Jeanne Moreau besuchte noch im hohen Alter Filmfestivals – und versprühte sichtlich Lust auf die Geschichten und Bilder des Kinos. Foto: AFP

Sie sei nicht fotogen, wurde der französischen Schauspielerin Jeanne Moreau zu Beginn ihrer Karriere knallhart gesagt. Doch die nun im Alter von 89 Jahren Gestorbene ließ sich nicht beirren. Sie wurde zur ausdrucksstarken Muse großer Regisseure.

Stuttgart - Gleich in der ersten Einstellung seines tragischen Krimidebüts „Fahrstuhl zum Schafott“ (1958) widmete sich Louis Malle, einer der Pioniere der Nouvelle Vague, mit einer Nahaufnahme dem Gesicht seiner Charakterdarstellerin Jeanne Moreau: Es war ausdrucksstark, entsprach aber keinem gängigen Schönheitsideal. Manche fanden jedoch, die spröde, fast tragisch anmutende Erscheinung sei eine „belle laide“, eine hässliche Schöne, wegen der dunkel umflorten Augen und dem mal missmutigen, mal trotzigen Zug um die Lippen.

In den Fünfzigern und Sechzigern waren Stars wie Brigitte Bardot und Gina Lollobrigida das Maß der Weiblichkeit, mit Wespentaille, viel Busen und viel Po, mit sinnlichem Mund und keck verruchter Unschuldsmiene. Diven wie Sophia Loren definierten mit ihren Körpern einen drallen, fast hysterischen Sexappeal. Die kühle, unnahbar wirkende Jeanne Moreau kehrte in „Fahrstuhl zum Schafott“ die Seele ihrer Figur nach außen und kreierte eine ungeschminkte, hintergründige Erotik. Die fruchtbare Zusammenarbeit bei diesem Film verhalf Malle und Moreau zum Durchbruch.

Mut und Starrsinn

Doch Jeanne ließ sich nicht an die Kandare nehmen und setzte sich in der von Männern dominierten Theater- und Filmwelt durch. Mit mutigem Starrsinn und ausgeprägten Unabhängigkeitsdrangs mauserte sich die 1928 in Paris geborene Tochter aus einfachem Haus zum Publikumsliebling an der elitären Comédie Française, wo sie mit zwanzig Jahren als jüngstes Ensemblemitglied engagiert war. Damit war aber ihr großes Talent noch lange nicht ausgereizt. Sie wurde auch ein Kinostar, die Muse experimentierfreudiger Regisseure des europäischen Nachkriegskinos wie François Truffaut, Luis Buñuel oder Michelangelo Antonioni und auf großen Festivals wie dem von Cannes stets gefeiert. Dabei hatten ihr Manager und Studiobosse eine Leinwandkarriere gar nicht zugetraut. „Ich habe zur Genüge zu hören bekommen, dass ich nicht fotogen sei, und lange Zeit haben die Maskenbildner versucht, die kritischen Stellen zu vertuschen. Louis Malle hat mich gewaschen“, sagte sie einmal im Interview.

Geliebte mit Schnurrbart

In den Sechzigern gestaltete sie ein neues, unkonventionelles Kino mit, neugierig auf extreme Stoffe und komplizierte Charaktere. Unter der Regie von Truffaut spielte sie 1961 in „Jules und Jim“ eine ihrer größten Rollen: Catherine, die Geliebte zwischen zwei Männern, die sich nicht in Konventionen zwängen lässt und einmal sogar in der Verkleidung eines hübschen Jungen mit aufgemaltem Schnurrbart und in die Stirn gezogener Mütze spielerisch das Geschlecht wechselt. Sieben Jahre später besetzte Truffaut sie erneut als Frau, die ihre Liebe radikal und ohne Rücksicht auf die eigene Existenz auslebt: In „Die Braut trug schwarz“ räumte die Moreau als eiskalte Rächerin Julie Kohler akribisch die Mörder ihres Mannes aus dem Weg.

Vor allem an solch kantigen, düsteren und in der Zeit ihrer Entstehung von Kritik und Zuschauern als extravagant wahrgenommenen Stoffen fand die Darstellerin, die Orson Welles als „größte Schauspielerin der Welt“ bezeichnete, Gefallen. Für Welles schlüpfte sie in dessen Adaption von Kafkas bis dahin als unverfilmbar geltenden Roman „Der Prozess“ in die Rolle des Fräulein Bürstner, 1964 gab sie in Luis Buñuels bitterer Gesellschaftssatire „Tagebuch einer Kammerzofe“ das Dienstmädchen Célestine im Haushalt von reaktionären Provinzgroßbürgern. Auch im deutschen Autorenkino war Moreau vertreten. Rainer Werner Fassbinder besetzte sie 1982 in „Querelle“ als abgehalfterte Puffmutter im Seefahrer-Milieu, wofür sie auch den Song „Each Man kills the Thing he loves“ einsang.

Kein Glück in der Liebe

Wie so viele ihrer Leinwandheldinnen hatte Moreau in Liebesdingen nicht immer Glück. Der ersten kurzen Ehe mit dem Schauspielerkollegen Jean-Louis Richard, die nach zwei Jahren 1951 geschieden wurde, entsprang immerhin der Sohn Jérome. Auch die Ehe mit dem amerikanischen Regisseur William Friedkin („French Connection“) scheiterte nach kurzer Zeit. In den siebziger Jahren fing sie eine kurze Affäre mit dem österreichischen Dichter Peter Handkean. 1973 war sie in Paris in dessen Stück „Der Ritt über den Bodensee“ aufgetreten.

Das Theater war Jeanne Moreau zeitlebens wichtig, doch noch im hohen Alter zog es sie vor die Kamera. Durch ihr souveränes Spiel adelte sie die Filme junger Nachwuchsregisseure wie zum Beispiel Ilmar Raags „Eine Dame in Paris“ (2012). Aber irgendwann müssen auch die ganz Unerschrockenen abtreten: Am Montag, dem 31. Juli, ist die 89-Jährige tot in ihrer Pariser Wohnung aufgefunden worden.