Alexa Knie bei der Dressur ihrer schwarzbunten Holsteiner Foto: LG/Max Kovalenko

Manege statt Melkmaschine: Im Circus Althoff auf dem Cannstatter Wasen präsentieren sich Kühe von ihrer gelehrigen Seite. Die exotische Nummer könnte wegweisend für die Zukunft der Branche sein.

Stuttgart - Es ist Vormittag. Manege und Zuschauerränge liegen verwaist unterm Zirkuszelt. Das Licht ist schummrig. Von draußen sind Tiere zu vernehmen. Knurrende Löwen? Trompetende Elefanten? Nein. Bei genauerem Hinhören entpuppt sich der Ruf der Wildnis als „Muh“ und tatsächlich betreten wenig später sechs Kühe das Rund, um ihr Training zu absolvieren. Ihr einzigartiger Auftritt zählt zu den Attraktionen des Circus Corty Althoff, der noch bis Sonntag auf dem Cannstatter Wasen gastiert.

Die schwarzbunten Holsteiner drängen sich im Scheinwerfenlicht unter Anleitung von Alexa Knie (14) und Milena Kretz (7) aneinander und recken die Hälse. Zwar leben sie den größten Teil des Jahres auf einem Bauernhof im Allgäu, doch das Künstlerdasein scheint ihrem Wohlbefinden ausgesprochen zuträglich zu sein: Die gelehrigen Tiere sind 18 bis 19 Jahre alt. Eine Milchkuh wird für gewöhnlich nach Beendigung ihrer produktivsten Phase geschlachtet – wenn sie Glück hat, erreicht sie das sechste Lebensjahr.

Wildtierdressuren umstritten

„Wir stellen fest, dass die althergebrachten Wildtierdressuren zunehmend kritisch beäugt werden“, erklärt Elmar Kretz. „Heute freut sich das Publikum zu sehen, was man einheimischen Tieren beibringen kann. Das ist für uns ideal. Wir können unsere Schützlinge ohne großen Aufwand artgerecht halten.“ Früher hätte man Kretz als Zirkusdirektor bezeichnet. Der Nachfolger von Corty Althoff bevorzugt allerdings die Bezeichnung Event-Manager. Wohl auch deshalb, weil das weniger nach Hierarchie klingt. Er sieht sich als Teil eines großen Ganzen. In den Vorstellungen zeigt Kretz seine Pferdedressur. Tochter Milena sammelt derzeit Erfahrungen mit Kühen. Zuvor war sie an einer Ponynummer beteiligt. „Da kam es auch einmal vor, dass ich umgerannt wurde“, erinnert sie sich. Ihre gehörnten Manegen-Partnerinnen sind einfacher im Zaum zu halten. Mit mangelnder Intelligenz hat das nichts zu tun, wie Alexa versichert: „Kühe werden oft für dumm gehalten, weil sie nicht gleich alles machen, was man von ihnen verlangt“, ist die Tochter des ausgewiesenen Zirkustierexperten Louis Knie überzeugt. „Sie sind störrisch, aber sie sind cleverer als mancher Mensch.“

Es ist schon erstaunlich zu sehen, wie die sechs schwarz-weiß-gescheckten Damen die Vorderbeine auf den Manegenrand stellen, wie man es sonst von edlen Rossen kennt. „Wie versuchen den Zirkus ein bisschen zu entstauben“, kommentiert Elmar Kretz die Choreographie. „An vielen traditionellen Bildern wie dem Pony, das mit einem Bommel auf dem Kopf im Kreis rennt, hat sich das Publikum sattgesehen.“

Im Winterquartier wächst die nächste Generation heran

Auf der Suche nach einer neuen Attraktion kam vor zwei Jahren die Idee mit den Kühen auf. Alexa, die bereits mit Pferden gearbeitet hatte, wurde auserkoren, sich der Neuzugänge aus dem Besitz des Niederländers Alberto Althoff anzunehmen. „Ich wusste zuerst natürlich nicht, was auf mich zukommt“, erinnert sie sich, „aber ich habe es als Herausforderung gesehen und inzwischen sind mir die Tiere wirklich ans Herz gewachsen.“ Auch außerhalb der Tourneephasen pflegt die Vierzehnjährige den Kontakt zu ihren vierbeinigen Freundinnen.

Untergebracht sind die Holsteinerinnen unterwegs in unmittelbarer Nähe zu den Kamelen. Das Miteinander zwischen Wüstenschiff und Kuh funktioniert einwandfrei. Kein Wunder: Die Tiere hören bei ihren Auftritten teilweise auf die gleichen Befehle. Das Kommando für den Kniefall vor den Besuchern der Vorstellungen ist beispielsweise identisch. Vielleicht sind die nordeuropäischen Nutztiere ein bisschen schwieriger zu beeinflussen. „Ich bin überzeugt, dass man mit viel Liebe, Konzentration und Ausdauer jedes Tier dressieren kann“, gibt Alexa Knie zu verstehen. Im Winterquartier des Zirkus arbeitet sie bereits mit der nächsten Generation von Schwarz- und Rotbunten am ersten Auftritt. Sie hat an ihrer Aufgabe Gefallen gefunden. Auch Milena ist ebenfalls von den Kühen begeistert. Ihr großer Traum bleibt es jedoch, wie ihr Vater Pferde zu dressieren, vielleicht auch als Kunstreiterin zu brillieren.