Zwischen 1945 und 1963 hat Kurt Helbig in Birkach unterrichtet. Das historische Bild zeigt ihn mit einer Schulklasse im Jahr 1961. Foto: privat

Der ehemalige Lehrer Kurt Helbig wird am heutige Montag 100 Jahre alt. 1975 verabschiedete sich der damalige Konrektor der Realschule Degerloch in seinen wohlverdienten Ruhestand.

Birkach/Osterburken - An die Kälte kann sich Kurt Helbig noch genau erinnern. So eisig ist es zwischen November 1946 und März 1947 gewesen, dass fast alle Schulen in Stuttgart schließen mussten. „Nur wir haben weitergemacht“, sagt Helbig und schickt ein Lachen hinterher, in dem der Stolz noch heute mitschwingt. Diesen – wenn auch nicht für die Kinder – glücklichen Umstand habe Birkach damals Wilhelm Winter zu verdanken gehabt. Der betrieb die Milchsammelstelle im Ort und habe so viel Holz bereitgestellt, dass die Schulstube trotz des Frostes immer warm gewesen sei. „Der Unterricht war gerettet“, sagt Kurt Helbig.

100. Geburtstag im Kreise der Familie

Wenn er über die schwere Zeit erzählt, die als „Hungerwinter“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist, werden die Bilder aus der kleinen Birkacher Dorfschule noch einmal lebendig – obwohl sie fast 70 Jahre alt sind. Auch Kurt Helbig ist kein junger Mann mehr. 100 Jahre wird er heute. Seinen Geburtstag wird er – sofern ihn seine gute Gesundheit nicht im Stich lässt – mit seiner Familie, zu der zwei Kinder, drei Enkel und vier Urenkel gehören, im nordbadischen Osterburken feiern. Dort lebt er, seitdem er 1975 in den Ruhestand gegangen ist.

Doch obwohl er schon vor so langer Zeit von den Fildern weggezogen ist, ist er den Birkachern – später auch den Degerlochern – als einer der prägenden Lehrer am Ort in Erinnerung geblieben. „Ich glaube, ich war damals für viele eine Vaterfigur. Zumal es nach dem Krieg nur wenige Männer gab, die als Vorbilder dienen konnten“, sagt er selbst über die Zeit, die er am südlichen Rand von Stuttgart verbracht hat.

Von 1945 bis 1963 hat Kurt Helbig in Birkach unterrichtet. Bis der im lothringischen Metz geborene Sohn eines Offiziers dahin kam, musste er aber einen steinigen Weg zurücklegen. Nach seinem Abitur, das er 1933 im niederschlesischen Glogau abgelegt hatte, beschloss er, Volksschullehrer zu werden. Freilich nicht aus Passion. „Eigentlich wollte ich Diplom-Kaufmann werden“, erzählt Helbig. Weil die Stellen aber rar und die Arbeitslosigkeit hoch waren, brachte eine Zeitungsannonce, in der Lehrer gesucht wurden, die Wende. Helbig bewarb sich, wurde prompt genommen und trat 1936 nach Abschluss seiner Ausbildung seine erste Lehrerstelle in der Oberlausitz an. Die allerdings hatte er nicht lang inne – schon 1937 wurde er eingezogen und war den Zweiten Weltkrieg über Funker und Dolmetscher bei der Luftwaffe.

Kein herzlicher Empfang für die Flüchtlinge

In den letzten Kriegstagen gelang ihm eine abenteuerliche Flucht aus kurzer Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit seiner Frau, die er 1943 geheiratet hatte, seiner 1944 geborenen Tochter Heidi und weiteren Familienangehörigen verschlug es ihn 1945 zunächst nach Untertürkheim, dann nach Birkach.

Der Beginn dort war holprig. Flüchtlinge wie er und seine Familie seien zunächst nicht gerade herzlich empfangen worden, berichtet Helbig. Das allerdings änderte sich schnell. „Mit der Zeit lernte ich die Leute kennen“, sagt der Senior. Die Birkacher hörten ihrerseits auf zu fremdeln und schlossen ihren Dorfschullehrer ins Herz, der zunächst zusammen mit „dem Fräulein Nafz“, später mit weiteren Kollegen dafür sorgte, dass der Nachwuchs etwas lernte.

Dass Kurt Helbig schnell zu einem überaus beliebten Mann im Ort wurde, lag aber wohl nicht nur an seinem Beruf. Vielmehr war der umtriebige Lehrer, der zwischen 1946 und 1949 auch an der Oberschule Hohenheim – dem späteren Paracelsus-Gymnasium Hohenheim (PGH) – den Turnunterricht für die Jungen übernahm, auch in vielen Ehrenämtern aktiv.

So spielte er Fußball beim TSV Birkach, trainierte die C-Jugend des Vereins, baute eine Ortsbücherei auf und betreute sie bis 1972, saß 18 Jahre im Kirchengemeinderat und sang im Kirchenchor. „Wenn es was zu tun gab, fragte man erst mal den Helbig“, erzählt der betagte Mann – und lächelt wieder beim Gedanken an die einst so turbulente Zeit in Birkach.

1975 als Degerlocher Realschul-Konrektor in den Ruhestand

Aus der weiß er noch viele Anekdoten zu erzählen. Zum Beispiel die, als er einmal mühsam ein Kasperletheater baute, sich dahinter versteckte, den Kindern stolz das Kasperle mit den Worten „Wisst ihr, wer ich bin?“ präsentierte und einstimmig zu hören bekam: „Ja, der Herr Helbig!“ Und auch jenen Nachkriegstag hat er nicht vergessen, an dem er von wohlmeinenden amerikanischen Besatzungssoldaten einen Satz Hufeisen geschenkt bekam. Jene freundlichen Militärs waren davon ausgegangen, dass Hufeisen-Werfen für die deutschen Kinder ein ebenso gängiger Sport sei, wie für die amerikanischen. „Aber wir konnten damit nichts anfangen. Also hab ich die Hufeisen dem Schmied geschenkt. Der hat sich gefreut“, erzählt Kurt Helbig.

1963 schließlich wechselte der engagierte Lehrer nach weiteren Prüfungen an die Realschule in Degerloch, wo er dann 1975 als Konrektor in den Ruhestand ging. Kontakte hat er heute trotzdem noch hauptsächlich nach Birkach. Zum Beispiel zum ehemaligen Stuttgarter Wirtschaftsbürgermeister Rolf Lehmann, der einst bei ihm die Schulbank drückte. Insbesondere dessen Mutter ist Kurt Helbig in angenehmer Erinnerung geblieben. „Das war eine sehr nette Frau. Die hat uns immer Semmeln zugeschustert“, verrät er augenzwinkernd. Gut möglich also, dass ihn zu seinem Ehrentag auch zahlreiche Glückwünsche von den Fildern erreichen.