Früher Spieler in der U 23, jetzt ihr Trainer mit ungewisser Perspektive: Andy Hinkel Foto: Baumann

Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit: Der VfB Stuttgart wird seine zweite Mannschaft abmelden. Unser Autor Gunter Barner erinnert an die Tradition des Nachwuchsteams und die emotionale Verknüpfung mit den Fans. Und er stellt die Frage: „Ist der VfB nur noch AG, nicht mehr Verein?“

Stuttgart - Vor allem die älteren Mitglieder der weiß-roten Glaubensgemeinschaft reagieren entsetzt: Darf der das? Die zweite Mannschaft des VfB Stuttgart einfach so abzumelden? Die Antwort lautet nach Lesart des Chefs so: Noch ist nichts entschieden! Aber erstens wäre Wolfgang Dietrich schlecht beraten, seinen viel gepriesenen Sportvorstand gleich mit der ersten größeren Entscheidung umzugrätschen. Und zweitens zählt Michael Reschke in der Liga nicht zu denen, die aus der Hüfte schießen. Sein Steilpass ist gut überlegt. Ob er zum jetzigen Zeitpunkt auch klug ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Wertvolle Botschaften

Mag ja sein, dass während Michael Reschkes Wirken in Leverkusen die U 23 so sehr interessierte wie ein umgeknickter Grashalm auf dem Bolzplatz hinterm Bayer-Stadion. Aber in Stuttgart ist „die Zweite“ in Gedanken eng verknüpft mit allen, die sich von der VfB-AG mehr erhoffen, als Investoren, Sponsoren und die gelegentliche Sause im Stadion. Sie gehört zum Verein wie der Brustring zum Trikot. Sie schreibt eines der erfolgreichsten Kapitel der Vereinsgeschichte, sie feierte zwei deutsche Amateurmeisterschaften (1963 und 1980), in ihr wuchsen Trainer und Spieler, die Kraft ihrer Karrieren eine der wertvollsten Marken-Botschaften aussandten, die es in dieser Branche gibt: Beim VfB arbeiten sie gut und vorbildlich.

Die U 23 verpasste Talenten wie Andy Hinkel, Kevin Kuranyi, Sami Khedira, Mario Gomez, Sebastian Rudy, Bernd Leno oder Joshua Kimmich den letzten Schliff. Spätzünder nutzten sie als letzte Ausfahrt in den Profifußball. Die Mannschaft diente in guten Zeiten als Forschungs- und Entwicklungslabor für die Profis, innovative Spiel- und Trainingsformen wurden ausprobiert, langzeitverletzte Profis konnten sich dort wieder die nötige Wettkampfpraxis holen. Und wenn im Bundesligateam der personelle Notstand ausgerufen wurde, sprangen die Talente vom VfB II in die Bresche.

Effizienz als Strategie

Kann ja sein, dass diese Sicht der Dinge dem Geschäft mit Ball und Menschen nicht mehr ganz gerecht wird. Der Strom an VfB-Talenten ist seit Jahren versiegt, die Mannschaft in die Regionalliga abgestiegen. Und in der aktuellen U 23 jagen die allermeisten Spieler einem Traum nach, der für sie nie in Erfüllung gehen wird. Gut bezahlt, für durchschnittlich 5000 Euro im Monat. Wer sein System auf Effizienz trimmen will, wird darüber nachdenken müssen, ob er sich dafür 2,5 Millionen Euro pro Jahr leisten will.

Aber noch bleibt die Frage nach der Henne und dem Ei: Fällt die Talentschau in der aktuellen U 23 des VfB Stuttgart vielleicht deshalb so bescheiden aus, weil die einst ruhmreiche Jugendarbeit in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt wurde? Wenn ja, dann wäre der Weg zu neuen Erfolgen womöglich ein anderer: Erst die Jugendarbeit wieder auf Vordermann zu bringen, um dann zu prüfen, ob der Befund für die U 23 noch immer auf „talentfrei“ lautet. Wenn ja, dann wäre der Schnitt wohl unumgänglich.

Wenn die Nachwuchstruppe aber wieder den Sprung in die dritte Liga schaffen könnte, wenn Jungspunde mit guter Perspektive dort nötigenfalls noch reifen dürften, mit emotionaler Bindung zum Verein, dann würde der VfB seine Wurzeln schützen, ohne sich den Gesetzen des hyperinflationären Menschhandels eilfertig zu beugen. Mag sein, dass der Profifußball so viel Konjunktive nicht mehr verträgt. Aber ist der VfB nur noch AG, nicht mehr Verein?

VfB Stuttgart II - Regionalliga

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