Thomas Schäfer-Elmayer (rechts) bringt seinen Tanzschülern den rechten Schwung bei Foto: © WienTourismus/David Payr

An diesem Samstag wäre der Komponist Johann Strauss Sohn 200 Jahre alt geworden. Die Lust am Walzer ist bis heute ungebrochen – auch bei jungen Leuten.

Der berühmteste Walzer der Welt beruht auf einem Missverständnis. Der Text des 1867 ursprünglich für Chor geschriebenen Musikstücks „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss Sohn bezieht sich nämlich nicht auf Wien, sondern auf ein kleines Dorf in Südungarn. Dort hat der Dichter des Vormärz, Karl Isidor Beck, die berühmten Zeilen „An der schönen blauen Donau“ bereits um das Jahr 1840 herum verfasst und seinem Heimatort gewidmet. Auch wenn man nicht genau weiß, ob Strauss oder einer seiner Assistenten die Zeilen ausgewählt hat, so ist doch sicher, dass der Abschnitt der Donau, der damals durch Wien geflossen ist, im Unterschied zu dem in der ungarischen Provinz alles andere als blau war. Und schön auch nicht.

 

In der Habsburgermetropole war der Fluss vor seiner Regulierung im Jahr 1870 kein permanent fließender Fluss, sondern ein wirres Geflecht von Läufen, Tümpeln und Sümpfen. Den einen Strom gab es nicht, die Flussläufe waren einem ständigen Wandel unterworfen. Zudem war der Wiener Arm der Donau, der heutige Donaukanal, für die Wiener Bevölkerung in erster Linie ein Verkehrsweg: auf ihm wurden lebenswichtige Güter transportiert. Das ging nicht ohne Verschmutzungen.

Der Donauwalzer als Zugabe

Die Wiener hatten es zudem nicht leicht mit ihrem Fluss: Mal drohte Hochwasser, mal drohte die Lebensader zu versanden. Dazu kam eine verheerende Choleraepidemie mit vielen Tausend Toten sowie die Nachwirkungen der katastrophalen Niederlage Österreichs gegen Preußen bei Königgrätz im Juli 1866. Weder der Donau noch den Wienern ging es zur Zeit der Entstehung des Walzers also richtig gut. So ist die berühmte Komposition weniger eine Zustandsbeschreibung als vielmehr ein Versprechen, ein aufmunternder Trost für ein Land, das menschlich und militärisch am Boden lag.

Wenn auch den meisten Zuhörern die Umstände der Entstehung des Walzers vielleicht nicht geläufig sind, so ist das Versprechen auf eine bessere Zukunft doch nirgendwo besser aufgehoben als bei den Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker. Jedes Jahr aufs Neue erklingt der Donauwalzer dort als Zugabe, und die Zuschauer nehmen die klanggewordene Zuversicht beschwingt und hoffnungsfroh mit ins neue Jahr.

Das Festjahr ist auf dem Höhepunkt

Am 25. Oktober jährt sich der Geburtstag von Johann Strauss Sohn zum 200. Mal, und die Stadt Wien feiert den Komponisten ihrer inoffiziellen Hymne schon seit Januar mit zahlreichen, wöchentlich stattfindenden Veranstaltungen – nun steuert das Festjahr seinem Höhepunkt entgegen, und nichts deutet darauf hin, dass die Wiener und ihre Besucher langsam genug hätten vom Walzerkönig und seinen Melodien.

Jetzt im Herbst beginnt zudem die neue Ballsaison. Der Leiter der berühmtesten Wiener Tanzschule Elmayer, Thomas Schäfer-Elmayer, erzählt, dass die Nachfrage nach Tanzkursen ungebrochen ist, sogar seit dem Ende der Corona-Epidemie noch zunimmt. „Wir bieten 23 Tanzkurse pro Woche an, die Schülerkurse dauern etwa 35 bis 40 Wochen, also ein ganzes Schuljahr“, sagt Schäfer-Elmayer, der der Institution in dritter Generation vorsteht. „Bei uns meldet man sich persönlich an, und wenn die Anmeldung beginnt, stehen die jungen Leute Schlange bis hinten an den Graben“, lächelt der charmante Herr und deutet aus dem Fenster seiner Schule im Palais Pallavicini in der Bräunerstraße in bester Wiener Innenstadtlage.

Das ganze Jahrhundert schwingt mit

In Wien geht man nicht in die Tanzstunde, sondern man „macht den Elmayer“. Das bedeutet nicht nur Wiener Walzer rechtsherum und linksherum, sondern auch Benimmkurs und eine Einführung in die Etikette. Jeans sind nicht erwünscht, ebenso wenig Schuhe mit Gummisohle und Glitzer. Die jungen Männer tragen hier tatsächlich noch Anzug, Krawatte oder Mascherl (Fliege) und die Damen Rock, Bluse oder einen eleganten Hosenanzug.

„Wer mag, kann am Ende des Jugendkurses mit mir ein Etikette-Essen absolvieren. Dabei praktiziere ich mit den jungen Leuten anspruchsvolle Tischsitten“, erzählt Schäfer-Elmayer. Und als Dreingabe gibt es das Benimm-Standardwerk „Der große Elmayer“. Fortgeschrittene Tänzer haben dann die Möglichkeit, an den großen Wiener Balleröffnungen, wie zum Beispiel dem Jäger- oder Juristenball, teilzunehmen. Dafür muss man Walzer linksherum vortanzen. „Beim Linkstanzen sieht man ganz schnell, ob jemand tanzen kann oder nicht“, lächelt Elmayer und macht die Herrenschritte mit dem eleganten Einkreuzen der Füße schwungvoll vor. Auf die Frage, warum seine anspruchsvollen Tanzstundenkurse so beliebt sind, meint Elmayer: „In unseren turbulenten Zeiten sind Werte wie Rücksichtnahme, Respekt, Hilfsbereitschaft und Bildung gesucht. Bei uns schwingt ein ganzes Jahrhundert mit, das gibt Sicherheit.“

Walzen, was das Zeug hält. Foto: © WienTourismus/Paul Bauer

Auch die Anfänge des Wiener Walzers fallen in turbulente Zeiten. Nach den revolutionären Umwälzungen durch das napoleonische Zeitalter werden Tanzveranstaltungen zum Massenvergnügen. Die österreichische Regierung lässt das Volk gewähren in der stillen Hoffnung, dass tanzende Menschen nicht auf die Barrikaden gehen oder ihre Unzufriedenheit und Unsicherheit sonst wie kundtun. Historiker haben die These aufgestellt, dass der Zerfall der Habsburger Monarchie sein Abbild im Niedergang der alten reglementierten Tänze habe. Das schnelle Tempo des Walzers, der enge Körperkontakt, das sogenannte Walzen, all das seien Zeichen des neuen bürgerlichen Zeitalters, von Demokratie und Gleichberechtigung. Die heutige Lust am Walzer hat jedoch sicher weniger mit Aufstand und Umsturz zu tun, sondern eher mit Zukunftssorgen und der Sehnsucht nach vermeintlich besseren Zeiten.