Letzte Chance vor dem Gefängnis: Bewährungshelfer betreuen Straffällige, die vom Gericht Auflagen erhalten haben Foto: dpa

In der Debatte um die neue Struktur der Bewährungshilfe ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Während die SPD die Betreuung von Straffälligen wieder in staatliche Obhut geben will, erwägen die Grünen eine Mischlösung.

Stuttgart - Obwohl sich die Landtags-SPD bereits auf eine Verstaatlichung der Bewährungshilfe festgelegt hat, tüftelt der Koalitionspartner noch einer Variante: Die Grünen erwägen eine Konstruktion, die auch künftig einen privaten Betreiber dieser Dienstleistung zuließe, eine vollständige Verstaatlichung also vermeiden würde.

„Wir prüfen die Gründung einer Gesellschaft, an der das Land mit 51 Prozent und ein privater Träger mit 49 Prozent beteiligt wären“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jürgen Filius, unserer Zeitung. Ob dies rechtlich möglich ist, sei derzeit zwar noch offen. Diese Mischvariante hätte jedoch gegenüber einer rein staatlichen Lösung den Vorteil, dass das Land nicht die komplette Infrastruktur vom bisherigen Betreiber erwerben müsste. Filius: „Das wäre auch im Interesse der Haushaltskonsolidierung.“

Die gemeinnützige GmbH „Neustart“ verantwortet die Arbeit der mehr als 1100 Bewährungshelfer seit 2006. Diese nicht-staatliche Lösung war von der damaligen schwarz-gelben Koalition eingeführt worden, obwohl eine erhebliche Zahl der Bewährungshelfer Beamte sind. Einer von diesen hat dagegen geklagt mit dem Argument, er dürfe als Staatsdiener keine privaten Weisung befolgen.

Der jahrelange Rechtsstreit endete schließlich im November vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das dem Kläger Recht gab. In der schriftlichen Urteilsbegründung, die seit wenigen Tagen vorliegt, heißt es unter anderem: „Weisungen anderer Stellen oder privater Dritter darf ein Beamter nicht entgegennehmen.“

Die bisherigen Bestimmungen des Landes dazu seien „unklar, von nicht auflösbaren Widersprüchen geprägt und unvollständig und daher nicht geeignet, eine Befolgungspflicht der an Dienststellen des Landes tätigen Beamten zu begründen“, heißt es weiter. Nur noch bis Ende 2016, wenn der Vertrag mit „Neustart“ ausläuft, ist die bisherige Konstruktion erlaubt. Wie es dann weiter geht, will Justizminister Rainer Stickelberger am Dienstag dem Kabinett erläutern.

Kommt "Neustart" als Juniorpartner erneut zum Zug?

Seine SPD-Fraktion hat sich allerdings bereits auf eine staatliche Lösung festgelegt. „Ab 2017 soll eine hundertprozentige Landes-GmbH zuständig sein“, sagt der rechtspolitische Sprecher Sascha Binder. Es sei Zeit, rasch eine rechtssichere und mitarbeiterfreundliche Lösung in staatlicher Verantwortung in die Wege zu leiten.

Allerdings scheint auch Binder noch nicht endgültig darauf festgelegt, wie diese GmbH aussehen soll – und ob sie nicht auch private Gesellschafter haben kann: „Der Hauptanteilseigner der Gesellschaft muss jedenfalls das Land Baden-Württemberg sein.“

Ob „Neustart“ als Juniorpartner erneut zum Zug käme, oder ob der private Teilhaber über eine Ausschreibung gefunden werden muss, ist laut Filius derzeit noch Gegenstand der rechtlichen Prüfung.

Rein theoretisch wären auch zwei Gesellschaften als Träger möglich: eine für die Beamten und eine für die angestellten beziehungsweise ehrenamtlichen Bewährungshelfer. Doch eine solche Doppelstruktur lehnen sowohl SPD als auch Grüne ab. Die vom Gericht monierten Widersprüche ließen sich auch nicht durch eine Gesetzesänderung aus der Welt schaffen, meint Binder.

Beide Fraktionen betonen aber, sie wollten auch bei einer staatlichen Lösung die von „Neustart“ eingeführten Neuerungen beibehalten und so die positive Arbeit fortführen. „Für mich steht ohnehin nicht die Organisationsstruktur, sondern die Qualität der Sozialarbeit im Vordergrund“, sagte Filius. Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU, Bernd Hitzler, plädiert dafür, die 2006 eingeleiteten Reformen beizubehalten.

„Neustart“ argumentiert hingegen, gerade die privatwirtschaftlichen Freiräume hätten diese Verbesserungen erst ermöglicht. Ein Sprecher verwies darauf, dass ein Gutachten des Justizministeriums der Gesellschaft hohe Qualität zu geringen Kosten attestiere. Die Entscheidung, die Bewährungs- und Gerichtshilfe wieder in staatlicher Regie zu organisieren, sei deshalb „weder nachvollziehbar noch sinnvoll“. Das Urteil lasse durchaus Spielräume für eine privatwirtschaftliche Lösung – notwendig sei allerdings der politische Wille dazu.