Im Eroscenter wartet hinter jeder Tür eine Prostituierte auf Kundschaft. Foto: factum/Weise

In einer Serie erzählen wir, wie die Ludwigsburger und ihre Gäste leben und arbeiten. Zwischen 22 und 23 Uhr sind im Tammerfeld: In einem Fast-Food-Restaurant steht ein ehemaliger DSDS-Kandidat an der Kasse, im Eroscenter arbeiten Damen aus aller Welt.

Ludwigsburg - Viel lieber würde der junge Mann ganz woanders stehen. Nicht hinter der Kasse dieses Fast-Food-Restaurants im Tammerfeld, in dem bevorzugt Hähnchen in den verschiedensten Varianten verkauft werden, zum Beispiel scharfe Schlegel. Am Strand unter Palmen wäre er gerne oder in einem Studio – jedenfalls vor einer Kamera. Der gebürtige Heilbronner ist 21 Jahre alt, er wohnt in Tamm und arbeitet seit ein paar Wochen in dem Schnellimbiss einer der großen Ketten in Ludwigsburg-Tammerfeld, auch an diesem Abend gegen 22 Uhr. Sein Traum war ein anderer. Er habe es bei „Deutschland sucht den Superstar“, kurz DSDS, bis in den sogenannten Recall geschafft, erzählt der Mann hinter dem Tresen, lächelt verlegen und verkauft einer Frau ein Menü. Wer im Recall ist, hat die erste große Hürde der RTL-Castingshow genommen.

Er habe bestimmt schon 60-mal bei den verschiedensten Castingshows vorgesungen, ein paar kürzere TV-Auftritte seien dabei rausgesprungen. „Aber das Berühmt-Werden klappt nicht“, sagt der Mann, der auch über sich selbst schmunzeln kann. Nun also steht der Jungspund regelmäßig in dem Restaurant, in dieser Nacht voraussichtlich bis 2 Uhr. Sein Berufswunsch habe sich der Realität angepasst, erklärt er sinngemäß. Er wolle sich eine Lehrstelle als Fachkraft für Lagerlogistik suchen.

Wer weiß, was die Nacht noch bringt

An diesem Abend ist in dem Fast-Food-Restaurant nicht viel los. Weniger als gewöhnlich um diese Zeit, sagen die Mitarbeiter. Warum auch immer. An einem Tisch am Fenster sitzen zwei junge Männer, 22 und 23 Jahre alt. Einer erzählt, dass er aus Oppenweiler kommt, sein Kumpel wohnt in Murr. „Wir wollten halt spontan was essen gehen“, erklärt er. Die beiden sind von Oppenweiler bis ins Tammerfeld gefahren, nur um sich in einem Schnellimbiss zu treffen? Zwischen den Orten liegen immerhin rund 30 Kilometer. Kein Problem, sagt der Mann aus Oppenweiler im Rems-Murr-Kreis, der offenbar gerne Auto fährt, und beißt in seinen Burger.

Zwei andere Kunden an einem der Nebentische hatten keine so weite Anreise. Sie wollen nach dem Essen mal wieder eine Samstagnacht-Tour unternehmen, dabei werden bestimmt auch ein paar Dutzend Autokilometer zusammenkommen. Eigentlich hätten sie in einer Kneipe im Tammerfeld Billard spielen wollen, aber alle Tische waren belegt. Nach dem Besuch im Schnellimbiss, sagt einer der beiden Männer Ende 40, Anfang 50, „schauen wir vielleicht kurz in der Lama-Bar in Bietigheim vorbei“. Geplant hätten sie aber nichts. Mal schauen, was die nächsten Stunden noch bringen. Gut möglich, dass die Nacht in der Rockfabrik in Ludwigsburg enden werde, sagt der eine. Vielleicht aber auch in Stuttgart, wer weiß.

Im Tammerfeld sind nachts ungezählte Menschen unterwegs. Im Gourmet Tempel heißt es „all you can eat“ und „all you can drink“. Drinnen wird getafelt, draußen stehen gegen 22.30 Uhr etwa zwei Dutzend Raucher, sie paffen und plaudern.

Sie verdient ihr Geld mit bis zu zehn Männern pro Nacht

Viele Männer fahren Abend für Abend ins Tammerfeld und biegen direkt in die Maybachstraße ein. Am Ende dieser Sackgasse arbeiten rund zwei Dutzend Damen aus aller Welt im Eroscenter. Auf dem Parkplatz stehen viele Autos mit Göppinger, Heilbronner und Karlsruher Kennzeichen. Am Eingang des Eroscenters heißt es auf einem Schild: Personen unter 18 haben keinen Zutritt. Das Etablissement ist täglich von 10 Uhr bis 4 Uhr geöffnet, freitags und samstags geht es sogar bis 5 Uhr in der Früh.

Eine der Damen, die auf Besuch warten, ist Gina, sie ist Mitte 20 und heißt eigentlich anders. Gina sitzt zusammen mit einer Kollegin in der Küche, die beiden Prostituierten machen eine kurze Pause, essen eine Kleinigkeit, trinken eine Brause. Gina erzählt, dass sie in der Nähe von Bielefeld in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen sei und seit gut einem Jahr im Eroscenter arbeite. Sie sei ganz zufrieden – mit dem angemieteten Zimmer, in dem sie arbeitet und wohnt, mit den Männern und Frauen, die das Laufhaus managen, mit der Stadt und überhaupt: mit ihrem Leben.

In dieser Nacht von Samstag auf Sonntag wird sie wohl mindestens bis 4 Uhr arbeiten. „Ich habe spät angefangen“, sagt Gina und lacht – erst um 15 Uhr sei sie aufgestanden. Das sei einer der Vorteile dieses Berufs, dass sie arbeiten könne, „wie ich Lust habe“. Gina verwendet wirklich das Wort Lust und erklärt auf Nachfrage, dass sie nicht verstehe, wie andere Frauen behaupten könnten, dass alle, die sich prostituierten, dazu gezwungen würden. Sie gehe dem Gewerbe freiwillig nach, erzähle ihren Eltern allerdings nicht, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiene – nämlich mit bis zu zehn Männern pro Nacht. Nur die engsten Freunde wüssten Bescheid.

Minimalpreis 30 Euro für eine Viertelstunde Sex

Im Eroscenter verdiene sie gutes Geld, wobei der Minimalpreis lediglich 30 Euro für eine Viertelstunde Sex betrage. Das hätten alle Frauen so abgesprochen, „aber jede von uns darf auch mehr verlangen“. Reich werde sie nicht, gut leben könne sie aber. Was bringt wohl die Zukunft? „Mal sehen was kommt“, sagt Gina. Es gebe Kolleginnen, die 40 Jahre oder sogar 50 Jahre alt seien. Sie verspüre keine Eile, etwas zu verändern, auch nicht räumlich. Gina hat schon in vielen Ecken Deutschlands in Laufhäusern gearbeitet. Sie will vorerst in Ludwigsburg bleiben.

Ein kurzer Rundgang durch das Haus, zusammen mit dem Mann, der sich selbst als Organisator bezeichnet. An den Türen zu den Zimmern hängen Fotos der Frauen in eindeutigen Posen. Wenn die Türen geschlossen seien, die LED-Lichter aber leuchteten, dann hätten die Damen gerade Kundschaft, erklärt der Organisator. Sind die Lichter aus, dann seien die Frauen außer Haus oder hätten Feierabend. Wobei man wegen der Arbeitszeiten wohl eher von Feiermorgen sprechen müsse.

Gegen 23 Uhr ist im Ludwigsburger Laufhaus richtig was los. Die Männer schleichen durch die Gänge, verhandeln mit den Damen, die in den Türrahmen stehen. Manche Herren gehen in eines der Zimmer, andere gehen weiter zur nächsten Tür. Gina hat erzählt, dass sie viele Stammkunden habe, dass manche nur zum Reden zu ihr kämen. Viele Männer erzählten vor oder nach dem Verkehr von ihren Problemen mit der Frau oder mit der Freundin. Wenn sie einen Kunden partout nicht riechen könne, was tatsächlich im Wortsinn mitunter vorkomme, weil der Mann schlicht stinke, dann sagt sie: „Sorry, ich habe gleich einen Termin.“

Gina zeigt viel nackte Haut

Der Organisator ist 38 Jahre alt. Er hat nach der Schule Zimmermann gelernt, rund zwölf Jahre lang als Begleiter von Geldtransporten gearbeitet. Seit zwei Jahren ist er beim Eroscenter fest angestellt und sehr zufrieden, „weil ich so viel Geld verdiene, wie mir versprochen worden ist, und weil ich nicht bei Wind und Wetter draußen arbeiten muss“. Der Mann mit dem breiten Kreuz und den dicken, tätowierten Oberarmen ist Ansprechpartner für die Frauen, er überwacht das Notrufsystem der Zimmer, das – Gott sei Dank – fast nie im Einsatz sei. Er pflegt die Homepage des Centers, bestellt die Wäsche, schließt die Türen des Laufhauses am Morgen ab.

Gina hat ihre Pause mittlerweile beendet. Jetzt trägt sie keinen Bademantel mehr, sondern nur noch einen Hauch von fast nichts. Die Blondine steht – zuckersüß lächelnd – in ihrer Tür und zeigt viel nackte Haut. Sie muss bestimmt nicht lange auf den nächsten Kunden warten.