Aus Sicherheitsgründen findet die Verhandlung in Stammheim statt. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Weil Teile des Gefängnisses in Quarantäne sind, wird vorerst weder gegen Links- noch gegen Rechtsextreme verhandelt. Vor dem Gebäude muss ein Großaufgebot der Polizei die beiden Lager voneinander trennen.

Stuttgart - Die Gemengelage ist heikel am Montagmorgen. Vor dem Gerichtssaal der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Stammheim kochen die Gemüter hoch. Vor dem Gebäude haben sich von 7 Uhr an etwa 200 Aktivisten aus dem Umfeld der linken und rechtsextremen Szene eingefunden. Der Grund: Drinnen sollen sich zwei junge Männer aus dem linken Umfeld verantworten – für einen Angriff auf Angehörige der rechten Szene. Aus Sicherheitsgründen ist der Prozess aufs Gelände der JVA verlegt worden.

 

Die Polizei sichert das Gerichtsgebäude mit Kräften einer Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft sowie der Einsatzhundertschaft Stuttgart. Und das ist auch nötig. Denn extreme Haltungen prallen da aufeinander. Zu den Zaungästen gehört etwa der Holocaustleugner und Antisemit Nikolai Nerling. Der frühere Berliner Grundschullehrer wurde von mehreren Gerichten verurteilt, weil er sich antisemitisch und volksverhetzend äußerte sowie den Holocaust leugnet. Gegen die Entscheidungen legte Nerling jeweils Berufung ein. Er gehörte zudem zu jenen Demonstranten, die im August vergangenen Jahres während einer Corona-Demonstration versuchten, den Bundestag in Berlin zu stürmen.

Um Corona geht es auch im Verfahren. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Angeklagten vor, im vergangenen Mai am Rande einer Querdenker-Demonstration in der Nähe des Cannstatter Wasens drei Mitglieder der selbst so bezeichneten „Gewerkschaft Zentrum Automobil“ angegriffen und einen von ihnen schwer verletzt zu haben. Das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz stuft das „Zentrum Automobil“ als rechtsextrem ein. Bei dem Angriff habe einer der beiden mutmaßlichen Täter den Tod eines der Attackierten billigend in Kauf genommen, ist die Anklage überzeugt. Das Duo wird der linken Szene zugerechnet.

Sieben positiv Getestete

Doch die Sitzung hat noch gar nicht richtig begonnen, da ist sie auch schon zu Ende. Der Vorsitzende Richter Johannes Steinbach vertagt die Verhandlung, weil ihm der Hauptangeklagte fehlt. Der sitzt nämlich nebenan in der JVA nicht nur in Untersuchungshaft, sondern auch in Quarantäne – so wie rund 200 weitere Gefangene aus demselben Gebäude, dem Hafthaus 5.

Am Freitag waren nach einer Infektion bei einer Mitarbeiterin die Insassen dieses Hafthauses getestet worden. Dabei gab es zwei positive Ergebnisse bei Gefangenen. Im selben Gebäude hatte es auch zuvor schon Infektionen von Bediensteten gegeben, sodass dort in den vergangenen Tagen nach Angaben des Justizministeriums insgesamt sieben Menschen positiv getestet worden sind.

Wo und wie sich die Gefangenen angesteckt haben, ist allerdings noch ein Rätsel. „Die zwei Infektionen bei Inhaftierten stehen nach aktuellen Erkenntnissen nicht im Zusammenhang mit der Infektion einer Mitarbeiterin“, sagt ein Sprecher der Stadt Stuttgart. Das Gesundheitsamt habe die Infektionen lokalisiert, Ansteckungsketten nachvollzogen und Isolierungen in Absprache mit der Anstaltsleitung ausgesprochen. „Enge Kontaktpersonen werden in den nächsten Tagen mittels PCR getestet. All diese Maßnahmen sollen einer weiteren Ausbreitung zuvorkommen“, so der Sprecher.

Aufnahmestopp für weitere Gefangene

Die JVA zieht noch weitere Konsequenzen. „Das gesamte Haus geht jetzt in den Notbetrieb. Das bedeutet, dass es auch einen Aufnahmestopp gibt“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums unserer Zeitung. Das gelte mindestens bis Mittwoch. Dann soll es im Gefängnis eine neue Testrunde geben. Derzeit sei die JVA, auch coronabedingt, mit rund 650 Gefangenen nicht komplett besetzt: „Man hat wegen der Pandemie schon zuvor versucht, Platz zu schaffen.“

Wann der Prozess wegen der Tat am Rande des Wasens nun tatsächlich in Gang kommt, ist offen. Der nächste Versuch ist vorerst für den 26. April angesetzt. Allerdings ist auch noch ein weiteres brisantes Verfahren betroffen. Die für Dienstag und Mittwoch dieser Woche geplanten Prozesstermine gegen die mutmaßliche rechtsterroristische Gruppe S. setzte das Oberlandesgericht ebenfalls aus. Sechs der zwölf Angeklagten sind in der JVA Stammheim untergebracht.