Foto: Celesio

Bei der Stuttgarter Celesio AG haben unpopuläre Entscheidungen Tradition.

Stuttgart - Jahrzehntelang trennte die deutsch-deutsche Grenze den Pharmagroßhändler Celesio - vormals Gehe - von seiner Geschichte. Dann hat eine Historikerin monatelang die Vergangenheit des Unternehmens mit Wurzeln in Dresden erforscht - und eine Tradition des Widerstands entdeckt.

Manchmal muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wie im Sommer 1993 in einer geschlossenen Dresdner Schule, in der Ruth Kappel ein Marmorrelief des Celesio-Urvaters Franz Ludwig Gehe entdeckt hat. Vermutet hatte die Historikerin die Skulptur schon lang in dem Gebäude, in dem sich anno dazumal die Kaufleute trafen - erst ein Wasserrohrbruch und die zu Hilfe gerufene Feuerwehr gewährten ihr überraschend Zutritt. Weil der frühere Festsaal einer Turnhalle gewichen war, "landete Franz Ludwig im Keller", sagt Kappel. Den Abstieg bezahlte er mit einem Stück seiner Marmornase.

Letztere hat Celesio ersetzen lassen, andere Puzzleteile der ursprünglichen Drogen- und Farbwarenhandlung Gehe & Co. sind noch verschollen. Dass der Firmengründer eine Sammlung chinesischer Vasen sowie seltener Heilwurzeln des 19. Jahrhunderts besaß, weiß Kappel "aus einer Versicherungsliste". Auffindbar sind die Raritäten nicht. Weil Gehe in Dresden gegründet und ein Großteil des Unternehmens im Zweiten Weltkrieg enteignet worden war, "hatte Celesio eigentlich seine Geschichte verloren", sagt Kappel. Was die Historikerin und heutige Celesio-Mitarbeiterin nach dem Mauerfall über das Unternehmen zusammengetragen hat, hat nicht nur sie überrascht.

Bis heute steht der Firmengründer als Repräsentant ehrbarer Kaufleute für verantwortungsvolles Handeln in der Wirtschaft, seine Geschichte ist geprägt von Widerstand: Der 1810 in der Nähe Leipzigs geborene Gehe eröffnete seine Drogen- und Farbwarenhandlung als Apotheker ihre Arzneimittel noch selbst hergestellt haben. Da Beschaffung und Verarbeitung der Rohstoffe teuer waren, konnten sich fast nur Reiche Medizin leisten. Das änderte Gehe: Seine Firma belieferte als eine der ersten nicht die Patienten, sondern die Apotheker. Ziel des damals 25-Jährigen war es, Rohstoffe günstiger zu beziehen und Arzneimittel für jedermann bezahlbar zu machen.