Wer denkt, die Bahnhöfe in Stuttgart gehören ausnahmslos der Deutschen Bahn,

Wer denkt, die Bahnhöfe in Stuttgart gehören ausnahmslos der Deutschen Bahn, liegt falsch. Mehrere Gebäude sind als beliebte Kapitalanlagen in privater Hand. Wer 2,4 Millionen Euro übrighat, kann sich derzeit den Bahnhof in Untertürkheim anschaffen.

Von Jürgen Bock

STUTTGART. In ländlichen Gegenden gibt es sie massenhaft, die kleinen früheren Bahnhöfe, deren Gleise vor der Tür längst stillgelegt sind. Oft sind solche Gebäude zu Wohnhäusern oder Gaststätten umgebaut worden, manche stehen leer. Doch auch dort, wo nach wie vor täglich Züge vorbeibrausen, hat längst nicht mehr überall die Bahn das Sagen in der Empfangshalle.

5400 Bahnhöfe gibt es in Deutschland, 3000 davon verfügen über ein Empfangsgebäude. Allerdings gehört nur noch gut die Hälfte der Bahn selbst, nämlich 1600 Häuser. Besonders seit der Jahrtausendwende hat sie zahlreiche Gebäude zu Geld gemacht. "Seit dem Jahr 2000 haben wir rund 1300 Bahnhofsgebäude an Privatpersonen, Investoren und Kommunen verkauft", heißt es bei der Pressestelle in Berlin. Bei jedem werde vorher geprüft, ob man es selbst sinnvoll nutzen könne. Bevorzugt als Käufer werden die betroffenen Gemeinden.

In Stuttgart befinden sich die Bahnhofsgebäude in Untertürkheim, Obertürkheim und Münster in Privatbesitz. "Die Verkehrsanlagen drum herum gehören noch uns, einen Teil der Empfangsgebäude brauchen wir aber nicht mehr", sagt ein Bahnsprecher. Alle anderen Bahnhöfe in Stuttgart, neben dem Hauptbahnhof etwa die großen Gebäude in Bad Cannstatt und Vaihingen, sind noch im Besitz der Bahn und werden auch von ihr betrieben.

Interessant sind die Gebäude besonders für Kapitalanleger. Dort lassen sich zu guten Konditionen Gewerbemieter ansiedeln, denn ein hoher Publikumsverkehr ist garantiert. "In Untertürkheim passieren 5000 Menschen täglich die Empfangshalle", sagt Dieter Polzin von der Leonberger Wirtschaftsberatung S. M & Partner, "das ist eine hohe Frequenz." Das Unternehmen verkauft das dortige Gebäude derzeit im Auftrag des Besitzers, einer Münchner Firma, die im Automatenaufstellgeschäft tätig ist.

Im Internet wird das Objekt mit zahlreichen Dokumenten und detaillierten Zahlen beworben. Die Rede ist von jährlichen Brutto-Mieteinnahmen in Höhe von knapp 280 000 Euro. Im Bahnhofsgebäude befinden sich diverse Gewerbeeinheiten, die allesamt vermietet sind, darunter eine Arztpraxis, eine Praxis für Krankengymnastik, zwei größere Gaststätten, Imbisse, ein Schlüsseldienst und eine Spielhalle. Das 1396 Quadratmeter große Grundstück mit dem denkmalgeschützten Gebäude und einer Gewerbefläche von 1294 Quadratmetern soll 2,4 Millionen Euro kosten.

Beim Verkäufer ist man zuversichtlich, diesen Preis auch erzielen zu können. "Es gibt mehrere Interessenten", sagt Polzin, "wir rechnen damit, dass es in den nächsten zwei bis drei Wochen konkret wird." Der Bahnhof wird wegen der umfangreichen Gastronomie als "traumhafte Kapitalanlage für Automatenaufsteller" beworben, und aus dieser Branche soll auch erneut der Großteil der Kaufinteressenten kommen.

Was das für die derzeitigen Mieter bedeutet, ist noch nicht klar. Im Verkaufsinserat wird betont, dass die bisherigen Pachtverträge kurzfristig gekündigt werden können. Möglich ist, dass im Gebäude eine zweite Spielhalle eingerichtet wird, eine Konzession dafür liegt vor. Das würde die anderen Mieter nicht begeistern. "Zu viele Spielhallen sollten es nicht werden, sie bringen ein anderes Publikum, als wir brauchen", sagt ein Gastronom, während draußen quietschend eine S-Bahn einfährt. Um seinen eigenen Vertrag fürchte er nicht, denn er sei abgesichert.

Kapitalanleger müssen sich derzeit sogar nicht einmal mit dem Bahnhofsgebäude selbst begnügen. Der von der Arlbergstraße aus gesehen linke Teil des denkmalgeschützten Ensembles ist ein separates Grundstück mit weiteren Gewerbemietern, das der Post gehört. Auch er steht zum Verkauf, allerdings für deutlich weniger Geld als das Bahnhofsgebäude. An der Fassade hängt ein großes Plakat eines Filderstädter Immobilienbüros. Das wirbt auf seiner Internetseite damit, "in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von nicht mehr betriebsnotwendigen Liegenschaften für Unternehmen wie Deutsche Post, Deutsche Telekom oder Deutsche Bahn erfolgreich veräußert" zu haben. Das verwundert nicht - der Bahnhof als Kapitalanlage liegt im Trend.