer Weihnachtsabend im Slapstick-Format mit tagesaktuellen Bezügen, mittlerweile an allen Adventssonntagen aufgeführt.