Verringert das Müllaufkommen nicht, verbrennt den Abfall nur: Blick in das Böblinger Restmüllheizkraftwerk. Foto: factum/Archiv/Jürgen Bach

Die Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept: Vermeiden statt verbrennen“ ist mit ihren Forderungen so aktuell wie vor 30 Jahren – obwohl ihr ursprüngliches Ziel eigentlich erreicht wurde. Deshalb können die Mitglieder auch nicht aufhören.

Sindelfingen - Manchmal regt sich Andreas Ruoff darüber auf, dass 30 Jahre vergeudet wurden. „Unsere Forderungen sind leider noch sehr drängend“, sagt der Vorsitzende der Bürgerinitiative „Das bessere Müllkonzept: Vermeiden statt verbrennen“. Dabei ist der Verein im Frühjahr 1990 gegründet worden, um den Bau einer Sondermüllverbrennungsanlage beim Herrenberger Stadtteil Gültstein zu verhindern – und hat sein Ziel in kurzer Zeit erreicht. Aber den Mitgliedern ging es von Anfang an um mehr als das Sankt-Florians-Prinzip, und jetzt hat das Thema die Gesellschaft wieder eingeholt. „Unsere Bürgerinitiative ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt durchzuhalten“, sagt die Co-Vorsitzende Maya Wulz. „Die Probleme verschwinden nicht.“

Schon 1991 den Unverpackt-Trend beworben

Mit einer Stofftasche über der Schulter posiert die 66-Jährige fürs Foto, Vorstandskollegin Irene Nestmann schnappt sich einen Minimülleimer. Andreas Ruoff hat die Aufbewahrungsboxen dabei, in die er sich beim Metzger zum Beispiel den Aufschnitt oder das Fleisch verpacken lässt. Schon 1991 hat der Verein einen Einkaufsführer mit dem umständlichen Titel „Hier erhalten Sie Waren offen und vermeiden Verpackungsmüll“ herausgebracht. Heute heißt der Trend unkompliziert „unverpackt“ und sogar Supermarktketten versuchen, darauf aufzuspringen. „Ich würde gerne sagen können, dass wir die große Welle zur Müllvermeidung ausgelöst haben“, erklärt Andreas Ruoff zum 30-jährigen Vereinsbestehen. Aber das Abfallproblem sei nur größer geworden, wie man an den vermüllten Meeren sehen könne.

Die messbaren Erfolge liegen in der Vergangenheit. Nach der Sondermüllverbrennungsanlage in Gültstein verhinderten Proteste das gleiche Projekt 1994 an einem Standort bei Böblingen und Sindelfingen. Das vom Landkreis forcierte und vor 20 Jahren eröffnete Restmüllheizkraftwerk konnte die Graswurzelbewegung dann nicht stoppen – obwohl dagegen mehr als 100 000 Bürger demonstrierten. „So viele Leute waren in Böblingen seit dem Bauernkrieg nicht auf der Straße“, sagt Maya Wulz. Immerhin sei es auf Druck der Bürgerinitiative nur halb so groß wie geplant gebaut worden. Und dass sich der Gelbe Sack im Kreis nicht breitmachen konnte, verbucht sie auch auf dem Konto der Initiative: Plastik, Metall und Papier müssen die Einwohner sortenrein an den Wertstoffhöfen abgeben.

Das Abfallaufkommen ist gleich hoch geblieben

Das Abfallaufkommen hat sich allerdings nicht groß verändert: In den vergangenen 15 Jahren liegt es in Deutschland unverändert bei rund 450 Kilogramm pro Kopf. „Dass das Müllthema in Vergessenheit geraten ist, war der Erfolg der Verbrennungsanlagen“, sagt Andreas Ruoff. Weil die Deponien als sichtbares Symbol einer auf Konsum ausgerichteten Lebensweise nicht mehr in die Höhe wuchsen. Außerdem benötigten Anlagen wie das Restmüllheizkraftwerk eine bestimmte Menge, um sie wirtschaftlich zu betreiben. Nach Böblingen werde deshalb Müll aus Nachbarkreisen importiert, kritisiert der 70-Jährige. Dass kleine Mülleimer überall durch große Tonnen ersetzt wurden, würde die Menschen ebenfalls nicht zur Abfallvermeidung animieren. Auch der Gelbe Sack sei eine Augenwischerei.

Und sowenig wie das Müllproblem gelöst wurde, so wenig konnte sich die Bürgerinitiative auflösen, obwohl ihr Gründungszweck hinfällig geworden war. Getreu dem Namen wurden Lösungsansätze entwickelt. Einige Mitglieder übernahmen politische Verantwortung – vom Gemeinderat bis in den Landtag. Werbekampagnen für Mehrweg und fürs Müllvermeiden wurden organisiert. Mittlerweile ist von dem Engagement vor allem die Warentauschbörse in Herrenberg geblieben, die seit 1992 ununterbrochen zweimal im Jahr organisiert wird. Bis zu 700 Besucher kommen zu der Veranstaltung, bei der tatsächlich kein Geld fließt. „Das macht alle glücklich“, sagt Maya Wulz. „Die einen werden ihren Schrott los und die anderen finden Schätze.“ Die Webseiten werden aktualisiert, etwa mit Müllvermeidungstipps. Mit dem Abfallwirtschaftsbetrieb will der Verein im Gespräch bleiben und fordert mehr Abfallberater und mehr Werbung für die Müllvermeidung.

Noch 300 Mitglieder sind dabei

Rund 2000 Mitglieder hatte die Bürgerinitiative in jungen Jahren, davon sind noch 300 geblieben. „Unser Schwund passiert nur durch Tod oder Wegzug“, sagt Andreas Ruoff. Vor 30 Jahren hätten sie alle Kinder gehabt und sich deshalb für den Umweltschutz eingesetzt. Jetzt hätten sie alle Enkel und könnten nicht aufhören: „Der Müll schafft zu viele Probleme“, erklärt er. Seine Hoffnung ist es, dass mit der Fridays-for-Future-Bewegung die junge Generation übernimmt. „Eigentlich müssten wir wieder anfangen“, scherzt Maya Wulz, weil „unverpackt“ gerade der Renner sei. Im Umweltschutz sei ein „unheimlich langer Atem“ notwendig, ergänzt sie. Der Atomausstieg habe schließlich auch Jahrzehnte gedauert.