Thaddäus Troll Foto: Silberburg Verlag

Walter Jens nannte Thaddäus Troll „einen der letzten großen Impressionisten deutscher Sprache“. Hans Bayer, Pseudonym Thaddäus Troll, geboren am 18. März 1914 in Bad Cannstatt, war ein sinnlicher Poet, ein geistiger Enkel von Eduard Mörike.

Walter Jens nannte Thaddäus Troll „einen der letzten großen Impressionisten deutscher Sprache“. Hans Bayer, Pseudonym Thaddäus Troll, geboren am 18. März 1914 in Bad Cannstatt, war ein sinnlicher Poet, ein geistiger Enkel von Eduard Mörike.

Stuttgart - Seinen größten Erfolg hatte Thaddäus Troll mit dem 1967 erschienenen Buch „Deutschland deine Schwaben“. Für viele ist er nicht nur deshalb der „Berufsschwabe“. Hintergründig, herzerfrischend, ironisch-bissig. Doch da ist mehr, viel mehr. 

„Fremd bin ich eingezogen. Fremd zieh’ ich wieder aus . . .“ Das Fest im Theaterhaus Stuttgart – 100 elektrische Teelichter funkeln , beginnt mit Todesahnen. Maren Kroymann singt diesen Beginn von Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ (Text von Wilhelm Müller). Am grünsamten bezogenen Tisch rezitieren Alfred Kirchner, Franziska Walser, Peter Sattmann und Martin Schwab „Dunkle Gedanken auf ein Tonband gesprochen“. Erzählt wird von „der Zärtlichkeit des Mai“. Eine Fahne hat sich in den Zweigen des Kirschbaums verfangen - „sie hat sich aufgehängt“. In distanzierender dritter Person spricht Troll von Zweifel und Verzweiflung, von Dämonen in der Nacht. Und dass ein depressiver Mensch den Seinen und der Welt nichts mehr zu geben habe.

Der Sinnliche

Doch dann: Franziska Walsers Stimme schwillt an wie die Posaune von Jericho und spricht aus dem Hohelied Salomos „Schön bist du, meine Freundin, ja, du bist schön. Zwei Tauben sind deine Augen . . .“.

Thaddäus Troll hat das Lied der Lieder ins Schwäbische übertragen. Seine Schöne kommt vom Randecker Mar, ihre Lippen sind wie Himbeeren, und ihr „Mäule macht mich luschtig“.
Die Frauen der griechischen Mythologie bemühend, lockt Troll in der Rolle eines brünstigen Schwaben die Angebetete. „Koi Härle“ passe mehr zwischen beide. Und dann – der Schmeichler kommt zum Vollzug – kippt die feine Romantik in brüske Ablehnung: „Sodele. Jetzetle. Lass mich in Ruh’.“ Orgiastisch ist seine im Dialekt verfasste Hymne an die „Venus (gesprochen Fenus) von Bonlande“, ein Hochgenuss die Geschichte „Wie Gotthelf Grieshaber die Brezel erfand“.

Die Schauspieler erzählen von einem sinnlichen Mann, liiert mit einem türkischen Heidenkind, in Bad Urach nur genannt „dem Bäck’ sein wildes Menschle“. Seine eigene Haut zu retten, erfand, so die Legende, Grieshaber die Brezel nach dem Bild einer nächtlichen Umarmung. „Ihre braunen Arme auf seinem weißen Rücken, die Finger in Wollust verschlungen“, klingt das Rezept wie eine schwäbische Variante des indischen Kamasutra.

Der Humorvolle

1971 druckten die Stuttgarter Nachrichten täglich Thaddäus Trolls „Schimpfkalender“. Inszeniert als Wortsalve, trägt das Schauspieler-Ensemble Auszüge vor: „Allmachtsdackel, Brosampicker, dommer Zipfel, Erbsazähler, Dubbedeile, Heidablitz, Huraseckel, Kalmuck.“ Lachtränen rollen über Zuhörerwangen, Taschentücher werden gezückt, die Stimmung brandet auf.

Der Protestierer

Essays, Glossen, Romane, Theaterstücke und Mundartgedichte hat der promovierte Hans Bayer geschrieben; sich als Wahlhelfer der SPD in die Politik eingemischt und die sogenannten Mächtigen kontaktiert. „Unsere Gesellschaft ist vom Egoismus bestimmt, wir leben in Mitteleuropa wie die Aristokraten vor der Französischen Revolution“ schreibt er Ostern 1977. Freiheit ohne Sozialismus sei undenkbar. Sozialismus, wie er ihn meine, sei identisch mit den Forderungen der Bergpredigt – Zustimmung im voll besetzten Theaterhaus-Saal.

Der Kommunikative

Die Schauspieler – höchst engagiert und empathisch – lesen aus Briefverbindungen zwischen Hans Bayer und Rudolf Augstein, Theodor Heuss, Martin Walser, Heinrich Böll, Helmut Schmidt, dem Staatsministerium in Stuttgart. 1975 solidarisiert er sich mit Heinrich Böll, wünscht ihm und sich „das richtige Maß von Zorn und Gelassenheit“. Martin Walser bescheinigt Troll „zärtliche Gewalt“. Heuss schickt eine Entschuldigung, weil er in einer missverständlichen und ihn überfordernden Situation Trolls Ehefrau angepfiffen hat.

Der Verweigerer

Als die baden-württembergische Landesregierung dem Dichter, Poeten und Autor das Verdienstkreuz am Bande verleihen will, lehnt Thaddäus Troll ab. Er habe, schreibt er, keinen Frack, um den Orden zu tragen. Nach einem Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt kritisiert Troll den pompösen Auftritt und die fehlende Nähe zu den Bürgern – „Sie kamen mit dem Hubschrauber wie ein Pfingstwunder über uns“.

Der Groteske

„Bei uns in Württemberg braucht man nichts Neues“: Amüsiert folgt die Festgesellschaft den Parolen des Protagonisten aus Thaddäus Trolls Lustspiel „Der Entaklemmer“. Martin Schwab gibt den Fabrikanten Karl Knaup. Nichts und niemand soll an sein Geld. Schwäbische Klischees werden auf das Köstlichste verhandelt, das Publikum zückt aufs Neue die Taschentücher.

Der Entschiedene

Angst. Schlafstörungen. Und immer wieder Dämonen. Im Halbdunkel der Bühne wird vom Ende des Hans Bayer alias Thaddäus Troll erzählt. „Es herbstelet“, seine Adaption des Rilke-Gedichtes „Herbsttag“, bekommt eine neue Dimension. Todesahnen wird zur Gewissheit.

Am 5. Juli 1980 nimmt sich Hans Bayer das Leben. Aus dem Off eingespielt ein Blues mit Sir Sonny-Boy Williams II. Auf der Bühnenrückwand eine Fotogalerie. Die Würde bleibt, auch jetzt, 24 Jahre danach, im März 2014, da der Mann aus Stuttgart-Bad Cannstatt wieder und wieder gefeiert wird. Sein 100. Geburtstag bot und bietet viele Anlässe. Im Theaterhaus Stuttgart machen Schauspieler und Lyriker den Geburtstag zum wahren Fest. Leise und laut. Mit Grollen und voller Poesie.