Am 13. Dezember ist Michael Scharmann als neuer OB ins Rathaus eingezogen. Foto: Stoppel

Seit gut drei Monaten amtiert Michael Scharmann als Oberbürgermeister im Weinstädter Rathaus. Im Interview reflektierter seinen Rollenwechsel vom Stadtrat zum Rathauschef und spricht über Projekte für die Stadt.

Weinstadt - Seit gut drei Monaten amtiert Michael Scharmann als Oberbürgermeister im Weinstädter Rathaus. Im Interview reflektiert er seinen Rollenwechsel vom Stadtrat zum Rathauschef und spricht über Projekte für die Stadt.

Herr Scharmann, Sie haben das Oberbürgermeisteramt als Ihren Traum bezeichnet, den sie schon als Sechsjähriger hegten. Hat es bereits ein böses Erwachen gegeben?
Nein, das hat es absolut nicht. Die Zeit bisher hat mich eher darin bestärkt, dass es die richtige Entscheidung war. Natürlich kann man nach 100 Tagen noch nicht viel sagen, aber auf alle Fälle ist es eine vielschichtige Aufgabe und macht Spaß, so dass ich jeden Morgen nach dem Aufstehen sagen kann: Es ist positiver, als ich zu hoffen gewagt habe, und ich freue mich auf die vor mir liegenden Aufgaben.
Wie war der Rollenwechsel vom Stadtrat zum OB für Sie?
Auf der einen Seite braucht man Zeit, um in den Rollenwechsel hineinzufinden, sich bewusst zu machen, dass man nun Oberbürgermeister ist. Das dauert schon zwei bis drei Wochen. Auf der anderen Seite ist es mir erstaunlich leichtgefallen. Es ist schön, Entscheidungen vorzubereiten, wenn man auch die Sichtweise eines Gemeinderates im Kopf hat. Wie würde man die Beratungsunterlage als Gemeinderat sehen, fehlt möglicherweise noch eine Information oder nicht? Das ist sehr positiv.
Sie sehen es als einen Vorteil?
Ja, unbedingt.

„Es herrscht ein gutes Klima in den Gemeinderatssitzungen“

Von den Bürgern sind Sie mit deutlicher Mehrheit gewählt worden. Haben Sie den Eindruck, dass auch der Gemeinderat hinter Ihnen steht?
Ja, außerordentlich. Man merkt, dass alle bestrebt sind, produktiv und ausschließlich für das Wohl Weinstadts zu arbeiten. Es herrscht ein gutes Klima in den Sitzungen. Natürlich ist die Hemmschwelle mir gegenüber geringer, weil ich sozusagen aus den eigenen Reihen auf die andere Seite des Sitzungstischs gewechselt habe. Ich sehe es überwiegend positiv, wenn Gemeinderäte auf mich zukommen und mir ein Feedback geben. Und man lernt, zur richtigen Zeit sein Amt als Vorsitzender des Gremiums in die Waagschale zu werfen und seine Meinung klar zu vertreten.
Sie haben sich viel vorgenommen. In Sachen Wohnungsbau tut sich ja mit dem Neubaugebiet Halde V schon einmal etwas. Wird dies ausreichen oder muss noch viel mehr getan werden?
Wir haben zurzeit nicht nur die Halde V, sondern eine Vielzahl an Projekten anstehen. Das geht los mit dem Bleistift-Areal in der Beutelsbacher Ortsmitte, wohin die Bücherei umziehen soll und was auch den Wohnbau betrifft. Ende des Monats soll es dazu einen Investorenwettbewerb geben. Beim Birkel-Areal haben wir Kaufinteressenten, mit denen wir in konkreteren Verhandlungen stehen. Es geht weiter mit der Birkel-Spitze, mit der wir einen Anschluss an das Gewerbegebiet Kalkofen herstellen wollen. Zudem geht es beim Erweiterungsbau der Friedrich-Schiller-Grundschule an den Innenausbau. Bei der Halde V haben wir inzwischen einen städtebaulichen Vertrag unterzeichnet, einen Erschließungsvertrag sowie einen ersten städtebaulichen Entwurf als Grundlage für den Bebauungsplan, und wir sind an der Planung der Erschließungsanlagen dran. Ein großes Thema ist auch die Prüfung eines gemeinsamen Quartierskonzepts für die Wohngebiete Halde I, IV und V mit einem Pflegeheim und einer Kindertagesstätte. Ein weiteres Thema ist ein zentrales Feuerwehrgerätehaus. Da sind wir an einem Suchlauf für einen passenden Standort, und es gibt erste Grundstücksverhandlungen. Wir stoßen also gerade Bauprojekte für Gewerbe, Wohnbau und städtebaulich intensiv in alle Richtungen an.
Für all das braucht es aber auch Geld. Wie wollen Sie die angespannte Haushaltslage der Stadt verbessern?
Zum einen natürlich beim Bleistift-Areal durch die Investorenauswahl. So werden wir den Bereich der Stadtbücherei hoffentlich relativ kostenneutral für die Stadt errichten können. Zudem kommen wir damit aus einem Mietverhältnis heraus, was langfristig auch eine strukturelle Verbesserung bringt. Der Ausbau der Gewerbeflächen mit dem Birkel-Areal wird sich mittelfristig durch mehr Gewerbesteuereinnahmen rechnen, und durch die Grundstücksverkäufe können wir Kredite tilgen. Schließlich hatten wir eine große Vorfinanzierung für die Baufläche Halde V. Durch den Zuzug neuer Bürger und den dadurch steigenden Gemeindeanteil an der Einkommensteuer werden wir den Haushalt weiter entlasten können. Wie ein Sechser im Lotto erscheint mir außerdem der Zuschussbescheid von 3,45 Millionen Euro vom Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus für den Bürgerpark. Dieser wird uns auch einen schönen Rückenwind geben, damit wir Dinge entwickeln können, und die Aufenthalts- und Lebensqualität in unserer Stadt weiter steigern. Und es ist schön, dass der Bund uns im Blickfeld hat und unser bürgerschaftliches Engagement so hoch bewertet.
Wird sich das Großprojekt bis zur Interkommunalen Gartenschau 2019 noch realisieren lassen?
Der Bürgerpark mit seinem Bauvolumen von 5,1 Millionen Euro ist mittelfristig angelegt, das ist kein Projekt, das man in zwei, drei Jahren durchzieht. Das wird fünf bis zehn Jahre dauern. Dabei möchten wir die Bürger intensiv einbinden, ein Park von den Bürgern für die Bürger. Selbstverständlich wollen wir zentrale Elemente wie ein Parkzentrum oder die Zugänglichmachung des Schweizerbachs bis zur Gartenschau fertig haben.

„Ich hoffe auf einen Investor für die Ruine am Kappelberg“

Für ein anderes Gartenschauprojekt, den Höhenpunkt am Kappelberg, ist der erhoffte Zuschuss vom Verband Region Stuttgart hingegen deutlich geringer ausgefallen als erhofft. Wie sehen Sie die Chancen, dass er trotzdem nach den bisherigen Planungen umgesetzt wird?
Für mich persönlich muss das Delta, das die Stadt zahlt, so gering wie möglich sein. Wie man weiß, habe ich als Gemeinderat dem Projekt kritisch gegenübergestanden. Das Wohl für Weinstadt ist für mich das A und O. Ich werde versuchen, private Spenden oder Gelder aus der Wirtschaft dafür zu bekommen. Und dann muss man sich Gedanken über eine alternative Ausgestaltung des Höhenpunkts machen: Was würde beispielsweise eine einfache Instandhaltung der Kappelberg-Ruine kosten? Diese Alternativen müssen den bisherigen Planungen gegenübergestellt werden, und dann kann der Gemeinderat entscheiden. Die Region Stuttgart weist dem Projekt zwar einen hohen Stellenwert zu, aber für mich ist es wichtig, dass wir nur Dinge machen, die wir uns bei der Fülle der übrigen Aufgaben finanziell leisten können. Daher werde ich mit allen Mitteln versuchen, Spenden dafür zu bekommen, und wenn nicht, wird mein Votum entsprechend ausfallen. Ein Vorteil ist sicher, dass der Kappelberg in Sichtbeziehung zum Bürgerpark steht. Ich hoffe, dass er dadurch ein positives Image bekommt und jemand etwa sagt: „Den Glockenturm würde ich zahlen.“
Wie sieht es mit dem Bau eines neuen Hallenbads als Ersatz für das Cabrio aus? Wird sich dieser lang gehegte Traum der Weinstädter irgendwann erfüllen?
Das ist ein schwieriges Thema. Mittelfristig müssen wir im Bereich des Bildungszentrums ein Sport- und Schulbad mit einem 25-Meter-Becken und Umkleiden bauen. Langfristig muss man sehen, was dann noch zu dem reinen Schul- und Vereinsbad hinzukommen kann. Aber es gibt keine Lösung für eine Konzeption in den nächsten fünf Jahren. Dies ist auch im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Bürgerbusses zu sehen, um beispielsweise mobilitätseingeschränkten Menschen zumindest die Möglichkeit zu bieten, in Bäder in umliegenden Kommunen zu gelangen.
Womit wollen Sie noch Weinstadt infrastrukturell nach jahrelangem Stillstand wieder ins Laufen bringen?
Bald wird die Ruine des Cabrio abgerissen werden. Und am 9. Mai werden wir den ersten Höhenpunkt für die Gartenschau, die Luitenbächer Höhe in den Weinbergen bei Großheppach, einweihen. Das geplante Sport- und Vereinszentrum der Sportgemeinschaft Weinstadt ist im Rahmenplan verankert, und wir werden es aktiv und mit Know-how unterstützen. Ebenso ist es wichtig für mich, ein Schul- und Sanierungskonzept zu entwickeln. Die entsprechenden Mittel sind im Haushalt eingeplant. Demnächst findet ein Gespräch mit einem Anbieter statt, so dass wir diesen Monat noch den Auftrag vergeben können und es hoffentlich bis Ende des Jahres entsprechende Ergebnisse gibt. Zum Thema Barrierefreiheit, was ich auch im Wahlkampf versprochen habe, haben bereits Gespräche mit dem VdK stattgefunden, und Ende Mai wollen wir dazu einen Lenkungskreis einberufen, um Aufgaben und Maßnahmen in einer Prioritätenliste festzuschreiben. Sie sehen: Es sind also nach 100 Tagen bereits erste Ansätze eines neuen Schwungs zu erkennen, und wenn es die nächsten acht Jahre so weitergeht, wäre das ein Traum.