Wolfgang Gönnenwein (†) im Jahr 2008 Foto: dpa

Es gibt Menschen, die niemandem gleichgültig sind. Das sind die Kämpfer, die Kantigen, die Typen mit Visionen. Wolfgang Gönnenwein gehörte zu ihnen. An diesem Sonntag ist der Mann, der fast alle wichtigen musikalischen Ämter im Land bekleidet hat, im Alter von 82 Jahren gestorben.

Stuttgart - Es gab diese Momente, in denen seine Augen zu glänzen begannen. Dann trat der Überzeugungstäter Wolfgang Gönnenwein vor den Vorhang, der Eiferer, der Feuerkopf. „Musikalische Bildung ist nicht nur Sahnehäubchen, sondern Humankapital“, sagte er dann etwa, sprach von Musik als „menschheitserhaltendem Element“, und wenn er einmal in Fahrt war, hielt ihn nichts und niemand auf.

Zu Wolfgang Gönnenwein, dem ehemaligen Rektor Stuttgarter Musikhochschulrektor, dem ehemaligen Generalintendanten der Württembergischen Staatstheater, dem ehemaligen Staatsrat für Kunst in Lothar Späths Kabinett, dem ehemaligen Leiter der Ludwigsburger Schlossfestspiele (und zwei Jahre lang auch des Festspielhauses Baden-Baden), gehörte die Lust an Begegnungen und Gesprächen ebenso dazu wie die Lust an der Macht.

Energiebündel und gut vernetzter Kenner der Szene

Auch deshalb ist er wohl 2005, als er eigentlich mit allem aufhören wollte, noch fünf Jahre lang als Präsident des Landesmusikrats Baden-Württembergs in den Ring gestiegen. Der Netzwerker Gönnenwein war hier gefragt, das Energiebündel, der intime Kenner der Szene mit engen Beziehungen zur Politik wie zur Wirtschaft. Die Position des Landesmusikratspräsidenten wirkte, als habe man sie für einen Hans-Dampf-in-allen-Gassen geschaffen, wie Wolfgang Gönnenwein einer war. Also für einen, dessen Erfolgsrezept laut Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel darin bestand, dass er „Kunst und Kunstpolitik, Kunst und Kunstmanagement nie als Gegensätze betrachtete“.

Beim Dirigieren der Politik, zumal beim Umgang mit öffentlichen Geldern, war er immer so maßlos, wie man es vielleicht ab und zu sein muss, wenn man mit Kunst umgeht; glücklich war er dabei allerdings nicht immer. Den Schuldenberg, den er in den frühen 90er Jahren anhäufte, haben ihm Viele nie verziehen. Aber maßlos war er auf ganz positive Weise auch in den Worten, mit denen er Politik und Politiker mahnte und herausforderte (und, nebenbei, auch die Idee eines Musikgymnasiums stark vorangetrieben hat). Mancher seiner Sätze wird im Ohr bleiben. Zum Beispiel dieser: „Wir zehren“, so der Landesmusikratspräsident 2008, „von der Substanz, wenn der kaum mehr vorhandene Musikunterricht in der Grundschule und die musikalische Früherziehung im Vorschulalter so tot bleiben, wie sie momentan sind.“

Zeitlos war (leider) auch die Antwort, die Gönnenwein auf die Frage gab, ob Baden-Württemberg schon ein Kinderland sei: „Nein“, antwortete er da, dies sei „erst dann der Fall, wenn die musische Erziehung der Kinder in unserem Land die Aufmerksamkeit erhält, die ihr gebührt - quer durch alle sozialen Schichten und alle Altersstufen. Hier haben wir noch ein großes Defizit. Wobei zur musischen Erziehung nicht nur das Instrument gehört, sondern auch ein Zeitfenster, in dem dieses Instrument benützt und trainiert werden kann. Denn beim Musikmachen geht es um Kreativität, Sensibilität, Fantasie, soziale Kompetenz - alles Fähigkeiten, die der Nachwuchs heute beim Kampf um qualifizierte Arbeitsplätze braucht. Kulturausgaben sind immer auch Sozialausgaben.“

Man könnte ewig weiter zitieren: So viele wichtige Sätze hat Wolfgang Gönnenwein gesagt, dass sich ein ganzes Buch mit ihnen bestücken ließe: das Buch eines Predigers, ein Geschenkbuch, das ein Forderungskatalog ist, und zu fordern hat Gönnenwein, der zugleich Genießer und ernsthaft war und deshalb wohl auch für sich einmal „eine intelligente Sinnlichkeit, eine Art säkularisierte Katholizität“ einforderte, immer sehr viel. Zum Beispiel auch dies: „Wir müssen unsere Gesellschaft zu mehr Akzeptanz für Musik, Kunst und Kultur animieren - gleich, ob im Laien- oder im professionellen Bereich, und dann müssen wir diese beiden Bereiche wieder zusammenbringen. Es muss allen klar sein: Musik ist ein Bollwerk gegen Gewalt und Depression, sie ist Teil einer Ökologie des Geistes und der Seele.“ Wir trauern um einen Künstler, einen Kunst-Ermöglicher und Kunst-Genießer, eine große Persönlichkeit, die immer wieder Finger in Wunden des Kulturbetriebs legte und zeigte, was alles möglich wäre, wenn man es nur wollte.