Die Finanzpolitiker der Regierungsfraktionen haben offenbar erkannt, dass ihnen mit einer Neuregelung der Bewertungsreserven bei Lebensversicherungen ein gravierender Fehler unterlaufen ist. Foto: dpa

Der Proteststurm gegen ein Gesetz, das zu massiven Abstrichen bei Lebensversicherungen führen kann, zeigt Wirkung: Nach Informationen der Stuttgarter Nachrichten prüft die Koalition jetzt, ob sie das umstrittene Gesetz auf Eis legt.

Berlin - So etwas hat es in der jüngeren Geschichte nicht gegeben: Nur wenige Wochen nachdem die Koalition ein Gesetz verabschiedet hat, kommen bei den zuständigen Fachleuten der Union handfeste Zweifel auf. Hinter vorgehaltener Hand hat ein Unionsabgeordneter den Stuttgarter Nachrichten bereits in der vergangenen Woche bekannt: „Ich weiß nicht, ob wir da einen großen Fehler gemacht haben.“ Nach Informationen unserer Zeitung prüft die Koalition nun Wege, wie sie das Gesetz korrigieren kann. Klar ist: Die Koalition muss schnell handeln, das Gesetz tritt am 21. Dezember in Kraft.

Darum geht es: Anfang November hatte der Bundestag gegen den Protest der Opposition weitreichende Änderungen bei der Beteiligung von Lebensversicherungskunden an den Überschüssen von Lebens- und Rentenversicherungsunternehmen beschlossen. Erst als Medien über die Folgen der Gesetzesänderung berichteten, wurden viele Kunden hellhörig, erkundigten sich und waren entsetzt: Insbesondere Versicherten, die in diesen Monaten die Auszahlung ihrer kapitalbildenden Lebensversicherung erwarten, kann die Gesetzesänderung drastische Einbußen bescheren. „Die Gesetzesänderung führt bei einigen Fällen dazu, dass die Auszahlung um über zehn Prozent geringer ausfällt“, sagte ein Mitglied der Unionsfraktionsspitze unserer Zeitung.

In den vergangenen Tagen sind die Finanzexperten der Union von ihren Fraktionskollegen geradezu bombardiert worden mit schriftlichen Eingaben von Bürgern, die sich Sorgen machen um die Früchte jahrzehntelangen Sparens.

Weniger Geld kein Einzelfall

Die Stuttgarter Nachrichten hatten am Freitag den Fall eines Allianz-Kunden publik gemacht. Der Baden-Württemberger, der am 1. Januar die Auszahlung seiner Police erwartet, hätte nach der bisherigen Gesetzeslage rund 92 000 Euro ausgezahlt bekommen. Durch die Gesetzesänderung sollten es nun, so die mündliche Auskunft seines Beraters, wohl „zwischen 6000 und 8000 Euro weniger“ sein. Er kommt nun wohl einigermaßen glimpflich davon: In seinem Fall war es besser, noch vor dem 1. Dezember den Vertrag zu kündigen. Trotz vorzeitiger Kündigung soll er nun noch rund 91.000 Euro bekommen.

Doch was ist mit all den Versicherten, die womöglich noch gar nichts ahnen von dem bevorstehenden Übel? Offenbar ist er kein Einzelfall. In der Koalition sichtet man derzeit die Fälle. Der Finanzexperte der Union bestätigt jetzt: „Vorher hieß es, dass die Gesetzesänderung im Einzelfall nur zu geringen Änderungen führt. Jetzt erfahren wir, dass es je nach Versicherungsgesellschaft doch sehr große Schwankungsbreiten gibt. Das hat uns vorher niemand erzählt“

Die Experten im Bundesfinanzministerium rechnen gerade fieberhaft. Die Zeit drängt: Wenn die Koalition tatenlos bleibt, würde das Gesetz am 21. Dezember in Kraft treten. Noch gibt es, zumindest offiziell, keine belastbaren Daten. Nach Informationen unserer Zeitung sucht man nach Wegen, den Schaden zu begrenzen. In Koalitionskreisen heißt es bereits: „Wir könnten kurzfristig einen Änderungsantrag beschließen.“ Denkbar sei aber auch, dass das Bundesfinanzministerium die Angelegenheit über eine Verordnung oder eine Anweisung bereinige. Es werde auch über eine Kappungsgrenze nachgedacht, etwa nach dem Muster: Die Zahlbeträge könnten nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag reduziert werden.

„Armutszeugnis für die Regierung“

Der Finanzexperte der Grünen, Gerhard Schick, sieht seine Befürchtungen bestätigt: „Im Finanzausschuss wurde unsere Kritik noch als völlig abwegig abgemeiert. Jetzt muss die Koalition ihren falschen Kurs bei der Rettung der Lebensversicherungen korrigieren, der die Kunden belastet und die Aktionäre schont.“ Schick fordert von der Koalition Transparenz: „Kernproblem ist der Versuch, massive Veränderungen bei den Lebensversicherungen durchzuziehen ohne klare Information für Parlament, Öffentlichkeit und für die einzelnen Kunden.“

Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten spricht von einem „Armutszeugnis für die Regierung“: „Es wäre zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber seine schweren handwerklichen Fehler eingestehen und den Verbraucher wieder stärker in den Fokus seines Handelns stellen würde.“

Kleinlein weist darauf hin, dass seine Organisation die Koalition sehr wohl vor den Folgen gewarnt habe. In einer Stellungnahme an das Bundesfinanzministerium schreibt der Bund der Versicherten: Der Gesetzgeber greife „tief in die Beteiligung der Versicherungskunden an den erwirtschafteten Überschüssen ein“. Die erfolge „ohne Not“: Es könne keine Rede davon sein, dass „einige Versicherer womöglich schon in Kürze ihre Garantiezinsen nicht mehr erwirtschaften“. Kleinlein: „Dieses Schreckensszenario trifft nicht zu. Die Versicherten brauchen Hilfe, nicht die Versicherer, deren Gewinne steigen trotz Krise weiter.“