Kaisertreffen auf dem Wasen: Napoleon III., Zar Alexander II. und Württembergs König Wilhelm I. im Jahr 1857 beim Landwirtschaftsfest. Rechts ist die Fruchtsäule zu erkennen. Foto:  

Das Cannstatter Volksfest ist Synonym für den Cannstatter Wasen. Dort fanden in zwei Jahrhunderten aber noch viele andere Massenveranstaltungen statt. Rainer Redies erzählt davon unterhaltsam in einem Buch.

Bad Cannstatt - Der Cannstatter Wasen, jahrhundertelang ein brachliegendes Wiesengelände neben dem Neckar, wurde 1818 von König Wilhelm I. zum Ausstellungsort der ersten landwirtschaftlichen Schau in Württemberg erkoren. Der Monarch hoffte nach den katastrophalen Hungerjahren 1816/17, die schwer geschädigte Wirtschaft wieder anzukurbeln. Aus allen Teilen des Königreichs kamen schon im ersten Jahr viele tausend Gäste nach Stuttgart, die auch unterhalten werden wollten. Aus der Bullen- und Maschinenschau wurde schnell ein Volksfest mit Fahrgeschäften und Bierzelten. Welche Entwicklung es nehmen würde, hat wohl die kühnsten Erwartungen, die der König damit verband, überstiegen – bis heute hat es Bestand und lockt jährlich rund vier Millionen Besucher an.

„Das berühmte Cannstatter Volksfest ist zum Synonym für den Wasen geworden“, sagt Rainer Redies mit einer Spur Bedauern in der Stimme. Denn: Darüber hinaus sei der Cannstatter Wasen noch Schauplatz vieler anderer Ereignisse der Stadtgeschichte gewesen. Als Cannstatter aus Passion hat sich der 82-Jährige ein Vergnügen daraus gemacht, sie zu recherchieren und neu zu erzählen. Die Idee zu diesem Buch hatte André Wais vom Stuttgarter Verlagsbüro Wais und Partner schon vor drei Jahren – das 200-jährige Jubiläum des Cannstatter Volksfestes 2018 im Blick. Allerdings habe man kein Buch allein darüber herausgeben wollen. Dafür sei zu viel losgewesen auf dem Wasen. Der Platz bot über zwei Jahrhunderte das, was die Menschen bewegte und die Massen anlockte: öffentliche Hinrichtungen, politische Treffen, Luftfahrtschauen, Sportveranstaltungen, Konzerte – und auch den Wilden Westen live.

Das sechstägige Gastspiel von Buffalo Bill im Oktober 1890 – im Anschluss an das Volksfest – ist eine von Redies Lieder. die in Zeitungsinseraten angekündigten 200 Indianer, Cowboys, Pfadfinder, Scharfschützen und Reiter, 175 Ponys, Maultiere, wilde Pferde und Büffel am Cannstatter Güterbahnhof an. Die Neugier des Publikums, dem „große Gefechtsscenen, das Vorreiten wilder Pferde und Vorführung von Scenen aus dem westlichen Grenzerleben“ versprochen wurden, sei groß gewesen, schildert der Historiker in seinem Buch so lebhaft, als wäre es gestern gewesen: Auf dem Wasen wurde hinter einem Bretterzaun eine Arena mit terrassenartig angelegten Plätzen für 8000 Zuschauer geschaffen. Auf einem Teil der umfriedeten Fläche zelteten Mitwirkende und Mitarbeiter, das Lagerleben war Teil der Show. Der umjubelte Western-Star selbst habe während seiner Cannstatter Tage allerdings im Hotel Marquardt logiert, einer der nobelsten Adressen der Stadt, so Redies. Jede einzelne Nummer des knapp zweistündigen Wildwest-Programms habe das enthusiastische schwäbische Publikum mit stürmischem Beifall bedacht. Dass dabei sogar scharfe Munition verschossen wurde, „machte das Geschehen umso aufregender, von dem in Cannstatt und Stuttgart noch lange die Rede war“.

Einige der Wasen-Geschichten, die Redies in umfangreicher Recherche in zahlreichen Archiven zusammengetragen hat, sind durchaus noch im Bewusstsein: die Landung des Zeppelin-Luftschiffes LZ 6 am 10. September 1910, die rund 100 000 Menschen verfolgt haben sollen zum Beispiel. Auch der Ballonfahrtwettbewerb 1912 und das Turnfest 1933 mit seinem abschließendem „Festzug der Hundertfünzigtausend“.

Den Vertrieb der 2000 Exemplare hat der Südverlag Konstanz übernommen

Es gibt aber auch weniger bekannte Anekdoten. Wohl kaum jemand weiß, dass die beiden Raubmörder Conrad Mauthe und Georg Friedrich Schaff am Morgen des 14. Juni 1848 auf dem Wasen öffentlich enthauptet wurden. Sie sollen acht Monate zuvor die 82-jährige Cannstatter Witwe Haag in deren Haus überfallen und erdrosselt haben. Die ursprünglich geplante Exekution wurde in letzter Minute verschoben – die Menge der Schaulustigen fühlte sich um ihre blutige Sensation gebracht, berichtet Redies. Es kam zu Tumulten, beim abermaligen Aufbau des Schafotts war deshalb das Militär zugegen. Scharfrichter Seltenreich habe „beide Mal den Streich mit sicherer Hand“ geführt, zitiert der Historiker aus der „Schwäbischen Kronik“.

Ebenso kaum bekannt ist, dass der damals noch weitgehend unbekannte russische Revolutionsführer Lenin 1907 zu Gast beim Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart war. Beim „Großen Meeting auf dem Volksfestplatz“ sprachen unter anderem August Bebel und Klara Zetkin vor mindestens 60 000 Menschen. Um Weltpolitik ging es auch 1857, als Württembergs König Wilhelm I. als Vermittler zwischen Napoleon III. und Zar Alexander II. fungierte – mit beiden Seiten war er verwandt. Die zwei Kaiser hatten sich zuvor im Krimkrieg bekämpft und gingen in Stuttgart öffentlichkeitswirksam wieder aufeinander zu. Ihr Treffen wurde auf dem Landwirtschaftsfest gefeiert – mit einem riesigen Spektakel auf dem Wasen mit „Menschenmassen wie sie bisher noch nie gesehen worden“, zitiert Redies eine Beschreibung von damals.

Die insgesamt elf Geschichten seien „allesamt spannend und unterhaltsam geschrieben“, preist Wais das Buch an, das seiner Meinung nach „längst überfällig“ war. Den Vertrieb der 2000 Exemplare hat der Südverlag Konstanz übernommen.