Optimistischer Blick ins neue Jahr: ein Bäcker aus Freiburg im Breisgau präsentiert eine seiner Brezeln, die er für den Neujahrstag 2018 gebacken hat. Foto: dpa

Die Bundesrepublik steht am Ende dieses Jahres gut da. Auch ohne neue Regierung. Aber Zeit zur selbstzufriedenen Nabelschau bleibt keine, kommentiert StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart. - Mit dem Rückblick auf ein Jahr ist es so eine Sache: Mehr als 82 Millionen Einwohner in Deutschland bedeuten mehr als 82 Millionen Schicksale. Keine Bilanz kann sie fair auf einen Nenner bringen. Aber die politische Situation der Nation lässt sich seriös bewerten. Ebenso manche Voraussetzungen dafür, dass sich die Lage zumindest nicht verschlechtert.

Es war ein gutes Jahr

Da ist über 2017 zu sagen: Es war ein gutes Jahr. Aber auch eines, in dem sich die Gefährdungen vermehrt und verstärkt haben, denen die Errungenschaften und Erfolge dieses Landes ausgesetzt sind.

Die Wirtschaft wächst. Viele prall gefüllte öffentliche Kassen schaffen neue politische Gestaltungsspielräume. Zunächst den viel zu wenig genutzten, die Schuldenberge anzugehen, die schwer auf der künftigen Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern, Kommunen lasten. Und wenn auch die Vermögensunterschiede immer schneller wachsen, so bleibt doch die unterm Strich entscheidende Tatsache: Erfreulich viele Menschen haben Teil am Wohlstand.

Weit und breit kein Chaos

Selbst die seit September so unglücklich verlaufende Bildung einer neuen Bundesregierung bietet nur begrenzt Anlass zur Sorge. Sie kostet zwar wertvolle Zeit. Aber zugleich macht sie die grundsätzlich große Stabilität Deutschlands sichtbar. Es gibt nicht einmal die Ansätze eines politischen Chaos. Am Rande sei auch positiv vermerkt: Für die AfD wie die Linke als systemkritische Parteien sind die Bäume weder in den Landtagswahlen noch in der Bundestagswahl in den Himmel gewachsen.

Mit Fug und Recht darf also feste gefeiert werden am Ende dieses Jahres. Und es muss der Ausgelassenheit keinen Abbruch tun, dass die Bedingungen über dieses Jahr erheblich herausfordernder geworden sind, Deutschland in so blendender Verfassung zu halten. Darauf aktiv und angemessen zu reagieren – daran führt 2018 allerdings kein Weg vorbei. Für zwei Bereiche gilt das ganz besonders.

Krach im Familienkreis

Mit den vertrumpten Amerikanern, den europafeindlichen Briten und den osmanischtümelnden Türken haben Kräfte in drei Ländern die Oberhand gewonnen, die für Deutschlands Sicherheit und für die Freiheit seiner weltweiten Handelswege und damit für den Kern seines Wohlstands zentrale Bedeutung haben. Sozusagen im Familienkreis mit diesen Verbündeten ungeachtet aller Provokationen und Entfremdungen wieder zu einem besseren Miteinander zu kommen, wird 2018 für die deutsche Politik eine der größten Aufgaben sein. Zugleich eine ihrer schwierigsten.

Auch wird es höchste Zeit, sich intensiv mit den Fortschritten Künstlicher Intelligenz auseinanderzusetzen. Das Thema kommt in der deutschen Öffentlichkeit noch erstaunlich wenig vor, im Bundestag so gut wie gar nicht. Dabei hat es auch 2017 nicht an Denkanstößen gemangelt. Diese Woche gingen sie vom Chaos Communication Congress in Leipzig aus. Zuvor hatten mehr als 100 Unternehmer und Forscher, darunter Tesla-Boss Elon Musk und der Deep-Learning-Pionier Yoshua Bengio, die Uno im August vor völlig neuartigen Massenvernichtungswaffen gewarnt. Angesichts der Potenziale Künstlicher Intelligenz brauchen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft sehr schnell ein klares gemeinsames Verständnis davon, was in diesem Bereich als Licht, was als Schatten zu betrachten ist.

Schwung und dicke Polster

Mit anderen Worten: Deutschland startet mit Schwung und dicken Polstern in das neue Jahr. Das eine wie das andere wird dieses Land dringend brauchen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de