Echt Schwäbisch – nicht nur die SSB. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Stuttgarter Straßenbahnen AG feiert ihren 150. Geburtstag. Die neue SSB-Dauerausstellung „Schauplatz“ zeigt die Bedeutung der Haltestelle Charlottenplatz auf. Das Datum der Eröffnung ist nicht zufällig der 28. Juli.

Stuttgart - Gerhard Sell hat eine echte Rarität dabei. Der 76-jährige Hedelfinger steht am Samstagvormittag in der Stadtbahnhaltestelle Charlottenplatz und zieht eine Fahrkarte aus einer Plastikfolie. Sie ist vom 16. Juli 1920, also 98 Jahre alt.

„Die habe ich einmal auf dem Flohmarkt gekauft“, erzählt Sell. Seit 30 Jahren sammelt er Memorabilia der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), darunter alte, abgestempelte Wochenkarten oder Streckenpläne.

Zum Charlottenplatz ist Gerhard Sell gekommen, um die neue Dauerausstellung „Schauplatz“ in Augenschein zu nehmen. Sie besteht aus Infotafeln in Glasvitrinen, die die SSB anlässlich ihres 150. Geburtstags auf den Bahnsteigen der Haltestelle hat aufstellen lassen.

Datum der Eröffnung ist nicht zufällig

Die Tafeln informieren Fahrgäste über alle möglichen Facetten der zentralen Drehscheibe des Stuttgarter Verkehrssystems. „Als Nukleus des Stadtbahnsystems“ bezeichnete SSB-Technikvorstand Wolfgang Arnold den von 1962 bis 1966 erbauten Charlottenplatz, nachdem er die rote Schleife der ersten Vitrine gelöst und damit die Ausstellung eröffnet hatte.

Das Datum der Eröffnung hat die SSB nicht dem Zufall überlassen. Am 28. Juli 1868 fuhr die erste Pferdestraßenbahn von der nahe des Charlottenplatz gelegenen Haltestelle Archiv nach Berg und läutete somit eine 150-jährige Geschichte ein.

Die Infotafeln liefern Wissenswertes über Planung und Entwicklung des Baus. So habe die Stadt zunächst überlegt, die Bahn oberirdisch fahren zu lassen, um Kosten zu sparen, sagte Arnold. „Das gesparte Geld wollte man in den Straßenbau transferieren.“

Lesen Sie hier aus unserer Haltestellen-Serie: Charlottenplatz – Im Labyrinth der Gleise

„Niemand mag den Charlottenplatz so richtig“

Weitere Infotafeln stellen die optische Gestaltung in den Kontext der damaligen Zeit oder erklären, wie die Umstellung von den historischen Tiefbahnsteigen über den Mischbetrieb hin zu den heutigen, barrierefreien Hochbahnsteigen verlief.

„Jeder kennt den Charlottenplatz, aber unter uns gesagt mag ihn ja niemand so richtig“, sagte der Historiker Nikolaus Niederich, Vorstand des Vereins Stuttgarter Historische Straßenbahnen (SHB) und verantwortlich für Text und Konzeption der Ausstellung.

Viele Menschen empfänden das Bauwerk als ästhetische Zumutung, unüberschaubar sei es obendrein. Waschbetonverkleidungen der Wände etwa seien typisch Sechzigerjahre, heute finde das kaum jemand schön.

Trotzdem lohne es sich, die einst mit dem Bonatz-Preis ausgezeichnete Haltestelle genauer zu betrachten. „Sie bietet keine für Postkarten geeignete Biedermeier-Idylle, ist aber ein interessantes Stück Geschichte“, sagte Niederich.

Man müsse den Charlottenplatz im Kontext des 1959 verabschiedeten Generalverkehrsplans sehen. „Das war ein großer Schritt in der Zeit. Damals hat niemand davon geträumt, dass Stuttgart einmal so viel Stadtbahn haben würde“, so der Historiker.

„Straßenbahnwelt“ ist passé – neuer Name gilt ab sofort

Mit einer historischen Bahn aus dem Jahr 1952 ging es schließlich Richtung Bad Cannstatt. Vor fast zehn Jahren öffnete dort die Straßenbahnwelt Stuttgart ihre Türen. Seit Samstag ist dieser Name passé.

Der neue Name lautet schlicht Straßenbahnmuseum Stuttgart und steht seit Samstag auf einer Stahlsäule am Eingang des Geländes. „Wir haben viele Änderungen vorgenommen und uns deshalb entschieden, einen neuen Namen zu wählen“, sagte Stefanie Haaks, kaufmännische Vorständin der Verkehrsbetriebe.

Was ist neu? Zusammen mit dem Verein Stuttgarter Historische Straßenbahnen hat die SSB die Dauerausstellung überarbeitet, sowohl im Hinblick auf Design als auch auf Museumsdidaktik.

Größeren Raum nehmen nun der Pferdebahnbetrieb und die Filderbahn ein. Außerdem rücken die Sozialgeschichte des Unternehmens in den Vordergrund, dazu gibt es einen allgemeinen Überblick über die Firmengeschichte.

Besonders beliebt waren am Wochenende die Fahrten mit der Oldtimerlinie 23, die zwischen Straßenbahnmuseum und Fernsehturm pendelte. Auf dem Gelände vor dem Museum herrschte Feststimmung: Dutzende Besucher tummelten sich vor dem Straßenbahndepot, aßen Gegrilltes und trotzten der Hitze in gelben Sonnenhüten, die die SSB kostenlos verteilt hatte.