Arbeit von Thomas Lenk Foto: Galerie Schlichtenmaier

Die Kunstakademie in Stuttgart besucht er nur kurz, über eine Steinbildhauerlehre kommt Thomas Lenk in den 1950er Jahren dennoch zur Kunst. Mit der Schichtung quadratischer Formen feiert er in den 1960er Jahren internationale Erfolge. Im Alter von 81 Jahren ist er in Schwäbisch Hall gestorben.

Stuttgart - Ein Bierdeckel ist ein Bierdeckel, ist ein Quadrat mit abgerundeten Ecken, ist ein Untersatz – und Mitte der 1960er Jahre Ausgangspunkt neuer Kunstpositionen. Peter Roehr reiht die Botschaft der damaligen und inzwischen wiederbelebten Kultmarke Wulle in konkreten Bildformationen.

Noch einen Schritt weiter geht der 1933 in Berlin geborene Bildhauer Thomas Lenk. Er schichtet die Bierdeckel unter jeweils minimaler Verschiebung und bemalt die entstehenden Außenseiten mit grellen Farben.

Lenk hat seine Form und überträgt sie auf unterschiedlichste Materialien: Aus einer Schichtfolge gleich großer, quadratischer und gleich starker Filzpappen, Holzplatten oder Aluminiumstücke baut er Skulpturen auf, die sich gleichmäßig reihen oder sich in immer gleichen Abständen und Winkeln in der Raumrichtung zueinander verschieben. Kennzeichen seiner Werke werden das quadratische Einzelelement mit gerundeten Ecken und dem möglicherweise eingeschriebenen, ausgeschnittenen Kreis. Gleichermaßen rufen Lenks abstrakte Skulpturen Vergleiche zur zeitgenössischen Kubenarchitektur oder zum zeitgleichen Design moderner, serieller Stapel- und Rastergeschirre hervor.

Lenks Denken in Modulen feiert bald international Triumphe. Dabei beginnt sein Kunstweg eher holpernd. 1952 beginnt er ein Studium an der Stuttgarter Akademie, verlässt die Hochschule aber schnell wieder. Lenk macht eine Steinmetzlehre – und kommt auf diesem Weg doch zur Skulptur. 1957 begegnet er in Stuttgart Georg Karl Pfahler. Der Maler zieht den Autodidakten Lenk in das Feld der jungen Künstler um den Galeristen Hans-Jürgen Müller. Zugleich akzeptiert er ebenso wie Müller von Beginn an die spürbar eigene Haltung Lenks. Auch in der Zugewandtheit bleibt Distanz. Eine Distanz aus Respekt, eine Distanz aber auch, die Lenk als kühlen Beobachter ausweist, als Analyst.

Zugleich ist da diese unerhörte Entschiedenheit: Stapel, serielle Reihe und modifizierte Folge des Gleichen bestimmen Aufbau und Ausdruck von Lenks Skulpturen. Das ist seinerzeit neu in Deutschland, und das internationale Echo lässt nicht lange auf sich warten. Lenk ist in Dieter Honischs Schau „Formen der Farbe“ dabei. Und Edward F. Fry, seinerzeit Direktor des Guggenheim Museum in New York, sieht 1968 Thomas Lenk als den „eigenständigsten und wichtigsten unter den deutschen Bildhauern“. 1968 auch sind Lenk-Werke auf der Weltkunstausstellung Documenta IV in Kassel zu sehen. Und zwei Jahre später vertritt er Deutschland auf der XXXV. Biennale in Venedig. Dies gemeinsam mit Pfahler, Heinz Mack und Günther Uecker, womit nicht nur die Verbindungslinien zu Pfahler und das Gewicht des Südwestens in der deutschen Gegenwartskunst der 1960er Jahre belegt sind, sondern auch die Brücke zur von Mack mitbegründeten Zero-Bewegung.

Ein Star dieser Zeit ist Lenk, ein Star, der sich zu Hause, in Stuttgart, in der Mannschaft der Galerie Hans-Jürgen Müller aufgehoben fühlt. Solche Sicherheit braucht es ja, um immer weitere Vorstöße in den Raum zu wagen – bis hin etwa zu jenem „Stuttgarter Tor“, das 1977 in Stuttgarts Mittlerem Schlossgarten aufgestellt wird und Jahrzehnte vergeblich auf ein vergleichbar kühnes plastisches Echo hofft.

Leicht zu übersehen ist aber dies: Die Schichtung von Scheiben schafft Volumen und bleibt doch eine Linienfigur. Folgerichtig haben die Zeichnungen Thomas Lenks von Beginn an eigene Qualität. Eine Farbstiftlinie ist gesetzt, eine zweite antwortet – und gemeinsam bergen sie ein doch souverän auftretendes Bleistiftlinienbündel. Dazwischen vor allem dies: Raum. Oder ist es anders – bilden die Linien den Raum? Die Zeichnung spiegelt das Schaffen Lenks. Sie belegt zudem die auch in den plastischen Studien spürbare Vorsicht. Behutsam streckt etwa ein sich tänzelnd stützendes Gebilde seine stählernen Fühler aus.

„Dialektische Objekte“ nennt Lenk seine frühen Arbeiten. Und auch, wenn sich die formalen Vorzeichen ändern – die Dialektik zwischen Linie und Raum, Fläche und Volumen bleibt. Bis in die jüngste Zeit, wie wiederholte Präsentationen von Lenks Schaffen der 1990er und 2000er Jahre durch die Galerie Schlichtenmaier in Grafenau und Stuttgart belegen. So betritt man etwa 2013, mit der Schau zum 80. Geburtstag Lenks, ein Labor der „Schichtungen“. Das seinerzeit schönste Stück ist „Schichtung zwischen Zollstöcken“ von 2007 und damit die jüngste Arbeit der Schau. Das Modell verrät eine Präzisierung des Konkreten – ein Weg, den Lenk krankheitshalber in der Folge nicht mehr weitergehen kann. So bleibt das kühn Geometrische, in dem auch ein Knick elegant erscheinen kann.

„Wie lange aber“, schrieb unsere Zeitung anlässlich der Geburtstagsausstellung in der Galerie Schlichtenmaier, „will man im Südwesten warten, um sich diesem Schaffen umfassend und museal gültig zu nähern? Drängender wird diese Frage. Nicht aber begründet durch das Alter Lenks, sondern durch eine Ausstellung wie diese.“ Und weiter: „So darf man den Titel der Ausstellung getrost als Aufforderung verstehen: ,Position beziehen.‘“

Am Montag ist Thomas Lenk im Alter von 81 Jahren in Schwäbisch Hall gestorben. 1974 hatte er von Fürst Kraft von Hohenlohe-Langenburg die Burg Tierberg erworben. Die deutsche Kunst verliert eine bedeutende Stimme. Mit Thomas Lenk verbinden sich Vertrauen in die Achtsamkeit und Misstrauen gegenüber jedweder Form des Beliebigen.