Am 21. Oktober gestorben: Manfred Krug Foto: Stagediver Events

Eine Spur zu eckig, eine Spur zu laut, eine Spur zu unbeteiligt – und ganz viel Eigensinn. Und doch wurde der Schasupieler und Sänger zu einem Vertrauten, zu einem, den man für sich sprechen ließ. Wie hat Manfred Krug dies gemacht? Mit der Qualität seiner leisen Töne, ist „Stuttgarter Nachrichten“-Titelautor Nikolai B. Forstbauer überzeugt.

Stuttgart - Es ist eine deutsche Geschichte. Der Duisburger Junge aus auch kriegsbedingt zerrütteten Verhältnissen, der mit seinem Vater 1949 in der neu gegründeten DDR eine neue Heimat findet, später eine Lehre als Stahlschmelzer im Stahl- und Walzwerk in Brandenburg an der Havel macht, noch später als Sänger wie als Schaupieler omnipräsent zu sein, und schließlich 1977 mit offizieller Ausreisegenehmigung in den Westen zu übersiedeln.

Die DDR verstößt ihren Helden

Die Mächtigen hatte ihn fallen lassen, nachdem Krug auf seine eigene Art gegen die Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 protestiert hatte. Erich Honeckers gerne überlieferter Satz „Wir brauchen viele Krüge“ galt nicht mehr, die SED machte ihren Vorzeige-Schauspieler mit Stahlwerker-Prägung die Comicfigur eines Luxus-Lebemanns.

Im Westen eine Werbeikone

Es ist eine deutsche Figur. Irgendwie zu groß, irgendwie zu laut, irgendwie zu unvollkommen, irgendwie zu schnell. Machte aber gerade dies Manfred Krug nicht auch zu einer Vertrauensperson, zu einem, dem man gegebenenfalls alles sagen würde, auf jeden Fall aber alles glauben würde? Der Volksschasupieler Manfred Krug, zu dem ihn das westdeutsche Fernsehen mit den Serie „Auf Achse“ und „Liebling Kruzberg“ gemacht hatte, und die Volksaktie, als die sich die Telekom-Anlage präsentierte – das musste doch einfach passen. Auf die Millionenverluste reagierte Manfred Krug ganz im eigenen Lebenssinn: Kurz, knapp und direkt die Entschuldigung, deutlich das „Mein größter Fehler“ – um doch zu weiteren Werbeanfragen nicht Nein sagen zu können.

Widerstand mit Krawatte

Wie also hat er das gemacht, immer bewusst zu überziehen und dafür auch noch mit einem Freifahrtschein ausgestattet zu werden? Das Geheimnis ist vermutlich, dass es keines gibt. Der Schriftsteller Jurek Becker, mit dem Krug schon in Ost-Berlin in einer Wohngemeischaft gelebt hatte, kannte ihn wohl schlicht in allen Lebenslagen so genau, dass seine Drehbücher für die Anwaltsserie „Liebling Kreuzberg“ einen neuen Typus im westdeutschen Fernsehen schufen: eine Figur, die ganz aus der Spiegelung der Eindrücke aus dem Lebensalltag und der kleinen und großen Veränderungen in einem Stadtquartier entsteht. Eine Figur, die Widerstand schon mal in einem komplett unmöglichen Muster einer stets zu breiten und konsequent schief sitzenden Krawatte dokumentiert. Ene Figur, die auch dann noch die Füße auf dem Tisch hat, wenn in einem Fall nichts mehr zu gewinnen ist. Eine Figur, die man jede Sekunde dabei ertappt, falsch zu liegen und die gerade deshalb irgendwie recht haben muss. Und dies auch, weil da ja immer auch dieses andere ist, dieses Leise, diese Fähigkeit, Pausen nicht nur zu setzen, sondern diese Pausen auch zu durch Blicke und Köperhaltung zu einem eigenen Raum des Spiels zu machen.

Dass der Westen ihn, der doch in der DDR auch als Jazzmusiker und Chansonnier Erfolge feierte, verkürzt, ihn auf den Polterer mit Tiefgang verkürzt, wird Manfred Krug sehr genau gespürt haben. Er will jedoch als Schauspieler antworten.

Star als „Tatort“-Kommissar Stöver

Star als „Tatort“-Kommissar Stöver

1984 ist es soweit – der „Tatort“-Kommissar Stöver gibt Krug die Freiheit, vor allem in den Dialogen einen neuen Ton zu kultivieren – den der lässig, fast herablassend gestellten Frage. Krug wies dem Beiläufigen eine Hauptrolle zu. Doch Erfolg kann auch verführen: Das Duett mit Charles Brauer, der als Stöver-Kollege Brockmöller dafür da ist, den Chef ordentlich am Arm oder am Mantel zu zupfen, wenn der mal wieder die Dienstvorschriften Papier sein lässt oder gerne auch zu freudig in ein angestimmtes Liedchen einfällt, erfreute sich durchaus massiver Schablonen.

2001 war, nach 38 Fällen, Schluss mit den „Tatort“-Duetten, die Musik aber rückte danach wieder deutlicher in den Arbeitsmittelpunkt. Der Stahlwerker, der eher als „unzuverlässig“ geltende Ost-Berliner Schauspiel-Student, der aufhören muss, um dann doch noch seinen Abschluss zu machen, der Fernehliebling und der Star der Produktplatzierung – bei Manfred Krug hatte alles irgendwie und irgendwann seine eigene Zeit. Eines aber transportiert er doch immer: dass die Menschen wichtiger sind als die Systeme.

Für immer Hannes Balla

Ist es schon wieder typisch für Manfred Krug, dass sich auch diese Wirkung einer Rolle verdankt? 1966 spielt er in Frank Beyers Defa-Film „Spur der Steine“ den Zimmermann und Brigadeleiter Hannes Balla. Gerade drei Tage ist der Film in den DDR-Kinos zu sehen, dann ist Schluss. Ein tief fallender Parteisekretär, der von dem ungestümen Balla verteidigt wird – das ist zu viel für die SED. Manfred Krug sucht sich die Zwischentöne in der Folge vor allem in der Musik. Begeistert vom deutschen Schlager der 1920er Jahre wie vom New Yorker Clubb-Jazz jener Zeit, schafft er etwas, das doch erst nach der westeutschen Fernsehkarriere in ganzer Qualität erlebbar wird: die scheinbare Unmöglichkeit eines deutschen Chansons.

1972, Manfred Krug agiert in dem Defa-Film „Die gestohlene Schlacht“ als Meisterdieb, singt der junge Hüne, der durch einen Herrschenden ausgenützt werden sollte, die Absichten durchschaut und selbst den König vorführt, am Ende das Lied des Meisterdiebs. Es endet mit der Zeile „Hoch steh’n die Sterne, nimm sie dir!“. Manfred Krug hat dieses Lied zu seinem gemacht. Im Alter von 79 Jahren ist er am 21. Oktober in Berlin gestorben. Eine weitere Tour des Sängers und Erzählers Manfred Krug war geplant.

Ob jetzt Zeit sein wird, genauer in und auf die Lieder zu hören? Manfred Krug, der 2012 in seinem „MK Bilderbuch“ formulierte „Mir tun sowieso zu viele Leute leid, das strengt mich an“, hätte wohl nur kurz die Mundwinkel verzogen, spöttisch.