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Joe Cocker singt bei bestem Wetter beim Open-Air-Konzert in Bietigheim-Bissingen.

Bietigheim - Joe Cocker beweist noch immer Stimme und Leidenschaft: Die 66-jährige Rocklegende begeisterte am gestrigen Sonntagabend knapp 10000 Fans bei seinem Openair-Konzert in Bietigheim-Bissingen mit einem Querschnitt seiner größten Hits. Im Vorprogramm rockten Fools Garden.

Der Mann ist ein Phänomen: Er bedient mit seinen Liedern die Hitparaden, findet jedoch mit seiner markanten Soul-Blues-Röhre auch in Fachkreisen Anerkennung. Seine nunmehr 40-jährige, von Drogenproblemen und persönlichen Niederlagen gezeichnete Karriere verlief alles andere als gradlinig, doch er stand stets wieder auf und kehrte auf die Bühne zurück. Eines von zwei Openair-Konzerten in Deutschland führte Joe Cocker nun auf den Festplatz am Viadukt in Bietigheim-Bissingen.

Mit seinen Hits könnte Cocker gut zwei Abende füllen, jeden Song glaubt man zu kennen - und sei es, weil er schon so viele Klassiker gecovert hat. Vom neuen Album "Hard Knocks", das am 1. Oktober erscheint, ist wenig zu hören, dafür kommen selbst nahezu totgespielte Nummern wie "Unchain My Heart", "Up Where We Belong", "Summer In The City" oder "You Can Leave Your Hat On" frisch wie am ersten Tag rüber.

Auch sonst ist das britische Stehaufmännchen mit der Reibeisenstimme für sein Alter gut in Form: Sein legendäres Armrudern hat jede Unbeholfenheit verloren, und in weiten Teilen vermittelt der Auftritt mit den Pausen zwischen den Liedern und dem Griff zur Wasserflasche das Flair eines Chansonprogramms.

Wie sich Cockers Image ohnehin über die Jahre gewandelt hat: Röhrte er früher mit viel Blues empfindsam den Rock, bietet er heute raubeiniges Easy Listening - was dem inzwischen 66-Jährigen recht gut zu Gesicht steht.

Joe Cocker bringt den guten alten Rock

Dazu passt dann auch die schlichte Bühne, auf der mit wenig Licht effektvoll gearbeitet wird. Sie bietet Platz für Schlagzeug, Keyboard, Hammond-Orgel und Flügel sowie zwei Sängerinnen. Die sechsköpfige Band arbeitet präzise wie ein Orchester, die Arrangements sind stimmig und Joe Cocker schluchzt zur Gänsehaut "You Are So Beautiful".

Natürlich sind da die Damen in den ersten Reihen und auf der VIP-Tribüne hin und weg. Sie klatschen im Takt, der Rest des Publikums hat sich noch gut unter Kontrolle. So geht das auch bei den nächsten Stücken weiter, obwohl Joe Cocker nun alles zeigt: Nicht nur, dass er rudert, nicht nur, dass er sich fortwährend in Tonlagen hineinquält, die ihm, wie es scheint, Schmerzen am ganzen Körper bereiten - er springt auch hin und wieder am Ende eines Liedes in die Höhe und landet dank 40 Jahren Erfahrung exakt mit dem letzten Beckenschlag auf dem Boden. Da kann man nur sagen: Alle Achtung.

Bei so viel Leidenschaft will auch die Menge nicht zurückstehen, die Stimmung steigt von Song zu Song, von Ballade zu Ballade. Der gelernte Gasinstallateur aus Sheffield ist noch so gut bei Stimme wie früher und zentriert seine Musik auch nach wie vor um den Gesang.

Wenn auch so vieles heute anders ist, eines ist er geblieben: Der kauzige Geschichtenerzähler, der Luftgitarre spielende Sänger, der sich mit Songs wie dem Beatles-Klassiker "With A Little Help From My Friends" vom legendären Woodstock-Festival 1969 ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt hat.

Joe Cocker bringt den guten alten Rock und die Erinnerung an die alten Träume mit experimentloser Routine und unnachahmlicher Stimme zur Symbiose. Ein gewisser Hang zu großen Gefühlen und großen Gegensätzen ist offenbar. Doch das ist gerade das Salz in seiner Musik.

Es gelingt zwar nicht alles mit dem gleichen Esprit, der Energie und der Verve von früher, doch vieles. Fazit: Ein gut anderthalbstündiger Auftritt ohne Überraschungen. Für seine begeisterten Fans lässt das Raubein mit Stimme jedenfalls keine Wünsche offen.