Die Gespanne warten im Hof der Brauerei Dinkelacker darauf, beladen zu werden Foto: Dinkelacker

Diesen Geburtstag kann man riechen. Der malzige und süße Geruch wabert seit Tagen durch den Stuttgarter Süden. Dinkelacker braut sein Jubiläumsbier. Es gibt Grund zu feiern: Vor 125 Jahren hat Carl Dinkelacker das Unternehmen gegründet.

Stuttgart - Früher war alles besser. So erzählen die Altvorderen gerne. Und gerade bei den Brauereien könnte man geneigt sein, sich diese Geschichten von der guten alten Zeit zu erzählen. Zur Herzenswärme und zum Trost. Von Zeiten, als es noch hundert Brauereien in Stuttgart gab, im Gegensatz zu deren sechs mit Dinkelacker, Hofbräu, Sophie’s Brauhaus, dem Wichtel, dem Calwer Eckbräu und der Hausbrauerei Schlossturm im SI-Centrum. Von Zeiten, als die Menschen noch Bier tranken, als noch nicht Konkurrenz aus Norddeutschland und Bayern drohte, als man den Alkohol noch nicht als Geißel der Gesellschaft brandmarkte.

„Es ist ein rückläufiger Markt“, sagen sie bei Dinkelacker. Sprich, es wird weniger Bier getrunken, Marktanteile gewinnt man nur, wenn man sie der Konkurrenz abnimmt. 800 000 Hektoliter braut man im Stuttgarter Süden im Jahr. Zum Vergleich, Oettinger braut neun Millionen Hektoliter Billigbier. Man muss also auf sich aufmerksam machen. Das ist Dinkelacker-Schwabenbräu mit der Wiederbelebung von Wulle gelungen, mit der alten Marke buhlte man um junge Leute, denen Papas Halbliterflasche zu altbacken war. Kein leichtes Unterfangen. Denn das Klientel ist schwierig: irgendwie kreativ, gegen Werbung allergisch, aber hochsensibel, wenn der Nachbar das gleiche Bier trinkt. Deutsche Union, König Pilsner oder Warsteiner erlangten Kultstatus und verloren ihn wieder. Das Tannenzäpfle-Pils der Rothaus-Brauerei ist dagegen schon seit Jahren in, Dinkelacker-Schwabenbräu knüpft mit Wulle in Stuttgart daran an. Werbung dafür verkneift man sich, die Szene soll das Bier selbst entdecken.

In Stuttgart war das Bierbrauen lange Zeit verboten

Ansonsten kennt man aber durchaus die Maxime „Tue Gutes und rede darüber“. Dass der 26 Jahre alte Kommerzienrat Carl Dinkelacker 1888 an der Tübinger Straße seine gleichnamige Brauerei gründete und seither 125 Jahre verstrichen sind, ist ein guter Grund für eine Werbekampagne. Man braut Jubiläumsbier nach „einer Rezeptur aus alter Zeit“, 12 500 Kisten je 20 Flaschen und 1250 Fass je 30 Liter. Die gehen an die Gastronomie und an jeden Haushalt in Stuttgart. Denn die Brauerei verteilt Gutscheine an die Stuttgarter für je eine Flasche Bier. Und das Bier wird an Lokale und Restaurants in den kommenden vier Wochen mit einem Pferdefuhrwerk ausgefahren. Wie in der guten alten Zeit.

Doch war die jemals so gut? In Stuttgart war das Bierbrauen nämlich lange Zeit verboten. Julius Hartmann schrieb in seiner Stadtchronik zum Jahr 1630: „Die Bierbrauerei kommt auf, wird aber mit Rücksicht auf den Weinbau wieder verboten.“

Zwar erlaubte Herzog Eberhard III. später wieder das Bierbrauen: Im Dreißigjährigen Krieg waren große Teile der 1200 Hektar Rebfläche in Stuttgart zerstört worden, weil der Wein fürs Volk nicht reichte, brauchte man anderweitig Berauschendes.

Dinkelacker wuchs stetig

Doch die Herrscher sicherten sich selbst das Privileg des Bierbrauens, das das Haus Württemberg erst 1798 verlor. Laut Hartmann gab es 1800 in der Stadt drei Privatbrauereien: „Diese vermehren sich lange nicht, weil das Bier nur von Soldaten und Handwerksgesellen getrunken wird, die ehrbaren Bürger aber den Besuch des Bierhauses scheuen.“ Man merkt, Carl Dinkelacker hatte Mut, das Geschäft mit dem Bier war zu allen Zeiten ein schwieriges. Zumal er ein Nachzügler war. Ernst Wulle gründete 1859 an der Neckarstraße seine Brauerei. Robert Leicht fing 1878 im Gasthaus zum Ochsen in Vaihingen mit dem Bierbrauen an, daraus wurde Schwabenbräu. Andere bekannte Namen zu dieser Zeit sind Brauerei Englischer Garten, Denninger und Rettenmeyer und Tivoli, die in Hofbräu aufgingen, die Schlossbrauerei in Gablenberg oder Zöppritz in Bad Cannstatt.

Kein Zufall ist es, dass Dinkelacker das Grundstück im Süden wählt. Denn zum Brauen und Lagern muss es kalt sein, und das geht nur in Kellern. Die gräbt man waagrecht in den Hang, an den Seen in Vaihingen hackt man das Eis, um das Bier zu kühlen. Heute noch kann man die Keller auf dem Betriebsgelände besichtigen. Wie überhaupt die Brauerei fast schon ein Industriemuseum ist, nur wenige Firmen in Stuttgart sind seit 125 Jahren am selben Ort. Dinkelacker wuchs stetig, 1971 fusioniert die Brauerei mit Wulle, 1977 erwirbt sie Sanwald. 1996 schließen sich Dinkelacker und Schwabenbräu zusammen. Die Jahre der Irrungen und Wirrungen beginnen. Weil der belgische Großkonzern Inbev im Jahr 2003 den Mehrheitsaktionär Franziskaner übernahm, gehörte Dinkelacker Schwabenbräu plötzlich zu einem Brauriesen, der damals zwölf Milliarden Euro umsetzte. Ende 2006 kaufte Wolfgang Dinkelacker die Brauerei zurück. Seitdem ist sie wieder in Familienbesitz. So wie vor 125 Jahren.