Traditioneller Tanz von Aborigines-Frauen. Foto: Imago/Newscomworld

Rituale gehören zur Natur des Menschen. Ohne sie wäre er ziel- und planlos. Doch seit wann gibt s sie? Ureinwohner der GunaiKurnai-Aborigines in Australien könnten schon vor rund 12 000 Jahren dieselbe rituelle Zeremonie abgehalten haben wie heute.

Unser ganzes Leben ist durchwoben von Ritualen. Durch sie gewinnt der Mensch Sicherheit und Stabilität, sie schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Identität. Rituale bringen Ordnung in den Alltag, helfen, Krisen zu bewältigen, stiften Begegnung und Beziehungen. Kurzum: Rituale gehören zur „Conditio humana“ – zur Natur des Menschen. Doch welchem Zweck dienen sie? Was macht sie so wichtig und unentbehrlich? Eine neue Studie gibt darauf Antworten – aus historisch-ethnografischer Perspektive.

Von Generation zu Generation tradiert

Historische Berichte von Ethnografen legen nahe, dass Menschen bereits vor langer Zeit rituelle Praktiken ausgeübt haben. Wie diese frühen Rituale ursprünglich aussahen, ist jedoch weitgehend unbekannt.

Zum einen haben frühe Gesellschaften ohne Schriftsprache ihre Riten nicht selbst dokumentiert, sondern nur mündlich überliefert. Zum anderen könnten sich sowohl die Praktiken selbst als auch deren Dokumentation bei der Weitergabe des Wissens von Generation zu Generation verändert haben. Zudem ist archäologisches Material, das die Riten belegen könnte, nur selten über lange Zeiträume erhalten geblieben.

Rituelle Orte der Aborigines

Berichte aus Australien legen nahe, dass die Ureinwohner der GunaiKurnai-Aborigines dort bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ein besonderes Ritual praktizierten, das bis heute existiert. Der Aborigine-Stamm der Kurnai oder Gunai lebte im Südosten Australiens in einem Gebiet, das sich in großen Teilen über Gippsland und über die südlichen Abhänge der Alpen von Victoria erstreckt.

Dabei befestigten die australischen Ureinwohner einen persönlichen Gegenstand mit Fett an einem präparierten Stock aus Kasuarinenholz und steckten diesen neben einer Feuerstelle in den Boden, sodass dieser schräg über das Feuer ragte.

Dann sangen sie, bis der Stock von allein umfiel. Der Besitzer des Gegenstandes sollte so geheilt werden oder Schaden erleiden. Das Ritual führten die Medizinmänner und Medizinfrauen der Aborigines in abgelegenen Höhlen durch, so lautet die Überlieferung.

Höhle der GunaiKurnai im Südosten Australiens

Ein Forscherteam um Bruno David von der australischen Monash University in Melbourne hat nun in der Cloggs-Höhle tatsächlich Relikte gefunden, die auf eine lange Historie dieses Brauchs hinweisen. Die zwölf Meter tiefe und fünf Meter hohe Höhle liegt im Gebiet der GunaiKurnai im Südosten Australiens, im heutigen Bundesstaat Victoria nahe der Stadt Buchan.

Die Studie ist im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ erschienen.

Mit Fett beschmierte Stöcke an Feuerstellen

Dabei entdeckten David und seine Kollegen zwei kleine Feuerstellen, bestehend jeweils aus einem Steinkreis mit Asche und einem einzelnen geschnitzten Stock, von dem die kleineren Äste und die Rinde entfernt wurden.

Der eine Stock war etwa 40 Zentimeter lang, der andere rund 20 Zentimeter. Chemische Analysen und Radiokarbondatierung des Holzes ergaben, dass die Stöcke von Kasuarinen – buchenartigen Bäumen – stammen und zwischen 11 000 und 12 000 Jahre alt sind. Die Spitze der Stöcke war leicht verkohlt. Auf dem Holz fanden die Forschenden zudem Spuren von menschlichen oder tierischen Fetten.

Magische und heilende Kräfte

In der restlichen Höhle fanden sich keine Hinweise darauf, dass darin gekocht oder geheizt wurde. Beispielsweise enthielt die Höhle keine Knochen von geschlachteten Tieren oder stark verkohlte Hölzer. Stattdessen fanden die Archäologen steinerne Formationen und Anordnungen von abgebrochenen Tropfsteinen, die auf eine Art rituelle Nische hindeuten.

Zudem befanden sich in der Höhle ein Schleifstein und zahlreiche zerbrochene oder zermahlene Kieselsteine und Kristalle. Diese Gesteine tauchen ebenfalls in ethnografischen Beschreibungen auf: Die Aborigines schreiben ihnen demnach magische und heilende Kräfte zu.

Überlieferte Zeremonie über 500 Generationen hinweg

David und seine Kollegen schließen aus ihren Funden, dass die Feuerstellen in den Höhlen nicht als Wohnort, sondern als rituelle Orte dienten, und dass die Ureinwohner dort tatsächlich Zeremonien abgehalten haben, die den historischen Berichten stark ähnelten.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, „dass ein Teil des Stäbchens bei seiner Verwendung mit Fett oder Fettsäuren bestrichen wurde, die mit tierischem oder menschlichem Fett in Verbindung gebracht werden“, schreiben die Forscher.

„Diese einzigartige Kombination weist auf die Überlieferung einer sehr spezifischen lokalen Kulturpraxis über 12 000 Jahre hin. Bei diesen Erkenntnissen handelt es sich nicht um die Erinnerung an überlieferte Praktiken, sondern um die Weitergabe von Wissen in nahezu unveränderter Form von einer Generation zur nächsten über rund 500 Generationen hinweg“, berichten die Archäologen.

Sie vermuten demnach, dass das Ritual in dieser Form bereits seit dem Ende der letzten Eiszeit von den GunaiKurnai praktiziert wird. Es könnte sich somit sogar um den ältesten bekannten Brauch überhaupt handeln, so das Team.