Viele Mädchen in Afrika müssen früh heiraten und im Haushalt arbeiten. Foto: AP

Etwa 125 Millionen „Kinderbräute“ leben in Afrika. Bis 2050 könnte sich die Zahl nach Befürchtung von Unicef mehr als verdoppeln. Die Organisation fordert ein härteres Durchgreifen gegen die Zwangsverheiratung von Mädchen auf dem Kontinent.

Johannesburg - Die 14-Jährige erfuhr bei der Rückkehr aus der Schule, dass ihre eigene Hochzeit unmittelbar bevorstand. Während die Siebtklässlerin noch in ihrem Klassenzimmer in Südafrika saß, hatten ihre männlichen Verwandten einen Brautpreis in Höhe von 570 Dollar (knapp 540 Euro) ausgehandelt. Ihren Bräutigam hatte das Mädchen noch nie gesehen, er war doppelt so alt wie sie.

In den Monaten darauf erlitt sie das typische Martyrium vieler sogenannter Kinderbräute: Schläge und Vergewaltigungen waren an der Tagesordnung in ihrem neuen ehelichen Zuhause. Nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen entkam das Mädchen schließlich über einen Zaun und rannte zur nächsten Polizeiwache. Dort erstattete sie Anzeige. Es war der erste Fall einer Kinderheirat in Südafrika, die strafrechtlich verfolgt wurde.

In ganz Afrika leben Schätzungen zufolge 125 Millionen Mädchen, die als Minderjährige zwangsverheiratet wurden. Bis zum Jahr 2050 droht die Zahl laut einem Bericht des Kinderhilfswerks Unicef auf 310 Millionen zu steigen. Die Organisation warnt vor einem Vermächtnis der „verlorenen Kindheit und zerstörten Zukunft“ und fordert die Regierungen auf dem Kontinent auf, entschlossener gegen den Missstand vorzugehen.

Ein Leben in Gewalt und Armut

Für die Eltern spielen viele Motive eine Rolle, wenn sie sich für eine Zwangsverheiratung ihrer Töchter in jungen Jahren entscheiden. Viele Familien wollen mit dem Brautpreis Schulden zurückzahlen oder ihre Kinder vor einem Leben in Sünde bewahren. Häufig wird die Hochzeit auch schlicht aus Tradition arrangiert. Für die Mädchen bedeutet der Schritt oft ein Leben in Gewalt, Armut und mit einem erhöhten Risiko, sich mit dem Aids-Erreger HIV zu infizieren, wie Unicef erklärt.

Im Fall der 14-jährigen Südafrikanerin wurde der Ehemann im vergangenen Jahr wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Menschenhandel zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Er machte geltend, er habe nur nach einer gängigen Praxis gehandelt.

Zwar hat Südafrika eine liberale Verfassung und zahlreiche Gesetze zum Schutz von „Kinderbräuten“. Doch häufig setzt sich die Praxis des sogenannten Ukuthwala über modernes Recht hinweg, wie die staatliche Kommission für Gleichstellung erklärt. Die Zeit, in der junge Männer mit dem Einverständnis eines Mädchen bei den Eltern um dessen Hand anhielten, gehörten der Vergangenheit an. Heute seien es vielfach ältere Männer, die junge Mädchen entführten, vergewaltigten und anschließend in eine Ehe drängten, die häufig einer Versklavung ähnele, kritisierte der Ausschuss.

Kinderschutzrecht mit Schlupflöchern

Die alarmierende Kombination aus Entführung und Zwangsheirat war auch in Äthiopien verbreitet, vor allem in ländlichen Gebieten. Seit 2004 sind Kinderhochzeiten dort zumindest offiziell verboten.

In Mosambik dagegen existieren noch immer keine Gesetze zur Verhinderung von Zwangsheiraten Minderjähriger. Das geltende Kinderschutzrecht biete zu viele Schlupflöcher, sagt Unicef-Expertin Carla Mendonca. Wenn eine Dorfgemeinschaft beschließe, ein Mädchen nach traditionellem Ritus zu verheiraten - ob mit oder ohne dessen Zustimmung - hätten die Behörde keinerlei Handhabe.

In dem südostafrikanischen Land versprechen sich viele Familien vom Brautpreis einen Weg aus der bitteren Armut. Fast die Hälfte aller heute zwischen 20 und 24 Jahre alten Frauen dort wurden laut UNICEF vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet.

Tradition der frühen Heirat

„Meine Eltern sind arm, sie können es sich nicht leisten, sich um mich zu kümmern“, sagt eine 16-jährige, die selbst ein einjähriges Kind hat. „Ich habe meiner Familie geholfen, indem ich geheiratet habe, jetzt muss sie mich nicht mehr unterstützen.“

Eine Gleichaltrige in einem anderen Dorf in der mosambikanischen Provinz Inhambane ging von der Schule ab, weil ihr Mann das abendliche Lernen als zu gefährlich bezeichnete. „Ich war in der neunten Klasse“, sagt die 16-Jährige, die bei der angeheirateten Familie lebt, während ihr Mann im benachbarten Südafrika im Bergbau arbeitet. „Jetzt stehe ich um sechs Uhr morgens auf, putze das Haus, dann putze ich das Haus meiner Schwiegermutter und arbeite auf der Farm.“

Die frühe Verheiratung der Töchter hat in vielen Familien Tradition, wie der Regierungsdirektor der Stadt Inhambane, Pascoa Claudino Sumbana Ferrao, sagt. „Häufig wurde schon die Mutter selbst als kleines Mädchen weggegeben, so dass sie es für normal hält. Das wird von Generation zu Generation so weitergegeben.“

Großer Widerstand

In Simbabwe dagegen stehen oft religiöse Motive im Vordergrund. Viele Glaubensgemeinschaften, die ihre evangelikale Gesinnung mit traditionellen afrikanischen Elementen kombinieren, werben ausdrücklich für Kinderhochzeiten als Ausweg aus der Sünde, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärt. Die Kirchenführer befürworten auch Jungfräulichkeitstests bei Mädchen, die zum Teil erst zwölf Jahre alt sind.

„Das Problem ist, dass es Mädchen und Frauen nicht erlaubt ist, zu sprechen“, sagt ein Kirchenältester der Organisation. „Wenn ein Mann in der Kirche aufsteht und erklärt, dass Gott ihm im Traum gesagt hat, er solle ein bestimmtes Mädchen heiraten, dann ist das ein Gottesgebot, das befolgt werden muss.“ Eine Koalition einiger Kirchen im Land bemüht sich nun um ein Ende des Missstands, stößt dabei wie viele andere Aktivisten in ganz Afrika auf großen Widerstand.

„Wir wollen etwas ändern und Kinderhochzeiten in unseren Kirchen abschaffen“, sagt Erzbischof Johannes Ndanga, der zugleich einräumt, selbst schon Jungfräulichkeitstests überwacht zu haben. „Aber wir erleben viel Gegenwehr von einigen Kirchen, die an vielen Überzeugungen festhalten, die die Ausbeutung von Mädchen rechtfertigen.“