An Erbsenpflanzen hat der ­Botaniker Gregor Johann ­Mendel die Gesetze der  Vererbung studiert. Foto: were – Fotolia

Der Mönch Gregor Mendel hat mit seinen Kreuzungsversuchen bei Erbsen die moderne Genetik begründet. Doch vor 150 Jahren war die Welt noch nicht reif für seine Ideen.

Stuttgart - Wenn dem Augustinermönch Gregor Mendel 1866 jemand prophezeit hätte, dass seine Erkenntnisse einmal die Welt revolutionieren würden, hätte er wohl ungläubig abgewinkt. Zu seiner Zeit interessierte sich kein Mensch dafür, nach welchen Regeln Erbsen Eigenschaften wie Blütenfarbe oder Samenform an die nächste Generation weitergeben. Mendels Forschungsergebnisse, mit denen er letztlich die moderne Genetik begründet hat, verstaubten im Regal und wurden erst um 1900 wieder herausgeholt.

Seitdem hat die Genetik einen weltweiten Boom erlebt. Die Bestimmung des genetischen Codes eines beliebigen Lebewesens ist heute eine Routineaufgabe. Und die Genschere Crisprermöglicht es, mit bisher unerreichter Präzision Erbgutänderungen vorzunehmen. Das weckt bei vielen Bedenken, vor allem wenn es um die Anwendung am Menschen geht. Doch allen ethischen Debatten zum Trotz bleibt die Genforschung ein Wachstumsfeld. Zugleich sind noch viele Fragen zu klären – etwa mit Blick auf das Zusammenwirken der Gene.

Nicht nur für Biologen sind Mendels Erkenntnisse bis heute relevant. „Kein Pflanzen- oder Tierzüchter, nicht einmal ein Gärtner könnte arbeiten ohne diese Grundlage“, sagt Reinhard Kunze, Professor am Dahlem Center of Plant Sciences an der Freien Universität Berlin. Pflanzen- und Tierzüchtung betrieben die Menschen lange vor Mendel – intuitiv und ohne Kenntnis der Regeln der Vererbung. „Ganz am Anfang hat man einfach Pflanzen, die besser aussahen als andere, benutzt für das Folgejahr“, sagt Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Pflanzenzüchter. Erst dank Mendel habe man gewissermaßen die inneren Werte von Pflanzen erkannt und systematisch vorgehen können, um Zuchtziele zu erreichen. Als Beispiel für die Erfolge der Pflanzenzüchtung nennt Schäfer den Raps, bei dem es gelungen sei, unerwünschte Bitterstoffe und Fettsäuren herauszuzüchten. Statt bitteren Lampenöls liefern moderne Sorten hochwertiges Speiseöl.

Bedeutung von Chromosomen und Genen war damals unbekannt

Mendels Erfolgsgeheimnis war, dass er die Pflanzen nicht im Gesamten betrachtete, sondern sich auf einzelne, leicht zu erfassende Merkmale konzentrierte. Diese untersuchte er an einer großen Zahl von Pflanzen über mehrere Generationen. So soll er zwischen 1856 und 1863 mehr als 28 000 Erbsenpflanzen kultiviert haben.

Ähnlich funktioniert klassische Pflanzenzüchtung bis heute: Pflanzen mit unterschiedlichen Merkmalen werden gekreuzt. Zur Weiterzucht werden Nachkommen ausgewählt, die möglichst viele erwünschte Eigenschaften haben – etwa einen hohen Ertrag oder auch eine hohe Resistenz gegen Pilzkrankheiten. Um die Chance zu erhöhen, solche Kandidaten zu finden, arbeiten Züchter zu Beginn der Sortenentwicklung mit hohen Pflanzenzahlen. Und wie der Pionier Mendel setzen sie statistische Methoden ein, um ihre Daten auszuwerten. Zudem gibt es heute Analysemethoden, mit denen Züchter bereits im Labor nach vielversprechenden Genkombinationen suchen können. Hinzu kommt die vor allem in Europa umstrittene Möglichkeit, per Gentechnik einzelne Merkmale hinzuzufügen.

Mendel erkannte, dass die Eigenschaften einer Pflanze von mütterlichen und väterlichen Erbanlagenbeeinflusst werden. Diese kommen bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen zusammen und werden bei der Weitergabe an die nächste Generation wieder neu kombiniert. Mendels Erkenntnisse sind umso bemerkenswerter, als damals die Bedeutung von Chromosomen und Genen unbekannt war. Die Struktur der DNA wurde gar erst 1953 geklärt.

Mendels Vererbungslehren sind bis heute gültig

Entscheidend bei Mendels „Versuchen über Pflanzen-Hybriden“ war auch, dass er reinerbige Linien einsetzte. Diese erhält man durch die Selbstbestäubung von Pflanzen über mehrere Generationen hinweg. Das Resultat sind Pflanzen, bei denen mütterliche und väterliche Gene identisch sind. Kreuzt man zwei reine Linien, sind die Pflanzen der Folgegeneration gleich oder uniform. Deshalb heißt die erste Mendel’sche Regel Uniformitätsregel.

Die zweite ist die Spaltungsregel. Wenn die Nachkommen gekreuzt werden, tauchen wieder die Ursprungsvarianten sowie Kombinationen davon auf – und zwar in festgelegten Zahlenverhältnissen, die davon abhängen, ob ein Gen über das andere dominiert oder ob beide gleichrangig (intermediär) wirken. Diese Aufspaltung kann man sehen, wenn man im Garten die Samen einer Hybrid-Gemüsesorte aussät: Im nächsten Jahr erhält man keine einheitlichen Pflanzen mehr, sondern ein buntes Gemisch.

Mendels dritte Regel, die Unabhängigkeitsregel, besagt, dass väterliche und mütterliche Eigenschaften unabhängig voneinander weitergegeben werden. Wenn die Mutterpflanze weiße Blüten und glatte Samen und die Vaterpflanze rote Blüten und runzelige Samen hat, können die Nachkommen auch weiße Blüten und runzelige Samen haben. Das gilt aber nur, wenn die betreffenden Gene auf verschiedenen Chromosomen oder weit voneinander entfernt auf demselben Chromosom sitzen.

Dass Mendels Leistung erst viel später anerkannt wurde, hänge auch damit zusammen, dass seine Erkenntnisse zunächst nicht als allgemeine Gesetze der Vererbung gelesen wurden, sagt Hans-Jörg Rheinberger vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. 150 Jahre nach Mendels epochaler Veröffentlichung sieht es anders aus. Der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter würdigt das Jubiläum an diesem Donnerstag mit einem Festakt in Berlin, zu dem auch Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) erwartet wird.