Will auf dem heimischen Arbeitsmarkt mehr Menschen für die Altenpflege gewinnen: Arbeitsagentur-Chef Christian Rauch Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Mit einer neuen Initiative will Christian Rauch, Leiter der Stuttgarter Regional­direktion der BA, die Altenpflegeberufe attraktiver machen. Durch Zuwanderung kommen nicht genügend Arbeitskräfte.

Stuttgart - Herr Rauch, was passiert, wenn Baden-Württemberg die Pflegekräfte ausgehen?
Dann werden sich immer weniger Fachkräfte um immer mehr Alte kümmern müssen. Das führt dazu, dass die Preise für qualitativ hochwertige Pflege in den Himmel schießen. Dann können sich nur noch die Superreichen eine gute Betreuung leisten, und der Rest muss nehmen, was er bekommt, oder ist ganz auf sich allein gestellt.
Und wann werden wir diese Zustände in Baden-Württemberg haben?
Einen Fachkräftemangel haben wir im Bereich der Altenpflege heute schon. In Baden-Württemberg kommen auf 100 offene Stellen nur 28 Bewerber. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für uns ermittelt. Demnach dauert es in der Altenpflege auch überdurchschnittlich lange, bis eine Stelle besetzt ist. Nämlich 124 Tage, das ist 46 Prozent länger als der Durchschnitt.
Zu was für einer Situation wird das in den nächsten 15 Jahren führen?
Der Mangel im Altenpflegebereich wird dazu führen, dass wir bis 2030 rund 15 000 Fachkräfte zu wenig haben. Da im Pflegebereich viele Menschen in Teilzeit arbeiten, sprechen wir hier von wesentlich mehr Personen. Es werden rund 20 000 Pflegekräfte fehlen.
Warum versuchen Sie dann nicht, mehr Teilzeitkräfte für Vollzeitstellen zu gewinnen?
Fast die Hälfte der Beschäftigten in der Pflege arbeitet weniger als 31 Stunden in der Woche. Jedoch haben nur 20 Prozent dieser Teilzeitbeschäftigten überhaupt den Wunsch, mehr zu arbeiten. Gemessen an dem Personalbedarf, der sich aus den Prognosen ergibt, wird dieser Hebel das Problem also nicht annähernd lösen.
Woran liegt der eklatante Fachkräftemangel?
Da gibt es zum einen erschwerende Faktoren wie die Schichtarbeit, an denen man nichts ändern kann. Außerdem kann der Umgang mit pflegebedürftigen Menschen psychisch sehr belastend sein. Derzeit sind nicht durchgängig ausreichend Angebote vorhanden, die es für die Mitarbeiter leichter machen, mit diesen Belastungen umzugehen. Der wichtigste Grund ist aber, dass die Beschäftigten in der Altenpflege zu wenig verdienen. Eine examinierte Fachkraft in der Altenpflege verdient nur wenig mehr als ein Helfer in der Krankenpflege.
Was ist der Unterschied zwischen beiden Berufsbildern?
Eine Fachkraft hat eine dreijährige Ausbildung hinter sich gebracht und einen Berufsabschluss gemacht. Altenpflegehelfer dagegen werden ein Jahr geschult. Aufgrund der unterschiedlichen Ausbildung unterscheiden sich natürlich auch die Tätigkeiten einer examinierten Fachkraft und einer Pflegekraft. Beispielsweise gehen mit detaillierterem Wissen meistens mehr Verantwortung und pflegerisch anspruchsvollere Aufgaben einher. In Baden-Württemberg verdienen examinierte Fachkräfte in der Altenpflege aber nur knapp zehn Prozent mehr als Helfer in der Krankenpflege. Das heißt: Eine Ausbildung in diesem Bereich rentiert sich kaum. Auch darum ist die Berufstreue in der Altenpflege sehr gering. Nur 35, 2 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege sind nach 15 Jahren noch in ihrem Beruf tätig. Bei den Beschäftigten in der Krankenpflege liegt der Anteil bei 53,4 Prozent.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben Sie als Arbeitsagentur, um den Pflegenotstand in Baden-Württemberg abzumildern?
Bei der Bezahlung haben wir natürlich nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Unser Ansatz liegt darin, eine Initiative zu gründen, um auf der Grundlage der Erkenntnisse des IAB gemeinsam mehr Personal in die Pflegeberufe zu bekommen. Wir als Regionaldirektion wollen uns an die Spitze der Bewegung setzen und holen die Akteure, die in dem Bereich etwas gestalten können, an einen Tisch. Dazu gehören etwa die großen Träger von Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg.
Und welchen Beitrag können Sie als Regionaldirektion konkret leisten?
Unser konkreter Beitrag besteht darin, mehr Helfer zu examinierten Fachkräften weiterzubilden. Zum einen aus dem Bereich der Arbeitslosen. Zum anderen wollen wir mehr Menschen, die bereits in den Heimen und in der mobilen Pflege arbeiten, dafür begeistern, eine Ausbildung zur examinierten Fachkraft zu absolvieren. Pro Jahr wollen wir dem Arbeitsmarkt über diese beiden Ausbildungskanäle künftig rund 1000 Person zuführen. Uns ist aber auch wichtig, dass die Menschen in dem Beruf bleiben, für den wir sie qualifiziert haben. Im Moment ist es so, dass sie zu schnell wieder aus der Altenpflege verschwinden.
Wie viel Prozent mehr müssten die Menschen dort verdienen, damit sich das ändert?
Wir reden hier auf jeden Fall über eine Steigerung jenseits dessen, was bei Tarifverhandlungen normalerweise diskutiert wird. Mit einer Lohnsteigerung von drei Prozent ist es bei den Fachkräften in der Pflege nicht getan. Besonders problematisch ist die Bezahlung in der ambulanten Pflege. Es kann nicht sein, dass Pfleger hier 18 Prozent weniger verdienen als ihre Kollegen in den stationären Pflegeeinrichtungen. Bei Fachkräften beträgt die Lohnkluft sogar 22 Prozent.
Warum versuchen Sie nicht, mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben?
Die Programme haben nicht den Erfolg gebracht, den man sich versprochen hat. Das größte Programm wird durchgeführt von der Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Diese haben sich vorgenommen, aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien binnen zwei Jahren 3000 Pflegekräfte anzuwerben. Die Arbeitgeber hätten für das Programm pro angeworbene Fachkraft einmalig 3800 Euro zahlen müssen. Damit wird beispielsweise der Deutschunterricht bezahlt und werden verschiedene administrative Kosten abgedeckt. Das ist für Auslandsrekrutierungen ein sehr geringer Satz, normalerweise liegt man da im fünfstelligen Bereich. Und trotzdem hat man es bisher geschafft, nur deutlich weniger als 1000 Menschen über dieses Programm einzustellen.
Warum?
Man kann aus dem Programm zwei Erfahrungen ableiten: Erstens gibt es weltweit nur in Deutschland die Ausbildung zur Altenpflegekraft. Das heißt: Die Menschen, die wir aus dem Ausland anwerben, kommen aus der Krankenpflege und wollen dort früher oder später auch wieder arbeiten. Die Menschen wechseln also bei der erstbesten Gelegenheit wieder in die Krankenpflege. Andererseits muss ich leider sagen, dass unser Angebot, über 3000 Menschen nach Deutschland zu bringen, bei den Pflegeeinrichtungen gar nicht auf die große Nachfrage gestoßen ist, die sich aus den Prognosen ergibt und uns von den Einrichtungen auch so mitgeteilt worden ist. Die Arbeitgeber wollten nicht 3800 Euro auf den Tisch legen, um so eine Kraft einzustellen. Daher müssen wir zwingend schauen, wie wir auch auf dem heimischen Arbeitsmarkt mehr Menschen für die Altenpflege gewinnen können.