Foto: AP

100-Tage-Bilanz: SPD-Fraktionschef Steinmeier hat der Regierung "totales Versagen" vorgeworfen.

Berlin - 100 Tage nach dem Start der neuen Bundesregierung hat SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Koalition aus Union und FDP "totales Versagen" vorgeworfen. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast bescheinigte der Regierung, sie habe weder Ziel noch Konzept. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe räumte Probleme beim Start von Schwarz-Gelb ein und rief zu mehr Disziplin auf. FDP-Chef Guido Westerwelle rechnet damit, dass die Koalition noch stärker unter Druck gerät. "Der Wind wird noch an Schärfe zunehmen", schrieb er am Donnerstag in einem Brief an die Parteimitglieder.

Die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU/CSU), Birgit Homburger (FDP) und CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich wiesen die Kritik der Opposition zurück und kündigten Schritte für mehr Wirtschaftswachstum an. "Bereits in den nächsten Monaten" seien weitere Maßnahmen geplant, schrieben sie in einer gemeinsamen Erklärung. Es gehe um Bürokratieabbau, das Elektroautoprogramm und Internetausbau. Für mehr Zuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern sollten bis Ende Juni Vorschläge vorliegen. Trotz der Wirtschaftskrise habe man es geschafft, den Anstieg der Arbeitslosigkeit so stark zu begrenzen wie in keinem anderen hochentwickelten Land.

Die Fraktionsspitzen bauten zugleich schon einmal vor, dass es auch künftig strittige Debatten geben wird: Die Partner müssten auch "miteinander um die besten Lösungen ringen".

Steinmeier: Regierung steht für Chaos und Klientelpolitik

Steinmeier sagte, die Regierung stehe für Chaos und Klientelpolitik. Das gelte vor allem für die Steuerpolitik, für die noch immer ein klares Konzept fehle, sagte er im RBB-Inforadio. Auch für die Gesundheitspolitik sei noch kein Konzept vorgelegt worden. "Wenn es Rekorde gibt in dieser Bundesregierung, dann die Zahl der Neustarts." Drei habe es gegeben: "Einen großen Krisengipfel, einen Ministerrücktritt in Rekordzeit, eine Kabinettsumbildung in Rekordzeit."

Grünen-Fraktionschefin Künast sagte dem Fernsehsender n-tv über die Koalition: "Besser als "mangelhaft" kriegt sie von mir nicht." So, wie die Regierung heute agiere, "wird sie nicht vier Jahre lang halten". Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Donnerstag) mit Blick auf die umstrittene Mehrwertsteuer-Ermäßigung für Hoteliers: "In dieser Koalition haben Klientels und Lobbyisten große Interventionsmöglichkeiten."

Westerwelle zeiht positive 100-Tage-Bilanz

Westerwelle zog in dem Brief an die FDP-Mitglieder ungeachtet aller Kritik eine positive Zwischenbilanz der Regierungsarbeit. "Trotz aller Anfangsschwierigkeiten stimmen die Ergebnisse." Niemand könne erwarten, "dass wir in den ersten 100 Tagen alles umdrehen können, was in elf Jahren falsch gelaufen ist".

CDU-Generalsekretär Gröhe sagte der "Berliner Zeitung" zur Zwischenbilanz der Regierung: "Die Kommunikation nach außen ist durchaus noch verbesserungswürdig." Er könne "uns allen nur raten, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren: Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit". Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) räumte in der "Bild"-Zeitung (Donnerstag) ebenfalls Defizite ein. "Die Regierung arbeitet gut und mit Teamgeist. Die Außendarstellung kann aber besser werden."

Top-Manager sind nach einer Umfrage im Auftrag des "Handelsblatts" und einer Unternehmensberatung mit dem Start von Schwarz-Gelb unzufrieden. Sie geben der Bundesregierung nach der Umfrage des Marktforschungsunternehmens Psephos unter mehr als 700 Spitzenmanagern auf einer Skala von eins (sehr gut) bis fünf (sehr schlecht) die Durchschnittsnote 3,2. Das sei die schlechteste Beurteilung einer Bundesregierung seit November 2006, als die Manager die damalige große Koalition mit 3,5 bewertet hätten.