In Nudeln aus Hartweizengries steckt Gluten – welche Getreide Zöliakie-Patienten gefahrlos essen können, erklären wir in unserer Bildergalerie. Foto: dpa-Zentralbild

Mit interaktiver Grafik - Immer mehr Menschen kochen, kaufen und essen glutenfreie Lebensmittel. Mit der wachsenden Anzahl der Glutenverweigerer ranken sich aber auch immer mehr Mythen um das Klebereiweiß. Experten raten vor der vielleicht notwendigen Diät zum Arztbesuch.

Jena - Da liegt sie, die Scheibe Brot auf dem Frühstücksteller. Und man kommt nicht umhin, darüber nachzudenken, ob sie vielleicht schuld ist: dass man morgens so schwer aus dem Bett kommt, dass einem nach dem Essen der Magen drückt oder einen Kopfschmerz plagt. Man liest und hört doch so allerhand von Leuten, die nach dem Verzicht auf Brot, Müsli und Nudeln Großes leisten – oder zumindest darüber reden: Schauspieler, Models und Sängerinnen, die sich seit ihrer GF-Diät besser fühlen – so nennt es sich, wenn man auf Weizen, Roggen, Gerste oder Dinkel verzichtet, weil sich darin eine Mixtur in Verruf geratener Eiweiße verbirgt: die Glutene.

Das alles kann ein Diät-Trend oder eben doch etwas Ernstes sein. Denn insbesondere Produkte aus Weizen zählen neben Kuhmilch, Ei, Soja, Erdnüssen oder Fisch zu den Hauptauslösern von Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Denn das Gluten, das dazu dient, dem Weizenpflänzchen alle Aminosäuren und Eiweißstoffe zu liefern, die es braucht, kann bei Menschen mit erblicher Vorbelastung das Immunsystem alarmieren. Essen Betroffene weiter Brot oder Nudeln, schießt die körpereigene Abwehr über und attackiert das eigene Gewebe. Es entsteht eine Zöliakie: Der Dünndarm ist chronisch entzündet, die Aufnahme von Nährstoffen ist nachhaltig gestört, es kommt zu Mangelerkrankungen. Zudem können verschiedene Beschwerden auftreten: Durchfall oder Verstopfung, erhöhte Leberwerte oder Schilddrüsenentzündungen, Migräne oder Depressionen. Einzige Linderung bringt ein lebenslanger Verzicht auf Lebensmittel, die Gluten enthalten.

Experten wie der Internist Andreas Stallmach nennen die Zöliakie nicht umsonst „das Chamäleon der Magen-Darm-Krankheiten“, weil sie bei Betroffenen „ein nahezu schillernd buntes Krankheitsbild“ präsentiere. Der Direktor der Klinik für Innere Medizin an der Uniklinik Jena hat als Mitglied im Ärztlichen Beirat der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft (DZG) viel Erfahrung mit Betroffenen. Aber er weiß, wie schwierig es ist, etwa bei Patienten mit schwerer Osteoporose darauf zu kommen, dass eine Zöliakie diese verursacht haben könnte. „Als Arzt muss man bei jeder Diagnose auch diese Möglichkeit bedenken.“

Tatsächlich ist es diese Vielfältigkeit der Symptome, warum viele Patienten nichts von ihrer Krankheit ahnen. Schätzungen sagen, dass etwa 0,3 bis 0,4 Prozent der Bundesbürger eine Zöliakie haben. „Doch nur einer von sechs Betroffenen weiß dies auch“, sagt Stallmach. Das liegt auch daran, dass sich Mediziner jahrzehntelang ein nur eingeschränktes Diagnosebild einstudierten: Es zeigt ein Kind, das nicht richtig wächst, an Durchfall leidet, sogar einen Hungerbauch entwickelt, wie man ihn sonst nur aus Entwicklungsländern kennt. „Man ist davon ausgegangen, dass eine Zöliakie in jedem Fall im Kindesalter auftritt“, sagt Stallmach. Etwa bei Babys, die nach der Stillzeit mit Brei gefüttert werden und bei denen sich der Gendefekt mit Magen-Darm-Beschwerden bemerkbar machen könnte.

Bei Frauen wird Zöliakie oft erst um das 40. Lebensjahr diagnostiziert

Doch anhand der Patientendaten weiß man inzwischen, dass bei Frauen die Zöliakie häufig erst um das 40. Lebensjahr diagnostiziert wird. Bei Männern ist zwischen 15 und 35 das typische Alter. Nur warum das so ist, wissen die Experten nicht genau. Vielleicht weil es vielen so ergeht, wie der 76-jährigen Patientin von Stallmach, deren Dünndarm aufgrund der lebenslangen Erkrankung so in Mitleidenschaft gezogen war, dass selbst der Experte kaum glauben mochte, dass die Dame von ihrer Zöliakie lange nichts wusste. Sie erklärte ihm: „Natürlich hatte ich Probleme, aber ich dachte, das ist halt so.“

In Italien, wo die Zöliakie häufiger auftritt, müssen sich Grundschulkinder generell auf diese Nahrungsmittelunverträglichkeit testen lassen. „Bei dem Screening handelt es sich um einen Antikörpertest, bei dem Blut abgenommen wird.“ Erst wenn der begründete Verdacht einer Erkrankung besteht, wird eine Spiegelung des Magen-Darm-Trakts vorgenommen. In Deutschland spielen solche Tests keine Rolle. Bislang seien die Fallzahlen zu niedrig, so Stallmach. Auch die Beschwerden der Betroffenen „werden als nicht so schwerwiegend angesehen, als dass sie Tests rechtfertigen“.

Es bleibt den Betroffenen wohl nichts anderes übrig, als genau auf ihren Körper zu achten – und bei einem Verdacht, glutenhaltige Nahrungsmittel nicht zu vertragen, erst einen Arzt aufzusuchen. Von vornherein auf Weizen und Co zu verzichten sei nicht sinnvoll, warnen Experten. Eine solche Diät könnte die Diagnose erschweren, weil die Antikörper im Blut verschwinden. Zudem könnte auch ein anderes Leiden hinter den Beschwerden stecken, etwa die Weizensensitivität. Auch hier führen bestimmte Eiweiße dazu, dass Produkte aus Weizen, Gerste und Roggen nicht vertragen werden, weshalb Patienten auf diese verzichten müssen. Allerdings muss diese Diät nicht so strikt geführt werden.

Für mehr als 90 Prozent der Deutschen ist das Klebereiweiß nicht schädlich. Sie können glutenhaltige Lebensmittel gut vertragen. Und nehmen dabei auch nicht zu. Dass eine glutenfreie Ernährung beim Abnehmen hilft, ist ein weiterer Mythos: Tatsächlich enthalten glutenfreie Lebensmittel sogar oft mehr Kalorien, weil das Gluten durch Fett oder Stärke ersetzt wird. Wenn etwa Stars behaupten, aufgrund einer GF-Diät abgenommen zu haben, liegt dies an einer veränderten Lebensmittelauswahl: Es wird insgesamt weniger Gebäck aus weißem Mehl gegessen, das oft kalorienreich und nur kurzfristig sättigend ist. Fest steht: Die morgendliche Scheibe Brot stört bei den meisten das Wohlbefinden nicht.

Infos gibt es bei der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft, www.dzg-online.de oder per Telefon, 07 11  / 4 59 98 10