von Manuel Schupp entworfen: Haus der Geschichte Foto: HdGBW/Bernd Eidenmüller

Einst auch ein politischer Coup, heute Inbegriff eines offenen Museums: Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart gilt als Museumsmodell der Zukunft.

Wer einen Festakt besucht, ist auf noble Worte eingestellt. Was aber, wenn der Jubilar die Noblesse durchkreuzt und auf Aktualität pocht, auf die Beschäftigung mit dem Jetzt und auf Fragen an das Jetzt? Dann gerät man in einen sorgsam dirigierten Balanceakt – wie am Dienstagabend im Konzertsaal der Musikhochschule Stuttgart beim Festakt 20 Jahre Haus der Geschichte Baden-Württemberg.

Musik als Spiegel des Anspruchs

Da hatte schon Giovanni Gabrielis „Canzon septimi toni à 8“ zum Auftakt einen doppelten Boden. Federnde Bläsermusik sicher, aber in der Präsentation durch das City Brass Ensemble unter Leitung des Musikhochschul-Professoren Wolfgang Bauer zugleich um die Klärung der zahlreichen Einflüsse in der Komposition bemüht. Solches Hörbar-Machen als Antwort auf das tagtägliche besondere Sichtbarmachen zeitgeschichtlicher Zusammenhänge provoziert wiederum Worte, die über Dank und Anerkennung hinausgehen.

Paula Lutum-Lenger ist Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg Foto: lichtgut

Diese fand am Mittwochabend zunächst Jörn Leonhard, Professor für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seit 2019 ist er Wissenschaftlicher Beirat des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart – und schätzt das Team um Direktorin Paula Lutum-Lenger für „die Dekonstruktion von Mythen auf hohem Niveau“ und für die Selbstanforderung „die Gesellschaft genau zu beobachten“. „Ihr Haus“, adressiert Jörn Leonhard auch an die vielen Mitarbeitenden des Hauses der Geschichte im gut besetzten Konzertsaal, „ist in bestem Sinn eine Zumutung“ und sei eben genau „keine Identitätsmaschine für ein Bindestrich-Bundesland“.

Erwin Teufel als Ehrengast

Dabei war, als die Idee für eine gebaute Zentrale des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg aufkam genau dies die Sorge – dass der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) eine museale Bühne der Landespolitik anstreben würde. Auch und gerade Teufel aber, am Mittwochabend freundlich begrüßter Ehrengast des Festaktes, betonte als Ministerpräsident stets die Vielfalt und auch die Gegensätze regionaler Identitäten als Stärke des Südwest-Staates.

Was aber gilt heute? Was kann morgen gelten? Dies suchte ein prominent besetztes Podium zu klären – neben Paula Lutum-Lenger waren dies: Petra Olschowski (Grüne), Nachfolgerin von Theresia Bauer (Grüne) im Amt der Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, sowie Ines de Castro, Direktorin des Linden-Museums in Stuttgart. Die programmierten Stichworte: Zugänglichkeit, Beteiligung und Digitalität. Schnell machte die Ministerin deutlich: Die drei Themen sind untrennbar verwoben – sie sind bei jedem Projekt, bei jedem Arbeitsschritt in einem Museum gleichberechtigt mitzudenken. Als Bestätigung ihres eigenen, 2016 als Staatssekretärin vorgelegten Forderungskataloges zu „Wege ins digitale Museum“ mag Petra Olschowski dies nicht unbedingt werten. Aber doch als Zwischenstand, der weitere Schritte möglich macht. Olschowski nennt das durch das Land eingerichtete „Zentrum für kulturelle Teilhabe“, sieht die Grundfrage „Beteiligung – wie geht das?“ als Kernanforderung an und für die Museen.

Der Schlüssel: Macht abzugeben

Ines de Castro, am Mittwoch und bei der Vertragsunterzeichnung zur Rückgabe von als Raubkunst identifizierten 70 Figuren und Masken aus dem einstigen Königreich Benin an den Staat Nigeria selbst im Blitzlichtgewitter, betont die inhaltliche Wandlung: Es gehe nicht mehr darum, über jemand oder etwas zu arbeiten, sondern mit jemandem. So seien aktuell Maori aus Neuseeland im Linden-Museum, um eine Neupräsentation mit Stücken aus ihrer Heimat einzurichten. „Wir müssen“, da sind sich die Museumsdirektorinnen Lutum-Lenger und De Castro einig, „damit ein Stück Macht abgeben“.

Und was sagt das Publikum zu alldem? Überraschend offen benennt Ines de Castro Irritation und Unverständnis. Die Sehnsucht, im Museum unverrückbare Ansagen zu bekommen, sei durchaus spürbar. Und Paula Lutum-Lenger bestätigte, dass in der neu eingerichteten Stauffenberg-Erinnerungsstätte im Alten Schloss manche und mancher die klare Aussage vermisse, was Claus Schenk Graf von Stauffenberg denn nun gewesen sei – Held des Widerstands gegen Hitler-Deutschland oder nicht? Beteiligung, lernen die Museen offenbar aktuell, kann auch eine Hürde sein.

Beifall für das ganze Team

Die letzte Frage von Podiums-Moderator Stephan Ferdinand, Direktor des Instituts für Moderation der Hochschule der Medien in Stuttgart, muss Paula Lutum-Lenger gelten. Mit welchem Gefühl sie die Zukunft des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg sehe? „Das Haus“, sagt Lutum-Lenger in ihrer markanten Art, „ist so lebendig wie nie zuvor“. Da bleibt Wolfgang Bauer und dem City Brass Ensemble nur das finale musikalische Ausrufezeichen. Für den schönsten Moment des Festaktes hatte Paula Lutum-Lenger lange zuvor gesorgt. Sie bat alle anwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses der Geschichte, der Zentrale und der elf Außenstellen, „für einen Moment aufzustehen“, um gemeinsam den Applaus entgegenzunehmen – „als großartiges Team, das aus Geschichte Geschichten macht und aus Geschichten Geschichte“.