Gehört für jeden zweiten urlaubenden Deutschen immer noch zum Pflichtprogramm: Das langwierige Aussuchen von Grußpostkarten. Foto: dpa/Federico Gambarini

Kurz und meist schmerzlos: Vor 150 Jahren begann die Erfolgsgeschichte der Postkarte, der SMS des 19. Jahrhunderts. Wer sie heutzutage noch aus dem Urlaub verschickt, ist entweder älter, albern oder ziemlich nostalgisch. Eine Würdigung.

Berlin - Eine Grußpostkarte aus dem Urlaubsort zu schreiben? Für jüngere Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, gehört das zu einer dieser längst ausgestorbenen Kulturtechniken wie die aufreibende Suche nach einer Telefonzelle in einer verregneten Nacht oder das Lesen eines in Sütterlin-Schrift verfassten Briefes. Eigentlich ist ihr nahes Ende also beschlossene Sache – in diesen digitalen Zeiten. Doch wieder einmal gilt der Spruch von den Totgesagten, die länger leben. Mehr als die Hälfte der deutschen Urlauber verschickt nach wie vor Urlaubsgrüße analog per Postkarte. Das ergab eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Post immer weniger Postkarten zustellen muss. Beförderte die Bundespost 1982 noch 877 Millionen Stück, waren es zuletzt nicht einmal 200 Millionen im Jahr.

Schmucklose Erstkarte

Das und noch viel mehr erfährt man im Berliner Museum für Kommunikation, das der Postkarte zu ihrem 150. Geburtstag zurzeit eine Ausstellung widmet („Mehr als Worte. 150 Jahre Postkartengrüße“, bis 5. Januar 2020). In der Schau lässt sich dann auch das weltweit erste verschickte Exemplar bewundern. Mit dem bild- und daher gänzlich schmucklosen Kärtchen wurde am 1. Oktober 1869 ein privates Treffen im damaligen Österreich-Ungarn verabredet, die wortreiche Botschaft ging von Perg bei Linz nach Kirchdorf.

Beschränkung aufs Nötigste

Was damals wohl kaum jemand ahnte: Die erste lediglich mit Text bekritzelte Postkarte war der Auftakt einer kommunikativen Erfolgsgeschichte, denn das Medium war seinerzeit das schnellste überhaupt. Die Postkarte revolutionierte die Kontaktaufnahme, ihr Format führte zu einer inhaltlichen Beschränkung aufs Wesentliche. In Wien wurden um 1900 Postkarten täglich zugestellt. Kurzum: Die Postkarte war der legitime Vorläufer einer SMS, MMS oder der Whatsapp-Nachricht.

Lebt er noch?

Kaum erfunden, wurde die Postkarte allein Österreich-Ungarn mehrere Millionen Mal verschickt. Kritiker empörten sich über die freie Einsicht in private oder intime Befindlichkeiten, weil die Postkarten ohne Kuvert auf die Reise gingen. Schon damals ging es also um den Datenschutz. Doch wen kümmert der unbekannte Mitleser, wenn es um überlebenswichtige Nachrichten geht? Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 schrieben sich Soldaten und ihre Liebsten in der Heimat die „Correspondenz-Karte“ millionenfach als kostenlose Feldpostkarte. Da ging es vor allem darum, so schnell wie möglich zu erfahren, ob der Sohn noch lebt oder die Mutter im Sterben liegt.

Jetzt bunt

Um 1900 wurden die Grußpostkarten mit Illustrationen, später Fotografien versehen, was dem Medium zum endgültigen Durchbruch verhalf. Ein Grund war der Einsatz der Chromolithografie, die farbige statt nur schwarz-weiß bedruckte Karten ermöglichte. Ein weiterer Grund war der wachsende Tourismus. Viele Künstler verdienten sich mit dem Illustrieren von Postkarten ihr täglich Brot, manche wie der Wiener Jugendstilmaler Raphael Kirchner (1875– 1917) sattelten gleich um und erlangten als „Postkartenmaler“ eine gewisse Berühmtheit. Kirchners Spezialität waren Frauendarstellungen, nicht selten erotischer Art, man findet den schönen Kitsch bis heute auf Flohmärkten.

Lästiges Urlaubsritual

Dank dem Massentourismus nach dem Zweiten Weltkrieg verkümmerte das Grußpostkartenschreiben allmählich zum lästigen Urlaubsritual, man schrieb sich Wetterberichte vom Mittelmeer und referierte die Frühstückskarte der Alpenpension. Gern versendet werden heute noch Grußkarten mit witzigen Motiven oder aber: digitale Postkarten. Eine der beliebtesten Postkarten-Apps findet sich etwa im Google Play Store: Touch Note ist praktisch, gilt aber als seelenlos. Eine klassische Postkarte auszusuchen, sie eigenhändig zu beschriften und mit einer Briefmarke zu versenden und in einen Briefkasten einzuwerfen ist mitunter mühevoll. Aber auch ein Liebesweis der nostalgischen Art. Vielleicht wird die Postkarte auch deswegen nicht so schnell aussterben, wie man denkt.