Das Essen in der Stadtkirche bringt die unterschiedlichsten Menschen aus der Stadt an einen Tisch. Foto: /HorstRudel

Vor 25 Jahren organisierte das Haus Linde eine der ersten Vesperkirchen im Land. Damals war das ein Wagnis, heute gilt die Veranstaltung als Selbstverständlichkeit. Aber wie ist es sonst um die Hilfen für Arme bestellt?

Göppingen - Das hätte vor 25 Jahren keiner zu hoffen gewagt: Die Vesperkirche in der Stadtkirche ist seit vielen Jahren für viele Göppinger ein fester Termin im Kalender. Auch in diesem Jahr begegnen sich vom 6. Januar an bis zum 16. Februar täglich Menschen aus völlig unterschiedlichen Welten beim gemeinsamen Mittagessen. Immer wieder kommen dort Gespräche zwischen Arm und Reich zustande, die es sonst nie geben würde. Allein im vergangenen Jahr wurden 7700 Essen ausgegeben.

Dabei hat die Vesperkirche sehr bescheiden mit einem Biertisch samt Bierbank und 20 Essen für Obdachlose angefangen – skeptisch beäugt von den Mitgliedern des damaligen Kirchengemeinderates, die große Zweifel hatten, ob es sich gehört, in einer Kirche zu essen statt zu beten. Denn damals waren Vesperkirchen etwas völlig Neues. Der ehemalige Leiter des Haus Linde, Karl-Heinz Thormann, hatte sich die Idee aus Stuttgart abgeschaut, wo kurze Zeit vorher die erste Vesperkirche im Land eröffnet hatte.

Baumung: „Zu Beginn war das eine reine Armenspeisung“

„In den ersten Jahren haben wir die Essen selbst gekocht und dann in die Kirche gebracht“, erzählt der heutige Haus-Linde-Chef, Wolfgang Baumung. Der Verein kümmert sich seit 36 Jahren um Obdachlose und betreibt unter anderem ein Aufnahmehaus und eine Beratungsstelle. Soweit Baumung bekannt ist, waren die Göppinger die „zweiten oder dritten im Land mit einer Vesperkirche.“

„Zu Beginn war das eine reine Armenspeisung“, erzählt Baumung. Doch der Grundgedanke, das Haus Gottes aus christlicher Nächstenliebe zu einem Gasthaus zu machen, das offen für alle Schichten sei, habe sich schnell herumgesprochen. „Zuerst kamen unsere Obdachlosen, dann kamen andere Arme aus der Stadt. Darunter waren auch viele Rentner. Und irgendwann kamen dann auch Rentner zum Essen, die vielleicht nicht arm, aber einsam waren. Und so ging es weiter.“

Heute sind Menschen aus allen Schichten zu Gast

Heute sind Menschen aus allen Schichten in der Vesperkirche zu Gast. Alle seien gleichermaßen willkommen, sagt Baumung, „und natürlich dürfen die, die ein bisschen mehr besitzen, gerne auch etwas mehr spenden.“ Denn um die vielen kostenlosen Essen zu finanzieren, ist der Verein auf Spenden angewiesen. Der finanzielle Aufwand liegt trotz der vielen ehrenamtlichen Helfer, die jedes Jahr beim Kochen, Essen ausgeben und Abwaschen helfen, bei mehr als 55 000 Euro.

Weil die Göppinger Vesperkirche in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen feiert, bekommt sie am 12. Februar Besuch von der Landesmutter Gerlinde Kretschmann, die seit vielen Jahren Schirmherrin der Vesperkirchen in Baden-Württemberg ist. Die Frau des Ministerpräsidenten wird den Helfern dann zur Hand gehen und bei der Essensausgabe helfen.

Der Besuch der Landesmutter ist nicht der einzige aufregende Termin

Der Besuch der Politikergattin ist vermutlich der weniger aufregende unter den für Baumung anstehenden Terminen. Demnächst steht außerdem ein Treffen mit Vertretern der Stadt Göppingen und des Landkreises an. Bekanntlich will die Sozialbürgermeisterin Almut Cobet in der Stadt die Obdachlosenhilfe voran bringen und vor allem die Prävention ausbauen.

Bisher scheiterte dieses Vorhaben vor allem an unterschiedlichen Zuständigkeiten. Denn eigentlich ist der Landkreis für die Sozialhilfe zuständig und aus Sicht des Oberbürgermeisters Guido Till und der Mehrheit der Stadträte muss der Kreis handeln, nicht die Stadt.

Baumung hingegen hofft, dass es mit den Debatten über die Zuständigkeiten bald ein Ende hat und sich die Akteure auf das Helfen konzentrieren. Aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung fehlt dazu in Göppingen vor allem eines: eine Beratungsstelle, die Menschen hilft, bevor sie ihre Wohnung verlieren, etwa, wenn sich Mietschulden angehäuft haben.

Stadt Eislingen macht vor, wie Prävention aussehen kann

„Die Erfahrungen aus allen Landkreisen, in denen es solche Beratungsstellen gibt – Ludwigsburg zum Beispiel – zeigen, dass das der beste Weg ist, Obdachlosigkeit zu verhindern“, sagt Baumung. Tatsächlich hat auch die Sozialbürgermeisterin Cobet in der Vergangenheit mehrfach daraufhin gewiesen, dass die verschiedenen Behörden besser zusammenarbeiten müssten, um Menschen zu helfen, bevor sie ihr Zuhause verlieren.

Ob die Stadt- und Kreisräte künftig bereit sind, dafür Geld zu investieren, steht auf einem anderen Blatt. Bei den Etatberatung im Gemeinderat ist die Fraktion der Linken und der Piraten mit ihrem Antrag auf eine solche Beratungsstelle jedenfalls jüngst gescheitert, weil die Mehrheit der Stadträte dem Hinweis der Stadtverwaltung folgte, dafür sei der Kreis zuständig. Der Hinweis der „Lipi-Fraktion“, dass Studien zufolge jeder Euro, der in eine solche Beratungsstelle gesteckt werde, sechs Euro an Folgekosten spare – etwa weil weniger Obdachlose untergebracht werden müssten – verfing nicht. Obwohl die Stadt die Unterbringungskosten trägt. Die Stadt Eislingen hat aus diesem Grund bereits vor mehr als einem Jahr eine Beratungsstelle im Rathaus eingerichtet und so bereits Zwangsräumungen verhindert.