Ein Land verbrennt sein Wissen und seine Wortkunst – in Hitler-Deutschland gehen in der Nacht des 10. Mai 1933 Zehntausende Bücher in Flammen auf. Foto: dpa

70.000 Menschen wollten in Berlin dabei sein, 50.000 johlten in München, als Bücher von Erich Kästner, Anna Seghers oder Alfred Kerr in die Flammen geworfen wurden. „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“, hatte Heinrich Heine schon 1821 geschrieben.

Es ist kurz vor 24 Uhr am 10. Mai 1933. Ein Orchester spielt Beethoven, dann spricht ein promovierter Germanist. Joseph Goebbels heißt der Mann, seit wenigen Monaten ist er Minister des Deutschen Reiches, zuständig für „Volksaufklärung“. Goebbels ist der Regisseur der Massenbegeisterung für das Führerprinzip des „jungen Deutschland“, er lässt den einzig gegen die Stimmen der SPD im inzwischen „gleichgeschalteten“ Reichstag übermächtig gewordenen „Führer“ Adolf Hitler ebenso auftreten wie die Massen, die ihm zujubeln.

Goebbels nutzt seinen über den Reichsender übertragenen Auftritt, um den nach 1945 der deutschen Selbstentlastung dienenden Mythos der „Machtergreifung“ zu bekräftigen. Vom politischen Geschenk, Hitler inmitten fallender Popularitätswerte seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zum Reichskanzler zu ernennen, ist am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz nicht die Rede. Goebbels tönt: „Als am 30. Januar dieses Jahres die nationalsozialistische Bewegung die Macht eroberte, da konnten wir noch nicht wissen, dass so schnell und so radikal in Deutschland aufgeräumt werden könnte.“ Und tatsächlich bleibt ja bis heute unbegreifbar, in welchem Maß und in welchem Tempo sich die deutsche Bevölkerung an der geforderten Ausgrenzung Andersdenkender beteiligten.

Manches aber macht im Blick auf die Gegenwart und im Erleben der Gegenwart stutzig. Nicht nur in der Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland jene Willkommenskultur lebt, die doch schon aus wirtschaftlichem Eigennutz dringend vonnöten wäre, will man auf den Mangel an Nachwuchs für die technischen Berufe reagieren.

Junge leisten Vorarbeit für die nationalsozialistischen Freudenfeuer

Nicht nur in der Frage, wie die Gesamtgesellschaft, wie wir alle mit dem Wissen um den wahnhaft anmutenden, aber in einigen Regionen durchgesetzten Anspruch „national befreiter Zonen“ umgehen.

Nicht nur in der Frage, ob wir die jetzt juristisch zu verhandelnden zehn (!) Morde der Rechtsterroristen zum Ausgangspunkt einer schonungslosen Umkehr der unsäglichen Vokabel von der „klammheimlichen Freude“ an den Morden der Linksterroristen in den 1970er und frühen 1980er Jahren nehmen, als Ausgangspunkt einer Infragestellung unserer Gesellschaft an sich.

Die Vorarbeit für die nationalsozialistischen Freudenfeuer des 10. Mai 1933 leisten nicht altgediente Parteikader, sondern junge Menschen, die sehr genau wissen, was die Ausgrenzung und Vernichtung von Büchern und Menschen für sie selbst bedeutet – Entfaltungsraum. Die Deutsche Studentenschaft macht sich zum Vorreiter des Hasses gegen das „Undeutsche“, verdammt die Werke von Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Alfred Kerr und Erich Maria Remarque. Verbrannt werden aber schließlich auch wissenschaftliche Werke wie die „Relativitätstheorie“ von Albert Einstein sowie „Bambi“, die später von Hollywood verfilmte „Lebensgeschichte aus dem Wald“ des österreichischen Schriftstellers Felix Salten.

Mit demselben Hass begegnen die Studenten Malern und Bildhauern. Und auch hier ist das Motiv einfach – nicht um das Überwinden der „Kunst der Verfallszeit“ geht es ja, wie Hitler in seinen im Rahmen der Großinszenierung Reichsparteitag in Nürnberg in kleinerer Runde gehaltenen Reden zur Kultur die Werke etwa von Otto Dix und George Grosz sagt. Tatsächlich geht es um das eigene Fortkommen.

Man braucht sie noch, die als „entartet“ gebrandmarkten Bilder und Skulpturen

Joseph Goebbels weiß um diese Begehrlichkeiten. Und er weiß sehr genau, dass er mit eigenen Überlegungen, den Expressionismus in Dichtung und Malerei zur Staatskunst zu machen, scheitern wird. Die als „entartet“ gebrandmarkten Bilder und Skulpturen werden anders als die Bücher nicht verbrannt. Man braucht sie noch – als Devisenbringer und Sicherheiten für die internationalen Banken bei der militärischen Aufrüstung Hitler-Deutschlands.

In den Wochen vor dem 10. Mai legen die Universitätsbibliotheken Listen für die große Säuberung an. Nicht das drohende Vernichten wird als Gefahr gesehen, sondern eine eventuell mangelnde Kapitalausstattung, um die Bestände mit Heldengesängen der neuen Zeit auffüllen zu können. Die Nacht der Bücherfeuer endet in Berlin (und damit deutschlandweit im Radio) wie sie begonnen hat – mit Beethoven.