Die Liebe zwischen Leonardo da Vinci und seinem Assistenten hat Lacombe inspiriert Foto: Verlagshaus Stuart & Jacoby

Benjamin Lacombe entführt seine Leser in üppig ausgestattete Fantasiewelten. Oder in andere Zeiten wie in die von Leonardo da Vinci. Der Schock der Gegenwart hat sich dennoch jüngst in die Arbeit des Pariser Zeichners geschlichen.

Stuttgart - Das Foto zeigt einen jungen Mann, scheinbar der Zeit entrückt, ein wenig unnahbar. Benjamin Lacombe ist einer der Stars der französischen Comicszene. Aber die Selbstinszenierung als dandyhafter Geheimnisträger hat nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern passt prima zum Werk des 32-Jährigen. Denn jedes der rund 20 Bilder-Bücher, die Benjamin Lacombe seit 2003 veröffentlicht hat, erschließt einen ganz eigenen Kosmos. Auch wenn sie in fernen Zeiten oder Fantasiewelten spielen, zeichnet sie immer eine enorme Liebe zum Detail aus; manche wirken wie ein altes Dokument.

Derzeit ist Lacombe, den man besser als Buchkünstler denn als Comiczeichner beschreibt, auf Signierreise durch Deutschland. Von der Leipziger Buchmesse führte sein Weg über München nach Stuttgart. Mit dabei hat er nicht nur sein neues Buch, sondern auch eine große Mappe mit Zeichnungen. Bereitwillig gibt er Einblick in seine Werkstatt und erklärt, wie die besondere „Atmosphäre Lacombe“ entsteht, die Bücherfans regelmäßig zum Schwärmen bringt. Seinen feinen, sehr aufwendigen Gouache-Zeichnungen gibt er mit Ölfarben Tiefe und eine Aura des Rätselhaften.

Rund ein Jahr Arbeit, erzählt der Künstler, stecke auch in „Leonardo & Salaï“. Erstmals hat er sich für sein neues Buch mit einem anderen Zeichner, dem Kollegen Paul Echegoyen, zusammengetan. Der lieferte für die Geschichte, die von der Liebe da Vincis zu seinem Assistenten Salaï erzählt, die Kulissen von Florenz, Venedig und den anderen Orten, an denen das Renaissance-Genie wirkte. Benjamin Lacombe nahm sie als Folie, um darauf mit großäugigen Figuren einem Mann zu folgen, der sich mehr als Forscher denn als Künstler fühlte und der deshalb, so Lacombes Sicht, viele Bild-Aufträge nicht zu Ende brachte.

„Ich zeige Leonardo als jungen Mann, der an Brad Pitt erinnert“

„Wenn wir an Leonardo da Vinci denken, haben wir alle das Bild eines alten, bärtigen Mannes vor Augen“, spricht Lacombe das bekannte Selbstbildnis des Künstlers an. „Ich zeige Leonardo als jungen Mann, der so schön war, dass er seine Zeitgenossen zum Schwärmen brachte und der eher an Brad Pitt als an den Weihnachtsmann erinnert.“

Jung, lebenshungrig und von geheimnisvoller Schönheit: So tritt auch Leonardos Assistent Salaï auf, dessen Porträt Lacombe in Neuinterpretationen von da Vincis Gemälden „Johannes der Täufer“ und „Anna Selbdritt“ unterbringt. Auch Isabella d’Este wird neu in Szene gesetzt: Aus dem geöffneten Leib der ehrgeizigen Kunstsammlerin lässt Benjamin Lacombe in der ihm eigenen Üppigkeit rote Lilien zwischen Wirbelsäule und Rippen hervorsprießen.

Die Geschichte selbst ist in einem alt wirkenden Sepia-Ton gezeichnet. „Ich habe mich an die Farbigkeit von Leonardos Heften gehalten“, sagt Lacombe, den die Aufzeichnungen des Renaissance-Künstlers wie dessen Leben faszinieren. In einem zweiten Band will er die Geschichte vom Meister und von seiner Muse zu Ende erzählen, für die er lange recherchiert hat. Dass Salaï möglicherweise für die Mona Lisa Modell saß, lässt der Zeichner ebenso einfließen wie da Vincis Leistungen als Ingenieur. „Leonardo, übrigens ein Vegetarier, hat zum Beispiel einen Hubschrauber entwickelt und ein Schleusensystem für Venedig, das noch heute in Betrieb ist“, sagt Benjamin Lacombe.

Er liebt Fluchten in andere Welten und Zeiten

Ob das Märchen von Schneewittchen oder ein bibliophil gestaltetes Elfen-Bestimmungsbuch, ob ein mit Rokoko-Prallheit erfundenes, geheimes Tagebuch der Königin Marie-Antoinette oder die Geschichte von Madame Butterfly: Der französische Zeichner liebt Fluchten in andere Welten und Zeiten. „Ich möchte mich nicht wiederholen. Jedes Buch soll einzigartig sein“, sagt der Künstler, der die Gegenwart lieber Comics und Mangas überlässt.

Benjamin Lacombe ist nicht der Mann für Geschichten, die man am Kiosk kauft und zwischendurch wie Lese-Fast-Food konsumiert. „Ich möchte mit meinen Büchern die Leser zum Träumen bringen und nicht den schockierenden Alltag der Gegenwart abbilden. Und um gut über etwas sprechen zu können, brauche ich etwas Abstand“, sagt Benjamin Lacombe, dessen Illustrationen, immer mit altmeisterlicher Sorgfalt ausgearbeitet, sich auch in Galerien gut machen.

„Man kann Köpfe abschneiden, aber nicht Ideen“

Einmal hat sich der Schock der Gegenwart doch in seine Arbeit geschlichen. Die schnell entstandene Zeichnung, mit der er sich wie viele andere Künstler mit dem Satiremagazin „Charlie Hebdo“ nach dem Anschlag vom 7. Januar solidarisch erklärte, wurde millionenfach angeklickt. „Das ist für mich keine schöne Zeichnung“, sagt der Perfektionist zu seinem spontanen Blatt, das einen geköpften Charlie Brown zeigt – aber eine notwendige.

„Man kann Köpfe abschneiden, aber nicht Ideen“, hat Benjamin Lacombe unter seine Version der Comicfigur geschrieben und sagt zur Traumatisierung eines Berufsstands und eines ganzen Landes; „Wir befinden uns in Frankreich immer noch in einem Ausnahmezustand und tun uns schwer, uns davon zu erholen.“

Benjamin Lacombe hilft der Blick zurück in eine Zeit, in der sich Wissenschaft und Fantasie noch als gleichberechtigte Partner begegneten. „Ich mag die alten Zeichnungen von Naturforschern, für die ein Nashorn noch genauso exotisch war wie ein Einhorn“, sagt der Zeichner, der eben dieser Atmosphäre neues Leben geben will.