Mit Video - Younow beteiligt Videokünstler mit vielen Zuschauern an Gewinnen aus ihren Live-Videos im Internet: Schicken die Zuschauer virtuelle Geschenke, klingelt bei den Machern die Kasse. Jugendschützer warnen vor den Folgen.

Was ist Younow?
Younow ist eine Internetplattform. Nutzer senden auf Younow über ihr Handy, Tablet oder ihren Laptop Live-Sendungen (Streams) aus ihrem Alltag. Während die Zuschauer ihren Idolen zusehen, können sie ihnen zeitgleich in einem Chat Fragen stellen oder Kommentare schicken. So entsteht ein Gespräch zwischen Sendern (Streamern) und Zuschauern. Diese direkte Kommunikation unterscheidet die Plattform von You Tube. Dort ist ein direktes Gespräch nicht möglich.
Seit einigen Monaten ist Younow bei deutschen Jugendlichen sehr beliebt. „Die Plattform löst bei ihnen einen richtigen Hype aus“, sagt Sascha Schmidt vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg. Der deutschsprachige Raum ist der größte Markt für Younow in Europa. Younow ist zuletzt stark gewachsen: Die Anzahl der per Video-Stream übertragenen Stunden pro Monat hat sich im vergangenen Jahr mehr als verzehnfacht. Im März 2015 waren es weltweit über eine Million Stunden.
Wie verdienen die Younow-Stars?
„Marius Will Zocken“ hat 70 Euro und 21 Cent gezahlt, um Melissas Nummer eins zu werden. So viel kosten die 12 013 Goldbarren mindestens, die „Marius Will Zocken“ – so nennt sich der Nutzer auf Younow – Melissa bei einem Live-Video als Trinkgeld gegeben hat. Niemand sonst gab mehr. Deshalb steht Marius auf Melissas Younow-Seite bei den „Top Fans“ zeitweise an erster Stelle.
Melissa sitzt an diesem sonnigen Nachmittag auf einem braunen Sofa und plappert fröhlich in die Kamera. „Danke, Swisslpadrio, für die ganzen Likes“, sagt sie überschwänglich. Der nach oben gestreckte Daumen – ein sogenanntes Like – wurde durch Facebook bekannt und steht für Anerkennung. Immer wieder leuchtet die Nachricht auf: „Swisslpadrio gab 50 Likes“. Das kostet ihn jedes Mal etwa 18 Cent.
Kurz darauf hinterlässt der Nutzer „FabianRitten“ 500 Goldbarren als Trinkgeld – umgerechnet etwa 5,50 Euro. Die genauen Kosten hängen davon ab, wie viele Goldbarren „FabianRitten“ auf einmal gekauft hat. Bei größeren Bestellungen sinkt der Preis.
Melissa ermahnt ihre Zuschauer zur Sparsamkeit: „Wenn ihr Trinkgeld gebt, macht es bitte verantwortungsvoll. Nicht das ganze Taschengeld ausgeben.“ Melissa Schönheit, im Internet bekannt als Melfriends, verdient an den „Geschenken“ ihrer Zuschauer nach Angaben von Younow mehr als die Hälfte. Der andere Teil geht an das Unternehmen. Wie viel Melissa insgesamt mit Younow verdient, verschweigt sie – wie die meisten Younow-Stars – hartnäckig.
Seit wann verdienen deutsche Nutzer?
Dass die Macher der Live-Videosendungen Geld verdienen, „hört man erst seit vier, fünf Wochen“, sagt ein Stuttgarter, der in der Szene gut vernetzt ist. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen im November 2014 erstmals eine deutsche Nutzerin zur sogenannten Younow-Partnerin gemacht, sie also an den Einnahmen beteiligt. Zwei bekannte Partner sagten unserer Zeitung, sie verdienten seit Ende Februar mit Younow.
Insgesamt gab es nach Informationen von Younow in Deutschland Mitte April rund 90 Partner. Zuvor war eine ähnliches Bezahlmodell von der Plattform You Tube bekannt. Dort verdienen die Jugendstars nicht an Geschenken, sondern durch Werbung, die vor ihre Videos geschaltet wird.
Die Einnahmen der Younow-Stars „können zwischen zehn oder mehreren Hundert US-Dollar pro Stream liegen“, so das Unternehmen. „Ein Zuschauer aus einem arabischen Land hat einmal 120 000 Goldbarren auf einmal gegeben“, sagte ein Partner unserer Zeitung. Das entspricht etwa 701 Euro.
Wofür bezahlen die Zuschauer?
Bei den Live-Beiträgen bekannter Younow-Stars schauen oft mehrere Dutzend Menschen zu. Wenn sie alle gleichzeitig Nachrichten in den Chat schreiben, gehen die Younow-Stars bei dieser Masse an Kommentaren oft nicht auf jeden Zuschauer einzeln ein. Dann laufen deren Nachrichten oder Fragen ins Leere.
Hinterlässt ein Zuschauer aber ein kostenpflichtiges Geschenk, kann er meist sicher sein, dass der Sender des Live-Videos sich dafür ausdrücklich bedankt. „Die Leute wollen, dass ich ihren Namen sage. Sie wollen die Aufmerksamkeit, die sie sonst nicht bekommen“, sagt der in der Szene bekannte Streamer Leon Krone (Name geändert).
Was kritisiert das Landesmedienzentrum?
„Jugendliche bekommen durch die Funktion der kostenpflichtigen Geschenke das Gefühl vermittelt, dass Zuneigung käuflich ist“, sagt Sascha Schmidt. Wenn junge Nutzer versuchten, mit „Geschenken“ auf sich aufmerksam zu machen, verlören sie das Gefühl für den Geldwert der Geschenke.
Denn die „Geschenke“ in den Streams werden mit virtueller Währung, den Goldbarren, bezahlt. Nutzer können die Barren direkt auf Younow erwerben: Die Transaktion läuft über den Zahlungsweg, den der Nutzer im sogenannten App-Store für Handy-Anwendungen hinterlassen hat, zum Beispiel Kreditkarten.
„Sind die Goldbarren erst einmal auf dem Younow-Konto, ist vor allem jungen Nutzern nicht mehr bewusst, wie viel sie überhaupt ausgeben“, sagt Schmidt. Der Umrechnungskurs ist kompliziert: Wer Younow auf einem Samsung-Handy benutzt, zahlt für ein Paket mit 90 Barren zum Beispiel 0,99 Euro, für ein Bündel mit 6500 Goldbarren 37,99 Euro.
Zudem sei es technisch möglich, dass Eltern nur einmalig für den Kauf einer anderen Anwendung ihre Zahlungsdaten auf den Handys der Kinder eingeben und diese dann ohne das Wissen der Eltern den gleichen Zahlungsweg für die Goldbarren bei Younow benutzen, sagt Schmidt.
Wie beeinflusst Younow Berufswünsche?
Schmidt bewertet die Berufsvorstellungen kritisch, die sich manche Jugendliche durch den Erfolg einiger Younow-Stars ausmalen.
„Der Hype um diese Menschen vermittelt jungen Nutzern ein völlig falsches Bild des Berufslebens“, sagt der Medienexperte. Jugendliche bekämen den Eindruck, man könne mit sozialen Netzwerken sehr leicht und schnell Geld verdienen, so Schmidt.
Diese Kritik beschränkt sich zwar nicht auf Younow. Dort sei die Hemmschwelle, es selbst auszuprobieren, aber geringer als etwa bei You Tube, so Schmidt. Denn für Younow sind kaum Vorkenntnisse nötig.
Wie rechtfertigen Nutzer die Plattform?
Trotz aller Kritik an Younow: Zwei Nutzer aus dem Raum Stuttgart schätzen den Gemeinschaftssinn und neue Kontakte, die durch die Plattform entstehen würden. „Wenn ich auf Sendung gehe, entstehen tiefgründige Gespräche“, sagt die Nutzerin „Sue21“.
Auf Younow hat Sue Alex – sein Nutzername ist „LXTV“ – kennengelernt. „Guck mal, da sind 61 Leute im Chat“, sagt er, als die beiden zusammen auf Sendung gehen. „Das ist, als wären 63 Leute hier im Zimmer. Mit Younow ist man weniger allein.“
Geld verdienen will zumindest „Sue21“ mit Younow aber nicht. Eher das Gegenteil: „Ich möchte gar nicht, dass bei mir zu viele Leute zuschauen“, sagt die 21-Jährige. Dann würden keine richtigen Gespräche mehr zustande kommen. „Im Durchschnitt habe ich 20 bis 30 Zuschauer. Mehr sollen es nicht werden.“ Sue möchte jedem Aufmerksamkeit schenken – und nicht mit so vielen Fragen bombardiert werden, dass sie nur noch gegen Bezahlung reagieren kann.