Die ARD hat den ersten Spielfilm über Scientology gedreht. Die fiktive

Die ARD hat den ersten Spielfilm über Scientology gedreht. Die fiktive Geschichte über einen Vater, der seine einzige Tochter verliert, hat einen wahren Kern: die Lebensgeschichte des Aussteigers Heiner von Rönn.

Von Markus Brauer

HAMBURG/STUTTGART. Es gibt Erinnerungen, die langsam verblassen und im Nebel der Vergangenheit verschwinden. Die Erinnerungen, die Heiner von Rönn heimsuchen, sind anders. Sie bleiben. Fest zementiert in seinen Gedanken. Auch 15 Jahre nach seinem Ausstieg aus Scientology ist die dunkle Vergangenheit noch immer lebendig, in der der 52-Jährige ein kleines Rad in einer weltweiten Organisation war.

Rönn lebt mit seiner zweiten Frau Astrid (54), mit der er die Organisation 1995 gemeinsam verließ, in Hamburg. Seine Biografie diente den Machern des SWR-Films "Bis nichts mehr bleibt" als Hauptvorlage, auch wenn darin, wie Regisseur Niki Stein betont, "kein Leben eins zu eins nacherzählt" wird. Der 90-minütige Spielfilm stützt sich daneben auf die Berichte mehrerer Aussteiger und Informanten.

Astrid von Rönn war 14 Jahre lang Scientology-Mitglied. Eine sogenannte Ethik- Offizierin, deren Aufgabe es nach eigener Aussage war, innere Feinde abzuwehren und die korrekte Umsetzung der reinen Lehre zu überwachen. Es gehe bei Scientology darum, sagte sie einmal in einem Fernsehinterview, "Leute auszubeuten, sie finanziell zugrunde zu richten, sie aus ihrem sozialen Umfeld herauszureißen". Ihr Ehemann ist dafür ein trauriges Beispiel.

Rönn ist ein schweigsamer, zurückhaltender Mensch, der im Laufe des Telefonats langsam auftaut. Am 7. Dezember 1957 in Hamburg geboren, macht Rönn eine Kfz-Lehre, arbeitet jahrelang in einem großen Industriebetrieb. 1984 hört er zum ersten Mal den Namen Scientology. Seine damalige Freundin ist bereits seit einigen Monaten dabei. Eine begeisterte Anhängerin, geworben vom eigenen Bruder. In der Hamburger Niederlassung macht Rönn einen "Kommunikationskurs". Einmal im Griff wird ihn die umstrittene Organisation für die nächsten zehn Jahre nicht mehr loslassen. Seine Freundin steigt in der Hierarchie zügig auf, während er es nur zum Hausmeister bringt. 1987 heiraten sie. "Sie war ehrgeizig und gleich von Scientology begeistert. Das war ihre Welt. Ich war eher ein Mitläufer, der dafür sorgte, dass unsere Kinder nicht ohne Eltern aufwachsen." 1982 und 1987 werden die beiden Söhne geboren.

Im Film spielt der Stuttgarter "Tatort"- Kommissar Felix Klare die Rolle des Vaters, der erst Scientology verfällt und dann Frau und Tochter verliert. In beklemmender Eindringlichkeit zeigt der Streifen die raffiniert-skrupellosen Methoden seelischer Manipulation. "Der Film schildert exakt das, was ich erlebt habe", so Rönn. "Die Straflager, die Gehirnwäsche, die Kontrolle." In Fiktion und Realität geht es um Verführung und Verführte, Macht und Missbrauch.

1988 gibt Rönn seinen Job auf und wird Hausmeister in der Hamburger Scientology-Niederlassung. Den älteren Sohn haben die Eltern auf ein Scientology-Internat nach England geschickt, den jüngeren nach Dänemark. Während die Mutter "studiert", muss der Vater für den Lebensunterhalt der Familie sorgen, Internatskosten und "Kurse" bezahlen. Er verschuldet sich immer mehr. "Insgesamt habe ich 160 000 Mark in Scientology reingebuttert."

Langsam dämmert ihm, welche Entbehrungen von ihm und seiner Familie gefordert werden. Er spürt, wie sein eigener Wille verloren geht. 1993 dann ein erstes Aufbäumen: Heiner von Rönn lässt sich scheiden.

Das Aussteigerdrama des 52-Jährigen habe ihn sehr berührt, sagt SWR-Fernsehfilmchef Carl Bergengruen bei der Vorabpräsentation des Films im Funkhaus. Wie der Vater es in einem langen, qualvollen Weg endlich schafft auszusteigen. "Aber er verliert das Wichtigste in seinem Leben, seine Kinder, die vollkommen von der Mutter und von Scientology indoktriniert wurden."

Im Jahr 1990 lernt Heiner von Rönn seine spätere zweite Frau kennen. Fünf Jahre später steigt er mit Astrid aus. "1995 kamen Sea-Org-Leute, eine Art Elitetruppe der Scientology, um Unregelmäßigkeiten in Hamburg zu überprüfen. Das haben wir genutzt, um uns zu verdrücken." In der Folgezeit lebt das Paar in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Gelegentlich besucht Rönn seine Söhne im dänischen Internat oder sie kommen in den Ferien zu ihm nach Hamburg.

2002 der Eklat: Scientology erklärt ihn und Astrid zu "Suppressive Persons" (unterdrückerische Personen), zu Feinden der Organisation. Alle Scientologen, auch seine Söhne, müssen sofort alle Beziehungen zu ihnen abbrechen. Erst jetzt wacht Rönn auf, begreift, dass er seine Kinder verlieren wird, wenn er nicht endlich handelt. "Wenn Scientology das früher gemacht hätte, wäre ich früher aufgewacht und hätte sie rausgeholt", sagt er bitter.

Kurz darauf trennt sich der ältere Sohn von ihm, erklärt dem Vater bei einem Essen, dass er nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. "Scientology hat die Kinder auf Linie gebracht." Rönn wendet sich an Ursula Caberta, die Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology in der Hamburger Innenbehörde und eine der besten Kenner der Organisation. Caberta ist empört: "Das Ziel ist das Wohl des Kindes, und das Wohl des Kindes ist bei Scientology nie gegeben. Niemals!"

Wie der Filmheld kämpft auch Rönn vor dem Familiengericht 2003 um das alleinige Sorgerecht für seinen zweiten Sohn. Vergeblich. "Die Richterin hat nicht danach entschieden, was das Beste für die Kinder ist", erklärt Bergengruen, "sondern urteilte nur nach schematischen Gesichtspunkten. Dass sie da stecken geblieben ist, erschüttert."

Als Rönn bei der Vorabvorführung des Films die letzte Sequenz sieht, überwältigen ihn die Erinnerungen und er muss weinen. Die Szene zeigt, wie der Filmvater an einem Treppengeländer steht und ein letztes Mal auf seine Ex-Frau und Tochter sieht, wie sie das Gerichtsgebäude verlassen.

Das TV-Drama endet hier - Heiner von Rönns Lebensdrama aber geht weiter. Nur wenige Male noch treffen sich seine Söhne mit ihm in Hamburg, wo er mit seiner Frau in einer Wohnung am Stadtrand lebt, bis sich 2006 auch der jüngere abwendet. "Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen." Zurück bleiben Vorwürfe und Erinnerungen.

Wie lebt man mit einem solchen Verlust?

Am anderen Ende der Telefonleitung herrscht Schweigen. "Manchmal", hebt Heiner von Rönn langsam an, "schmeißt mich die Erinnerung emotional zurück. Als ich den Film sah, fing ich an zu zittern."

Auch 15 Jahre nach dem Ausstieg gebraucht Rönn wie selbstverständlich Scientologen-Begriffe, die Nichteingeweihten unverständlich sind. Das zeigt, wie nachhaltig die "Indoktrination" gewesen sei, erklärt der 52-jährige Aussteiger. "Im Kopf läuft ein Programm ab, das wie auf einer Festplatte im Gehirn eingebrannt ist. Es dauert sehr lange, bis man dieses Programm gelöscht hat." Zehn Jahre habe er gebraucht, bis er seinen Kopf so frei bekam, dass er wieder normal mit anderen Menschen reden konnte, erzählt Rönn. "Früher habe ich die Erinnerungen verdrängt. Jahrelang bekam ich Kopfschmerzen, sobald ich über Scientology sprach." Andere Aussteiger berichteten ihm von Albträumen, Depression, psychosomatischen Beschwerden.

Nach Angaben des baden-württembergischen Verfassungsschutzes zählt die 1954 von dem US-Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald Hubbard gegründete Organisation weltweit 100 000 bis 120 000 Mitglieder, davon 5000 bis 6000 in Deutschland. Im Südwesten verfügt sie über rund 1000 Anhänger und das dichteste Organisationsnetz in der Bundesrepublik. Seit 1997 steht Scientology in einigen Bundesländern unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

In den letzten Jahren scheint es, als ob Scientology in der Öffentlichkeit weniger präsent sei. Ein Trugschluss, meint der Stuttgarter Sektenexperte Hans-Werner Carlhoff. "Scientology verändert sich chamäleonartig. Deshalb ist dieser Film so wichtig. Viele glauben nicht, dass es so etwas wirklich gibt - und doch ist alles wahr."

Für Rönn ist "Bis nichts mehr bleibt" mehr als nur ein Film, mehr als anspruchsvolle Abendunterhaltung und gesellschaftskritisches Fernsehen. "Der Film ist für mich ein Stück Befreiuung von Erfahrungen, die psychisch sehr belasten." Seit Bergengruen 2007 mit der Idee auf ihn zukam, einen Spielfilm über Scientology zu produzieren, könne er offener über seine Erinnerungen reden. "Das hilft, den Kopf freier zu bekommen und andere Menschen davor zu warnen, was hinter den Kulissen geschieht."

Noch immer staunt er, dass Scientology einen Aussteiger wie ihn, der die Mauer des Schweigens durchbrochen hat, einfach ignoriert. Was aus ihm werde, wenn der Film am 31. März gesendet worden sei, wollen wir wissen. Er hoffe, sagt Heiner von Rönn zum Schluss unseres Gesprächs, dass sich seine Kinder an ihren Vater erinnern und irgendwann an der Tür seiner Hamburger Wohnung klingeln. "Ich habe viele Erinnerungen an mein früheres Leben. Doch ohne Kinder ist nichts mehr. Man fühlt sich verloren. ,Bis nichts mehr bleibt" - der Titel des Films passt perfekt zu meinem Leben."