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Das Volksfest feiert in diesem Jahr 200. Geburtstag. Der Rummel hat sich zum Positiven verändert, findet unser Redakteur Frank Rothfuß. Längst will man keine Feiertouristen mehr anziehen, die sich zur Musik über „nackte Frisösen“ betrinken.

Stuttgart - Die Menschen hatten jede Hoffnung verloren: Kriege hatten das Land verwüstet, die jungen Männer marschierten mal mit dem einen, mal mit dem anderen Feldherrn. Am Ende waren sie massakriert, nur der Herrscher frohlockte, denn er hatte seine Macht gefestigt. Dann kam der Hunger. Tausende starben. Zigtausende flüchteten. Nur fort aus diesem von Gott verlassenen Land. Dieses Land heißt nicht Syrien – nein, es heißt Württemberg.

Vor 200 Jahren wurde das Land von Naturkatastrophen heimgesucht

Im Jahre 1816 erben König Wilhelm I. und Königin Katharina ein Land, das rückständig und bettelarm ist. Zudem haben sie mit den Folgen einer Klimakatastrophe zu kämpfen. Die Asche vom Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien verdunkelt die Sonne, es gibt im „Jahr ohne Sommer“ nur Regen und keine Ernte. Das Königspaar packt an und legt in nur drei gemeinsamen Jahren bis zum frühen Tod von Katharina die Grundlagen für den Wohlstand, den die Menschen heute genießen dürfen.

Das erste Mädchengymnasium, das Katharinenstift, geht auf sie zurück, das Katharinenhospital. Auch die Universität Hohenheim, an der die Bauern sich fortbilden sollten: Nie wieder sollten kalte und düstere Sommer dazu führen, dass die Ernte ausfällt und Menschen verhungern müssen, um nur einige Dinge zu nennen. Und sie stifteten 1818 das Cannstatter Volksfest – aus Dank, weil die Menschen wieder zu essen hatten –, aber auch als Agrarmesse, auf der Bauern wetteifern und lernen sollten.

Das Volksfest ist ein zutiefst schwäbisches Fest

Rummel ist eben nicht gleich Rummel. Das Oktoberfest ist eine aus den Fugen geratenen Hochzeitsfeier, das Cannstatter Volksfest ist dagegen ein zutiefst schwäbisches Fest: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Nutzen bringen soll es auch. Das merkt man heuer wieder, wenn wie alle vier Jahre das Landwirtschaftliche Hauptfest ist. Dann kommen Bauern aus ganz Süddeutschland, informieren sich, bestellen Traktoren und Landmaschinen. Da lebt die Geschichte des Volksfestes weiter.

Diese Geschichte muss mehr sein als nur Folklore. Als Kulisse für gigantische Bierzelte und eine riesige Party braucht es das Volksfest nicht. Warum sollte der Steuerzahler Hunderte von Polizisten bezahlen, die Arbeit von Stadtbahnfahrern und Sanitätern? Damit sich manche mit dem Verkauf von viel Bier eine goldene Nase verdienen? Einige Zeit musste man das Schlimmste befürchten. Eingeflogene Fernsehsternchen sangen von „nackten Friseusen“, „Möpsen“ und „Ärschen im Sand“. Man arbeitete am Ballermann 21, das Niveau war tiefergelegt. Das ist anders geworden. Es ist ruhiger geworden, in manchen Zelten spielt man wieder Blasmusik. Tagsüber trifft man auf Senioren und Familien. Sie kommen zum Essen, zum Karussellfahren – oder nur zum Schauen.

Die Zeit der Feiertouristen ist vorbei

Das hat damit zu tun, dass die Zeit der überbordenden Partys vorbeizugehen scheint. Auf Mallorca, in Barcelona, Berlin, und Sölden hat man genug von Feiertouristen. Es kommt dazu, dass man mit betrunkenen Rabauken nicht genug verdient. Beim Volksfest haben Schausteller und Wirte Millionen in Zelte und Geschäfte investiert, also umwerben sie auch das passende Publikum. Das Erntedankfest soll nicht mehr nur ein Tankfest sein. Das funktioniert.

Bei aller Kritik am Volksfest: Es ist einer der wenigen Orte, an dem sich alle treffen. Einheimische und Fremde, Reiche und Arme, Halbhöhe und Vorort, Alte und Junge.Hier findet man jeden. Und jeder findet, was er sucht. Das muss nicht teuer sein. Die Lichter, die Gerüche, die Geräusche, dieses Volksfest ist etwas Besonderes – weil es eine besondere Geschichte hat.

frank.rothfuss-jenewein@stn.zgs.de