Militante Islamisten haben sich im Südwesten eingenistet - Verbindungen zu 11. September 2001.

Stuttgart - Von den Terroristen, die am 11.September 2001 New York und Washington angegriffen haben, führen direkte Linien in die Szene militanter Islamisten in Baden-Württemberg. Diese zeigt sich 2011 vitaler denn je.

Der Scheich starb unvorbereitet und schnell. Kugeln streckten Anwar Sha'bar in seinem beigefarbenen Toyota-Geländewagen im bosnischen Zepce nieder. Das Funkgerät noch in der Hand, mit dem er seine Begleiter vor einem kroatischen Checkpoint warnen wollte. Blutüberströmt sackte der Berufsdschihadist auf der Rückbank des Geländewagens mit dem Kennzeichen SA-2142-AA zusammen - über seinem Laptop. Auf der Festplatte des Reisecomputers hatte der oberste Kommandeur der auf dem Balkan kämpfenden Mudschaheddin alles gespeichert, was in Sachen weltweiter Terrorismus bis zu diesem 14. Dezember 1995 zusammenzutragen war.

Briefe, Notizen, Listen, Videos, seinen Schriftwechsel mit Osama bin Laden und dessen Adjutanten - der Ägypter sammelte alles penibel auf dem Datenspeicher, der unserer Zeitung in Kopie vorliegt. Brisant: Die Informationen von der Festplatte Scheich Anwar Sha'bars führen aus dem Jahr 1995 ins Heute, auch nach Baden-Württemberg. In den schwäbischen Dschihad.

Ein Kampf für Allah und das Paradies

Ein Video auf dem Notebook zeigt beispielsweise den Besuch des damaligen bosnischen Staatspräsidenten Alija Izetbegovic bei der 7. Mudschaheddin-Brigade im zentralbosnischen Zenica. Der Staatsmann schreitet eine Ehrenformation ab, bleibt bei einem Kämpfer in grünem T-Shirt und fleckengetarnter Hose kurz stehen, schüttelt seine Hand und spricht mit ihm, bevor er weitergeht. Der sogenannte Gotteskrieger hat adrett geschnittene schwarze Haare, einen gepflegten Bart, der bis auf seine Brust reicht. Sein Aussehen hat Reda Seyam seit jenen Tagen nicht verändert, als er auf dem Balkan kämpfte - angeblich für Allah und das Paradies.

Ein anderes Video, aufgenommen am 11.Oktober 1994, ein neuer Besuch Izetbegovics bei seinen islamistischen Elitesöldnern in Zenica. Der Präsident sitzt an einem fein gezimmerten Tisch in einem Wald. Er bittet Reda Seyam zu sich, unterhält sich lebhaft mit dem Deutschen, der lange Zeit in Ulm lebte und heute in Berlin-Charlottenburg wohnt. Zwischen Izetbegovic und dem Dschihadisten von der Donau: Abdel Kadeer Moktari Abou Mali, Osama bin Ladens Europabeauftragter.

Weitere Videosequenzen zeigen Reda Seyam in weniger harmonischer Runde. Er wirkt angespannt am 24. Juli 1995, als er die Enthauptung serbischer Kriegsgefangener im Internierungslager Kamenica filmt. Arabische Kampflieder begleiten Szenen, auf denen Mudschaheddin den Gefangenen erst die Handfesseln zerschneiden, ihnen Schaufeln in die Hände drücken und sie zwingen, ihre Gräber auszuheben. Dann zücken die vorgeblich gottesfürchtigen Krieger kleine Äxte, die sie eigens für solche Zwecke immer mit sich führten. Genau eine solche Axt schärft Seyam in einem anderen Video freundlich lächelnd.

"Ich werde hier gut bewacht"

In Deutschland wird er sie nicht brauchen. "Ich werde hier ja gut bewacht", lacht der heute 51-Jährige. Es amüsiert Seyam, dass sich Staatsschützer an seine Fersen geheftet haben. Beweisen können die Ermittler nicht, was sie dem stämmigen Deutsch-Ägypter vorwerfen: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Er wird observiert, manchmal rund um die Uhr. Es laufen Ermittlungsverfahren gegen ihn, eines wird derzeit in München verhandelt. Die Tatvorwürfe: Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung.

Reda Seyam reiste 1988 in die Bundesrepublik ein, heiratete eine Deutsche, erhielt so die deutsche Staatsbürgerschaft. 1994 zog er als sogenannter Gotteskrieger auf die bosnischen Schlachtfelder. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA hält ihn für einen der entscheidenden Männer El Kaidas. Sie wollen in Seyam einen der Drahtzieher des Bombenanschlags in Bali 2002 ausgemacht haben, bei dem mehr als 200 Menschen starben. Eine Einschätzung, die deutsche Ermittler hinter vorgehaltener Hand teilen. Seine deutsche Frau trennt sich von ihm, das Bundeskriminalamt (BKA) nimmt sie in ein Zeugenschutzprogramm auf.

Als Seyam im Januar 2003 in Indonesien zu zehn Monaten Haft verurteilt wird, holt ihn ein Beamter des BKA aus dem Knast und bewahrt ihn vor der Auslieferung an die Amerikaner. Auf Druck der rot-grünen Bundesregierung, die keinen deutschen Staatsbürger in einem amerikanischen Foltergefängnis wissen will - wie es heißt.

Ein Autohandel in Ulm

Seyam lebt erst einmal in Ulm, engagiert sich im 2005 verbotenen Multikulturhaus Neu-Ulms. Dann im Islamischen Kulturzentrum (IIZ), das sich zwei Jahre später unter dem Druck der Sicherheitsbehörden auflöst. Reda Seyam kennt aus dieser Zeit viele, die den Ton in der internationalen Terrorszene angeben. Den Koordinator der Hamburger Terroristen, die am 11. September 2001 New York und Washington angriffen, Ramzi Binalshib, hat er persönlich in seinem Auto aus Bosnien nach Deutschland gefahren. Und Seyam kennt alle, die im Schwabenland vom Dschihad träumen.

Ranie M. etwa, Deutscher palästinensischer Abstammung, der in Ulm einen Autohandel betreibt. Er ist ein enger Freund Attila Seleks. Dieser wiederum war einer der Terrorhelfer der Sauerlandgruppe, die gewaltige Sprengstoffanschläge in Deutschland plante. Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. In diesem Jahr hat er seine Strafe verbüßt, die deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihm aberkannt. M., der sich regelmäßig in der Ulmer Fußgängerzone bemüht, neue Gläubige für die als besonders konservativ geltende Salafismus-Ausrichtung des Islam zu gewinnen, nennt sich in Internetbotschaften "Abou Abdullah". Zu Daniel P. aus Biberach, der aktuell in München vor Gericht steht, pflegt er engen Kontakt. P. soll eine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt haben.

Es sind solche Verbindungen, die auch den Beamten im baden-württembergischen Innenministerium die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Denn die Ministerialen wissen: Besonders die salafistischen Strömungen erkennen westlich geprägte Verfassungen und Rechtsordnungen nicht an und zielen auf die Einführung des islamischen Gesetzes, der Scharia. Niedersachsens Verfassungsschutzpräsident Hans-Werner Wargel bringt es auf die zugespitzte Formel: "Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist - aber jeder Terrorist ist ein Salafist."

Brisante Kontakte an Donau und Neckar

Das trifft nach Erkenntnissen der bosnischen Generalstaatsanwaltschaft auch für Edis S. aus Ulm zu. Ihn haben die Ermittler 2009 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Handels mit Waffen und militärischer Ausrüstung vor dem obersten bosnischen Gericht unter dem Aktenzeichen X-K-09/670-2 angeklagt. Der Hintergrund: Im November 2009 nahmen bosnische Spezialeinheiten den früheren Mudschahed Rijad Rustempasic in einer eindeutigen Situation fest: Der kriegserfahrene Salafist ließ sich in genau dem Moment für ein Bekennervideo filmen, als Elitepolizisten das Haus in einem Vorort Sarajewos stürmten. Die Fahnder stellten Dokumente und Videos sicher, die belegen, dass Rustempasic Anschläge gegen katholische Einrichtungen, diplomatische Vertretungen und die EU-Friedenstruppe Althea in dem Balkanland plante.

Abgehörte Telefongespräche und sichergestellte Unterlagen belegen zudem, dass Edis S. für die Terrorgruppe in Deutschland Nachtsichtgeräte und Uniformen besorgt hatte. Sie wurden per Transitbus über Wien nach Bosnien geliefert.

S. hat weitere brisante Kontakte an Donau und Neckar. Für den Kampf seiner Glaubensbrüder am Hindukusch sollte er Geld sammeln und Waffenbrüder rekrutieren. Auf Anweisung eines El-Kaida-Kommandeurs, wie amerikanische Ermittler wissen wollen. Erst im Frühjahr vergangenen Jahres habe er dazu seine Anweisungen aus Afghanistan erhalten. Zum Jahreswechsel besuchte ihn in seiner Ulmer Wohnung der deutsche Konvertit Ahmed Khaled M., der im Mai 2009 in Pakistan festgenommen und abgeschoben worden war. Er wollte illegal ins afghanische Kampfgebiet reisen.

Bosnische Generalstaatsanwaltschaft ist ratlos

Immer wieder hat S. Kontakte zu Bewaffneten. Und er kennt sich selbst mit Waffen bestens aus. Am 29. Juli 1999 stellte ihm das Bürgermeisteramt Heidenheim eine Waffenbesitzkarte als Sportschütze aus. Zwar gab er die freiwillig neun Jahre später beim Ordnungsamt der Stadt Ulm wieder ab - doch es stellte sich heraus, dass der Terrorverdächtige inzwischen eine Ersatzkarte ausgestellt bekommen hatte, die alte sei verloren gegangen. Die Ermittlungen der Polizei in Bonn verliefen im Sand.

Von fehlenden Dokumenten und Terrorismus will S. nichts hören, als unsere Zeitung ihn mit den Vorwürfen konfrontiert: "Blödsinn", poltert der stämmige Hüne. Sein Unterkiefer malmt, seine Wangenmuskeln arbeiten, seine Rechte ballt sich zur Faust, öffnet sich, ballt sich. Nein, er wolle nichts zu den Vorwürfen sagen. Nur das eine: Unschuldig sei er, das sei ja auch "schon daran zu erkennen, dass die deutsche Polizei mich nicht verhaftet hat".

Ratlos ist inzwischen die bosnische Generalstaatsanwaltschaft in Sarajewo. Sie hat im Dezember vergangenen Jahres den Fall S. vom Fall Rustempasic abgetrennt. Der steht seit Februar vor dem Richter. Beim Fall S. verweisen die Ermittler in ihren Pressemitteilungen monoton darauf, dass sich "der Angeklagte dem Zugriff der bosnischen Ermittlungsbehörden entzieht".

Im persönlichen Gespräch wird der Sprecher des bosnischen Chefanklägers jedoch deutlicher. Man habe, beschwert er sich diplomatisch, bereits mehrfach die Auslieferung des terrorverdächtigen Ulmers von Deutschland beantragt. Aber, so fährt Boris Grubesic fort, "wir haben bis heute keine positive Reaktion auf unsere Ersuchen vonseiten des deutschen Justizministeriums feststellen können. Wir freuen uns, wenn die Bundesrepublik Deutschland mit uns gemeinsam den Kampf gegen den internationalen Terrorismus engagiert führt."

Kampf mit angezogener Handbremse

Ein Kampf, der auch weiterhin mit eher angezogener Handbremse in Berlin geführt wird. Im Justizministerium sind die bosnischen Hilfeersuchen offenbar falsch verstanden worden. Eine Sprecherin von Ressortleiterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beantwortet die Fragen unserer Zeitung zu dem Fall so: "Es ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden im ermittelnden Staat, ein Auslieferungsersuchen zu stellen. Wenn ein solches Ersuchen vorliegt, wird Deutschland darauf reagieren. Ihr Hinweis ist aber Anlass für uns, nach Möglichkeiten zu suchen, die Zusammenarbeit mit den Behörden in Bosnien-Herzegowina zu prüfen und mögliche Kommunikationsschwierigkeiten zu beheben."

Von einer besseren Kommunikation im Fall S. könnten auch deutsche Ermittler profitieren. Denn aus dem bosnischen Fall Rustempasic führen auch Spuren nach Stuttgart: Am 27. Juni vergangenen Jahres explodierte vor der Polizeistation im bosnischen Bugojno eine 15 Kilo schwere Bombe, tötete einen Beamten und verletzte sechs. Während seiner Flucht warf der Bombenleger drei Handgranaten auf seine Verfolger. Der Attentäter wurde dennoch überwältigt: Haris Causevic, auch bekannt unter dem Namen Oks.

In seinen ersten Vernehmungen plauderte der Terrorist über seine Mittäter, gestand seine Mitgliedschaft in einer wahabitischen Terrorgruppe, gab Kontakte zu Rustempasic zu und erzählte den Fahndern auch, dass sein Bruder Enes Causevic als Vorbeter, als Imam, in der baden-württembergischen Landeshauptstadt auftrete.

Botnang: Dschihad-begeisterte Zuhörer

Im Stuttgarter Stadtteil Botnang predigt Abou Enes regelmäßig in der Moschee Sahabe in der Regerstraße. Dorthin lud Causevic am 31. Mai 2011 auch den bosnischen Prediger Bilal Bosnic zum Vortrag ein. Das Publikum: vor allem Dschihad-Begeisterte.

Denn Bilal Bosnic weiß aus eigener Erfahrung, wovon er seinen Anhängern erzählt: Er gehörte während des Bosnien-Kriegs zu einer Spezialeinheit der 7. Mudschaheddin-Brigade im zentralbosnischen Zenica. Zu dem Verband, in dem auch Reda Seyam diente. Bosnic ist ein charismatischer Redner, der sein Handwerk bei Yusuf Barcic gelernt hat. Der rekrutierte nach übereinstimmenden, unserer Zeitung vorliegenden Erkenntnissen bosnischer wie Nato-Geheimdienstler bis Mitte der 2000er Jahre bosnische Muslime für die Kriege in Afghanistan und im Irak. Auch Bosnic hat nach diesen Dokumenten noch 2010 junge Bosnier in den Kampf am Hindukusch schleusen lassen.

Acht Islamisten hat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg als sogenannte Gefährder eingestuft. Fahnder beobachten die Männer. So wollen sie das Schlimmste verhindern. Es explodieren keine Bomben im Land, kein Gewehrfeuer hallt auf der Alb. Der Heilige Krieg, der Dschihad, ist leise zu den Schwaben gekommen.