Etwa 1,2 Millionen Schüler in Deutschland versuchen, ihre schulischen Leistungen durch Nachhilfe zu verbessern Foto: dpa

Rund 14 Prozent der knapp 8,3 Millionen Schüler in Deutschland nehmen Nachhilfe in Anspruch. Für den Zusatzunterricht geben die Eltern rund 900 Millionen Euro jährlich aus. Fragen und Antworten rund um das Lernen nach der Schule.

Wie viele Schüler erhalten Zusatzunterricht?
Jeder siebte Schüler im Alter von 6 bis 16 Jahren nimmt Nachhilfe in Anspruch – etwa 14 Prozent der knapp 8,3 Millionen Schüler an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Das hat eine repräsentative Elternbefragung der Bertelsmann-Stiftung ergeben, die am Mittwoch in Gütersloh veröffentlicht wurde und an der 4300 Eltern teilnahmen. Von den insgesamt rund 1,2 Millionen Nachhilfeschülern erhalten 61 Prozent Nachhilfe in Mathematik, 46 Prozent in einer Fremdsprache und 31 Prozent in Deutsch. Im Osten Deutschlands nehmen 16 Prozent Nachhilfe in Anspruch, im Westen sind es 13 Prozent.
Nehmen nur Schüler mit schlechten Noten Nachhilfe in Anspruch?

Ganz im Gegenteil: Ein Drittel der Schüler, die Zusatzunterricht in Anspruch nehmen, hätte diesen wohl gar nicht nötig: Sie haben befriedigende bis sehr gute Noten. Gerade in den weiterführenden Schulen versuchen immer mehr gute Schüler, ihre Leistungen zu verbessern. Während in der Grundschule knapp fünf Prozent aller Kinder Nachhilfe erhalten, sind es später rund 18 Prozent. Am häufigsten verbreitet ist die Lernunterstützung an Gymnasien. Dort nutzt fast jeder fünfte Gymnasiast (18,7 Prozent) Nachhilfe.

Aus welchem Grund nutzen auch gute Schüler die Zusatzangebote?
Bildungsforscher und Studienautor Klaus Klemm ist der Ansicht, den Eltern gehe es darum, mit guten Notendurchschnitten die Chancen auf Ausbildungsplatz- und freie Studienfachwahl zu verbessern. „Wir sehen den deutlichen Trend, dass es nicht mehr nur darum geht, schulisches Scheitern abzuwenden“, so Klemm. Allerdings hoffen nicht nur die Eltern auf eine Leistungssteigerung. „Vor allem älteren Schülern geht es darum, besser zu werden“, sagt Sabine Angelkorte von der Nachhilfe-Kette Schülerhilfe. Angelkorte sieht darin eine Neugewichtung der Werte: „Vor 20 Jahren war die Konkurrenzhaltung eine andere. Die Motivation hat sich gesteigert.“ Dieses Phänomen lasse sich auch in Stuttgart beobachten. Dort ist die Schülerhilfe mit acht Niederlassungen vertreten. Nach wie vor seien es aber noch immer vor allem schlechte Schüler, die mit der Nachhilfe ihre Noten verbessern wollen, so Angelkorte.
Wie viele Schüler haben Nachhilfe nötig?
Mit rund 250 000 Schülern pro Jahr gehört Deutschland zu den Staaten mit den meisten Sitzenbleibern, so der Bundesverband der Nachhilfe- und Nachmittagsschulen (VNN). Pro Jahr verlassen zudem etwa 400 000 Jugendliche mit einer Verzögerung von mindestens einem Jahr die Schule. Gäbe es keine Nachhilfeangebote, könnten diese Zahlen mehr als doppelt so hoch sein, so der Verband in einem Eckpunktepapier von 2014.
Wie viel Geld geben Eltern für Nachhilfe aus?
Laut Befragung geben Eltern in Deutschland rund 879 Euro jährlich für Nachhilfe aus. Pro Kind sind das durchschnittlich 87 Euro im Monat (1043 Euro pro Jahr). Wie hoch das Einkommen ist, spielt dabei nur eine geringe Rolle: Schüler aus Familien mit einem Haushaltseinkommen über 3000 Euro nutzen die Angebote häufiger als Elternhäuser mit weniger Geld (15 Prozent gegenüber rund 12 Prozent). Unterschiede existieren derweil zwischen den Bundesländern: „Während die Eltern in Bayern und Baden-Württemberg noch immer viel Geld in Nachhilfeangebote investieren, kämpfen die Nachhilfeinstitutionen in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland seit Jahren mit großen Schwierigkeiten“, sagt Cornelia Sussieck von VNN. Das scheint sich auch in den Ausgaben für die Nachhilfeangebote niederzuschlagen: 2010 lagen diese einer Bertelsmann-Studie zufolge zwischen 942 Millionen und 1,468 Milliarden Euro. Den Rückgang erklärt sich Sussieck mit den Angeboten auf dem Schwarz- und Graumarkt: „Ich vermute, dass viele Eltern als Erstes nach einer günstigen Lösung in ihrem persönlichen Umkreis suchen.“
Welche Angebote zählen zur Nachhilfe?
Prinzipiell kann man überall dort, wo der Schultag mit zusätzlichen Lernangeboten ergänzt wird, von Nachhilfe sprechen. Sie umfasst zum einen kommerzielle Anbieter – nach Schätzungen des VNN gibt es rund 4000 kleinere wie größere Institute in Deutschland. Daneben existiert ein großer grauer Markt, auf dem Studenten, Schüler, pensionierte Lehrkräfte und andere ihre Dienste anbieten. Auch die individuelle Zusatzförderung an Schulen nach dem regulären Unterricht wird von manchen als Nachhilfe verstanden: In der Elternbefragung der Bertelsmann-Stiftung gaben 26 Prozent der Teilnehmer an, nichts für den Zusatzunterricht ihrer Kinder zu bezahlen.
Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?
Gar nicht so schlecht: In einem Vergleich der Pisa-Daten von 2012 mit anderen Industrieländern belegte die Bundesrepublik bei der Nachhilfe-Teilnahme einen der hinteren Plätze. Im förderbedürftigsten Fach Mathematik etwa liegt der Anteil der 15-jährigen Nachhilfeschüler in Japan mit fast 70 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland (knapp 29 Prozent). Die durchschnittliche Nachhilfequote in der Altersklasse liegt in den 34 untersuchten OECD-Staaten bei rund 38 Prozent.
Welche Probleme sehen Experten?
Nachhilfe wird dort nachgefragt, wo regulärer Unterricht nicht ausreicht. Das sehen viele Forscher kritisch: „Eigentlich ist es Kernaufgabe der Schulen, die Potenziale der Jugendlichen so zu fördern, dass sie nicht mehr auf privat finanzierte Nachhilfe zurückgreifen müssen“, sagt Bildungsforscher Klemm. Stehen nicht ausreichend kostenfreie Angebote der individuellen Förderung zur Verfügung, bedrohe das die Chancengleichheit: „Wenn schulischer Erfolg von privat finanziertem Unterricht abhängt, ist das ein Einfallstor für Ungleichheit bei den Bildungs- und Aufstiegschancen“, warnt Klemm. Wie viel Nachhilfe tatsächlich bringt, ist derweil umstritten.
Wie schätzen Lehrer die Befunde ein?
„Schule sollte in der Lage sein, auf die Verschiedenheit von Kindern einzugehen, so dass Nachhilfe die Ausnahme bleibt“, sagt Erziehungswissenschaftlerin und GEW-Vorstand Ilka Hoffmann. Doch für flexibles Reagieren auf die Neigungen von Kindern, offene Unterrichtsformen, Kleingruppen und kreative Lernangebote brauche es ausreichend Personal.