Gregor Gysi schreibt gerade lieber Briefe an Sahra Wagenknecht, als mit ihr zu reden. Foto: dapd

Der frühere Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, fühlt sich unausgelastet und pocht auf mehr Redezeit im Bundestag. Seine Nachfolgerin Sahra Wagenknecht will den Konflikt nicht eskalieren lassen. Dem eitlen Hinterbänkler begegnet sie mit demonstrativer Nachsicht.

Stuttgart - Sahra Wagenknecht, die mit Dietmar Bartsch die Linken im Bundestag anführt, zeigt sich überrascht. Ihr Vorgänger Gregor Gysi hatte in zwei Drohbriefen an den Fraktionsvorstand ultimativ mehr Rederecht im Bundestag eingefordert. „Wenn man ein Fraktionsamt niederlegt, weiß man eigentlich, was die Konsequenzen sind“, sagt Wagenknecht bei „Markus Lanz“ (ZDF). Gysi fühlt sich offenkundig unausgelastet und nicht ausreichend wertgeschätzt. Seit dem Wechsel im Fraktionsvorsitz im Oktober 2015 „habe ich kein einziges Mal mehr im Bundestag gesprochen“, schrieb der frühere Oppositionsführer an die „liebe Sahra“, Bartsch und die anderen Vorstandsmitglieder. „Mit keiner Idee“ hätten sich die Genossen seither an ihn gerichtet.

Wagenknecht wiegelt zwar ab: „Daraus muss man nicht übertrieben einen Riesenkonflikt machen“, sagt sie. Dennoch wundert sie sich: „Es gibt bestimmte Debatten im Bundestag, wo die Fraktionsführung in die Debatte geht und nicht die ehemalige Fraktionsführung.“ Ganz verprellen möchte sie Gysi, der nun ein Hinterbänkler-Dasein im Bundestag fristet, aber nicht. „Wir werden mit ihm sprechen“, kündigt die Nachfolgerin an. „Ich denke, wir finden da eine Lösung.“ Gysi sei ja ein „sehr guter Redner – keine Frage“.

Ein Viertel Jahrhundert in der ersten Reihe

Ziel wäre demnach ein Kompromiss, der Gysi mal wieder in Erscheinung treten lässt – nicht nur in Talkshows, wo er gerne mit seiner Eitelkeit kokettiert. Das öffentliche Interesse an ihm ist noch nicht erlahmt, das Interesse der Fraktionskollegen schon eher. Wie eine Psychotherapeutin äußert Wagenknecht verständnisvoll: Es sei ja auch schwer, eine andere Rolle zu finden, wenn man so lange in der ersten Reihe gestanden habe. Immerhin sei Gysi seit 1990 – mithin seit der Deutschen Einheit – ein Spitzenpolitiker, zunächst in der PDS, dann in der Linkspartei.

Nun fühlt sich der 68-Jährige offenbar wie ein Politiker im Unruhestand. Er habe in absehbarer Zeit einige Fragen zu entscheiden und wolle wissen, ob es „eine Rolle oder auch keine Rolle im Bundestag“ für ihn gebe, schreibt Gysi. Der langjährige Wortführer der Linken gibt zu verstehen, dass er im Fall eines negativen Bescheids im Herbst 2017 nicht wieder für den Bundestag kandidieren werde. „Spätestens im April“ will er Klarheit über sein Ansinnen haben.

Konkret schwebt ihm vor, „zumindest in großen Zügen für Europa zuständig“ zu werden – was besonders heikel ist, da Wagenknecht sich als Euro-Kritikerin hervorgetan hat. Als weitere Option sieht Gysi eine Rolle als Generalist, der „wenigstens sechs Reden im Bundestag halten müsste“, in Thema und Uhrzeit „angemessen“. Gemeint ist etwa „die erste Stellungnahme zu Regierungserklärungen.“

Zweijährige Sendepause überwunden

Mit Spitzenpolitikern, die nicht mehr viel zu sagen haben, kennt Wagenknecht sich aus: Seit gut einem Jahr ist sie mit Oskar Lafontaine verheiratet. Dass dieser sich auch für „unersetzlich“ halte, wie Markus Lanz stichelt, will Wagenknecht aber nicht stehen lassen: „Er ist für mich unersetzlich“, sagt die frühere Kommunistin, was Lanz als „schöne Liebeserklärung“ wertet. Lange war Wagenknecht nicht mehr in seiner Show, nachdem sie sich im Januar 2014 als Gast ungerecht behandelt gefühlt hatte. Damals habe ihr unter anderem Lanz „nach jedem Halbsatz das Wort abgeschnitten“, was dem Talkmaster damals eine breite Kritik eintrug. „Das war eine völlig verunglückte Sendung“, blickt die Linken-Fraktionschefin zurück.