Frühes Werk von Uwe Scholz für das Stuttgarter Ballett: „Prismen“ Foto: Ballett

In Erinnerungen zu schwelgen, verbietet der Anlass. Vor zehn Jahren, am 21. November, ist Uwe Scholz in Bad Saarow gestorben – von Alkoholkonsum wie Tablettenmissbrauch gänzlich geschwächt: ein vergleichsweise junger Choreograf, gerade mal 45 Jahre alt, dessen Karriere in Stuttgart begann. Eine Spurensuche in Stuttgart, Zürich und Leipzig.

Stuttgart - Schmächtig war er von Gestalt, aber als Ballettdirektor in Zürich und Leipzig hat Uwe Scholz ein geradezu gigantisches Œuvre hinterlassen. Sich seines Erbes zu vergewissern und damit den Choreografen wieder gegenwärtig zu machen ist allerdings mehr als nur ein Gebot der Stunde. Schließlich gibt es kaum jemanden, der derart intensiv „in einer strikten Form wie dem klassischen Ballett etwas durchscheinen lässt von sich selbst“.

So Marco Goecke, Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts und damit in gewisser Weise Nachfolger seines Kollegen, der während der Direktion von Marcia Haydée von 1982 bis 1985 „ständiger Choreograf“ des Ensembles gewesen ist. Marco Goecke nennt dieses Können eine „große Kunst“ und akzeptiert den Vorgänger nicht nur in dieser Hinsicht als ein „Vorbild“, auch wenn sich dessen Sprache von der seinen unterscheidet.

„Was Uwe gemacht hat, war eigenartig in einem positiven Sinne“, meint auch Stuttgarts Ballettchef Reid Anderson. „Choreografen heutzutage choreografieren nicht wie er. Und damit basta! Ich weiß nicht, warum andere Kompanien Stücke von Uwe aufführen oder nicht; wir tun es, weil er wie Kylián, Forsythe, Neumeier oder MacMillan zu uns gehört. Er ist ein Teil unserer DNA.“

Das bewusst zu machen sei allerdings nicht immer einfach, wenn Programme die Balance halten sollen „zwischen dem, was ist, was war und was sein wird“. Der Todestag ist nach seiner Meinung nicht unbedingt der ideale Zeitpunkt, um Scholz zu ehren. Stattdessen will Anderson in der kommenden Spielzeit sein 20-jähriges Engagement als Ballettintendant feiern – und in diesem Zusammenhang als eins der Kompanie-Gene eine Choreografie von Uwe Scholz präsentieren.

Scholz’ Bedeutung ist auch für Zürich enorm. Dort muss sich Christian Spuck allerdings als Direktor erst richtig etabliert haben, bevor er die Ballettvergangenheit des Opernhauses bewältigen kann. Zu der neben Scholz selbstverständlich auch Heinz Spoerli gehört. Spuck betont, dass ihm „das Werk von Uwe sehr viel“ bedeutet, hatte er doch „das Glück, einige seiner Stücke in Stuttgart tanzen zu dürfen“. Er wird am 21. November eine Aufführung seiner jüngsten Produktion „Anna Karenina“ dem Verstorbenen widmen und im Programmheft an seinen Vorgänger erinnern.

Mehr und aktivere Erinnerung verbreitet am selben Tag Mario Schröder in Leipzig. „Wir wollen den ganzen Tag über Aktionen machen und all die Orte aufsuchen, wo sich Uwe Scholz aufgehalten hat, dort einen kurzen Ausschnitt aus einer seiner Choreografien zeigen, um anschließend gleich wieder zu verschwinden.“ Statt Gedenkgala also eher ein Flashback, bei dem die Tänzer durchaus auch mal improvisieren können, eine „getanzte Stadtkarte“ ganz in der Art, wie der Ballettdirektor sein Engagement in Sachen Scholz generell versteht: nicht als museales Bewahren, sondern als eine Verortung im Hier und Jetzt. „Ich will nicht etwas im Glaskasten ausstellen“, skizziert Schröder sein Konzept. „Ich will ihn vielmehr einreihen in unsere Zeit.“

Dazu gehört dann auch eine Ausstellung im Foyer des Opernhauses, bei der Rosalie, eine der wichtigsten Mitarbeiterinnen des Verstorbenen, eine riesige Rose als Objekt der Erinnerung zum Erglühen bringt. Dazu gehört eine Veranstaltung auf der Probebühne, bei der als Preview das „Klavierkonzert Nr. 3“ von Uwe Scholz zu sehen ist, das eine Woche später im Rahmen des Rachmaninow-Abends des Leipziger Balletts Premiere hat. Dazu gehört eine Aufführung des Films „Seelenlandschaften“, den Günter Atteln im Andenken an Uwe Scholz gedreht hat. Dazu gehören Gespräche mit ganz unterschiedlichen Zeitzeugen, die, ähnlich wie es zuletzt im Rahmen von PINA40 in Wuppertal geschah, das ganze Spektrum einer komplexen Persönlichkeit auffächern sollen.

Schließlich war Uwe Scholz nicht nur ein Choreograf, der heute sogar im fernen Korea Widerhall findet. Er war vor allem ein Mensch mit Widersprüchen, zwiespältig und an sich selbst zweifelnd, ein „Genie“, wie Rosalie meint: hoch musikalisch, humorvoll und dabei von einer hoffmannesken Hintergründigkeit, die sich am ehesten noch durch den Tanz erschließt.