Im dem alten Hauptgebäude ist seit gut zehn Jahren ein Altenheim für ehemals Obdachlose beheimatet. Foto: Frank Eppler

Die Erlacher Höhe feiert am Wochenende ihr 125-jähriges Bestehen. Was hat sich verändert, was ist gleich geblieben? Die Antwort sei einfach, sagt der geschäftsführende Vorstand Wolfgang Sartorius.

Großerlach - Angefangen hat alles mit einem Verein engagierter Christen und der Idee „Arbeit statt Almosen“. Der Verein übernahm 1891 die längst verfallene Glashütte in Großerlach-Erlach und baute sie um. Das Ziel war, Männern, die im Zuge der industriellen Revolution arbeitslos geworden waren, ein Obdach zu geben und sie zu einem „geordneten und arbeitsamen Leben“ zurückzuführen.

Über die Anfangsjahre ist nicht mehr jedes Detail überliefert. Als gesichert gilt, dass sich 1911 bereits 333 sogenannte Kolonisten der Erlacher Höhe angeschlossen hatten. Unter der Regie des Personals – Hausvater Gottlieb Schnabel, seiner Frau, zwei Aufsehern und drei Knechten – arbeiteten sie in der Landwirtschaft und versorgten sich selbst.

Grundlegend neue Ausrichtung in den 1960ern

Grundlegend geändert hat sich das Leben in der Kolonie in den 1960er-Jahren. Damals verlor die Landwirtschaft an Bedeutung, es entstanden erste Arbeitsplätze in der Blech- und Metallverarbeitung. 1975 benannte man sich in „Erlacher Höhe“ um. 1978 wurde die erste therapeutische Wohngemeinschaft eröffnet, 1982 in Backnang eine Anlaufstelle für Wohnungslose mit Notübernachtung eingerichtet. Erst 1987 wurden erstmals Frauen aufgenommen.

Heute ist aus der einstigen Arbeiterkolonie im Schwäbischen Wald unter dem Dachverband der Diakonie ein Sozialunternehmen mit rund 260 Mitarbeitern geworden, das am Stammsitz und in 15 Niederlassungen in sechs baden-württembergischen Landkreisen täglich etwa 1500 Jugendliche, Frauen und Männer betreut. Es gibt Hilfen für Wohnungslose, bei Arbeitslosigkeit, zur Eingliederung, pflegerische und sozialtherapeutische Unterstützung. Am kommenden Wochenende wird das 125-jährige Bestehen der Einrichtung gefeiert (siehe „Veranstaltungen zum Jubiläum“).

Sartorius: Digitale Revolution generiert Verlierer

Was hat sich verändert, was ist gleich geblieben in den 125 Jahren? Die Antwort sei einfach, sagt Wolfgang Sartorius, der die Einrichtung seit mehr als 20 Jahren als geschäftsführender Vorstand leitet: „Auch unsere Gesellschaft produziert – so wie damals die junge frühindustrielle Gesellschaft – Lebenslagen, die sich in zunehmender sozialer Ungleichheit ausdrücken.“ Digitale Revolution oder Arbeitswelt 4.0 lauteten die Stichworte heute. Wie damals generierten fortschrittliche Umbrüche in der Arbeitswelt auch Benachteiligte: „Menschen, die ihre Arbeit verlieren oder gar nicht erst hineinkommen, weil sie den veränderten Bedingungen der digital globalisierten Arbeitsmärkte nicht standhalten können.“

Zwar seien die grundsätzlichen Bedingungen dank sozialer Sicherungssysteme heute besser als damals. Allerdings seien die Auffangsysteme teilweise so dürftig ausgestattet, dass einige Menschen kaum überleben könnten, weil ihr Einkommen nicht ausreiche. „Armut hat viele Facetten“, sagt Sartorius, „und manchmal geraten Menschen in Lebenslagen, die für sie so unübersichtlich sind, dass es ohne Hilfe nicht geht.“

Für diese Fälle können diakonische und karitative Einrichtungen wie die Erlacher Höhe rettende Anker sein. Dass ihre Arbeit auch nach 125 Jahren weiterhin dringend gebraucht wird, darum ist Wolfgang Sartorius nicht bange: „Es ist zu vermuten, dass wegen eines Mangels an Not der Erlacher Höhe die Arbeit kaum jemals ausgeht.“ Oder anders ausgedrückt: „Samariter haben auch noch im 21. Jahrhundert in Deutschland alle Hände voll zu tun.“

Veranstaltungen zum Jubiläum

Benefizlesung
Am Freitagabend, 1. Juli, kommt der Kriminalroman- und Drehbuchautor Felix Huby zu einer Lesung in den alten Bullenstall der Erlacher Höhe. Der Eintritt, 10 Euro pro Person, kommt der Einzelfallhilfe der Erlacher Höhe zugute. Die Lesung beginnt um 19 Uhr.

Jahresfest
Die Jubiläumsfeier auf dem Campus der Erlacher Höhe beginnt am Sonntag um 10.30 Uhr mit einem Festgottesdienst. Um 12 Uhr gibt es Leckereien aus der Erlacher-Höhe-Küche. Um 13 Uhr folgt eine Diskussionsrunde. Teilnehmer sind unter anderem der Sozialminister Manfred Lucha, der Landesbischof Frank Otfried July und der Landrat Richard Sigel. Den Tag über sind ein Kinderprogramm, Führungen und eine „gläserne Produktion“ geplant.