Der Kabarettist Rolf Miller spielt am Freitag und Samstag im ausverkauften

Der Kabarettist Rolf Miller spielt am Freitag und Samstag im ausverkauften Theaterhaus "Tatsachen". Mitten im Comedyboom setzt er auf die Werte satirischer Altmeister.

Von Joe Bauer

STUTTGART. Im Februar geht der Kabarettist Rolf Miller, 42, im bayerischen Miesbach auf die Bühne des Waitzinger Kellers und ist "geschockt". Trotz seiner Kurzsichtigkeit erkennt er den Gast in der ersten Reihe. Miller, der Fußball-Liebhaber, analysiert die Lage - und gibt alles. Nach der Show holt ihn der Gast an seinen Tisch, schiebt ihm sein Bier rüber und sagt: "Trink, du hast auch gschafft." Millers Kellner ist der Kabarettstar Gerhard Polt, 67. Das erste Treffen von Mentor und Schüler.

Miller lebt seit 1995 mal in Esslingen, mal in Stuttgart. Zuletzt hat er sich im Lehenviertel eingerichtet, und die meiste Zeit ist er auf Tour. An diesem Freitag und Samstag spielt er sein Programm "Tatsachen" erstmals im Theaterhaus auf der Prag. Beide Abende sind mit je 1000 Besuchern so gut wie ausverkauft. Vor ein paar Monaten hat er in der Stadt eigenhändig Plakate geklebt, weil er seinem Erfolg nicht traute. Eines der Poster hängt an der Männerklotür des Cafés Heller im Westen, wo wir uns treffen. Wie viele seiner Kollegen ist er Berufspessimist, obwohl er trotz relativ geringer Fernsehpräsenz längst süddeutsche Hallen füllt. 2006, im Jahr der Fußball-WM, wurde er mit dem Deutschen Kleinkunstpreis ausgezeichnet.

Es ist nicht leicht, mit Herrn Miller über seinen Beruf, das Kabarett, zu reden. Auch diesmal dauert es nicht lange, bis er mir erklärt, wie Jorge Valdano im WM-Finale 1986 das 2:0 für Argentinien gegen die Deutschen schoss. Nur höflichkeitshalber hatte ich ihm erzählt, dass der Fußballstar und Autor Valdano Millers Lieblingsspieler Mehmet Scholl in seinem Buch erwähnt.

Miller wird in Walldürn im Odenwald geboren, sein Vater, ein Eisenbahner, sagt dem Sohn, es sei gut fürs Leben, Beamter zu werden. Rolf studiert Verwaltungsrecht in Kehl und schließt 1991 mit Diplom ab. Doch auch damals ist er skeptisch, beginnt ein Jurastudium in Mannheim und probt in seiner Bude Nummern, die er sich bei Dieter Hildebrandt, Gerhard Polt und Mathias Richling im Fernsehen abgeschaut hat.

Kabarett im deutschen Fernsehen war mal ein Ereignis, fast ein "Tabubruch", sagt Miller. Immer wieder aber wundert er sich, warum ausgerechnet sein Vater über Polt lacht, obwohl der Bayer exakt die Spießigkeit aufs Korn nimmt, die Miller im elterlichen Haus erlebt. "Ich habe viel von meinem Vater in meinen Satiren verarbeitet", sagt er. "Früher hatten wir deshalb einen klassischen Generationskonflikt, heute haben wir ein Superverhältnis."

Wie in seinem vorherigen Erfolgsprogramm "Kein Grund zur Veranlassung" nimmt sich Miller in "Tatsachen" das Kleinbürgermilieu vor. Seine Figuren heißen Jürgen und Achim, sie wissen etwas über Autos und Versicherungen und haben Ahnung, wo genau man die französische Sprache "brauchen kann": "In Frankreich." Während ein kalauernder Comedystar wie Oliver Pocher "Gefährliches Halbwissen" (Showtitel) absondert, weiß der lakonische Kabarettist Miller etwas über die Hinterhältigkeit des Halbsatzes. Mit seiner Wortkargheit, seinem Polt"schen Hang zum Unvollendeten, schafft er einen Dialog mit dem Publikum: Man glaubt zu wissen, was der Kerl meint, und vollendet seinen Satz vorschnell in Gedanken. "Aber die Pointe", sagt er, "muss unerwartet kommen." Er ist keiner, der die Dinge auf die Spitze treibt. Er bewegt sich "sehr nahe an der Realsatire", will aber unbedingt vermeiden, populistisch zu werden. Der Grat ist schmal, und eine unerwartete Pointe geht so: "Nix gegen den Weltkrieg", sagt Miller in seiner "Mischung aus nordbadischem und westfränkischem Dialekt", "aber planen wollt" ich ihn nicht."

Seine Figuren sind reaktionär, aber keine hoffnungslosen Fälle. Mit seinen Spießern soll man Mitleid haben, er führt sie als Provinzler mit gutem Kern vor, als könne der potenzielle Ausländerhasser im Notfall dem rassistischen Skinhead in der Stadtbahn die Faust zeigen. "Ich sehe die Dinge nicht mehr so verbissen wie früher, als ich schlechter drauf war", sagt Miller, der in T-Shirt und Jeans seine Nummern spielt, ohne von seinem Stuhl aufzustehen. "Ich will nicht so aussehen wie meine Figuren, deshalb kleide ich mich neutral." Vermutlich auch, damit man seinen trainierten Körper sieht.

Er hat einen 14-jährigen Sohn, Gustav, wie der Vater ein talentierter Fußballer. Er lebt bei seiner Mutter, der Filmemacherin Marion Pfaus, in Berlin. Sie studierte an der Filmakademie in Ludwigsburg und war der Grund, warum Miller in Stuttgart hängen blieb. Seit ihrer Trennung arbeiten sie im erweiterten Familienbereich zusammen. "Wir sind ein Inzest-Betrieb", sagt er.

Bis heute ärgert ihn, dass er kein Instrument beherrscht. Ersatzweise habe er die Stimmen seiner Vorbilder wie Musik wahrgenommen und nachgespielt. Es wundert nicht, dass er den dadaistischen Musikclown Helge Schneider verehrt, so sehr wie den Fußballsinfoniker Johan Cruyff.

Als ich schon auf dem Heimweg bin, erreicht mich eine SMS, und ausnahmsweise handelt sie nicht vom Fußball: Seine Hauptthemen auf der Bühne, schreibt Miller, seien "die scheinbare Kommunikation und die Peinlichkeit" seiner Figuren. Mehr wäre dazu nicht zu sagen, hätte ich nicht beinahe den Mann aus der ersten Reihe vergessen: Millers Abend, hat Polt gesagt, habe ihm gefallen. Von geistigem Diebstahl keine Rede, und das Bier hat der Bayer bezahlt.