Der Chef des Finanzkonzerns W&W, Alexander Erdland, hofft eine höhere Förderung der Altersvorsorgeprodukte Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Wir brauchen eine höhe Förderung für die Riester-Rente“, sagt Alexander Erdland, Chef des W&W-Finanzkonzerns. Bis zur nächsten Wahl sollen die Zulagen erhöht werden. Und er spricht über hochverzinste Verträge und die neue digitale Welt.

Stuttgart - Herr Erdland, wer eine Lebensversicherung abschließt, bekommt nur 1,25 Prozent Zinsen garantiert. Warum sollte ich das tun?
Was sind die Alternativen? Woanders sind wir kurz davor, dass Sparer Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie Geld anlegen wollen. Außerdem ist die Lebensversicherung unersetzbar, weil sie eine lebenslange Rente sichert.
Wenn junge Menschen erst einmal zehn Jahre die Erfahrung machen, dass Sparen sich nicht lohnt: Lässt sich so eine prägende Einstellung noch korrigieren?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Einstellung, über Jahrzehnte voraus zu denken und zu sparen, ist nicht mehr so ausgeprägt. Hinzu kommen Fragen zum Euro und die niedrigen Zinsen. Beides führt dazu, dass die jüngere Generation zu wenig und zu spät Vorsorge betreibt.
Wie lässt sich das ändern?
Finanzbranche und Politik sollten Hand in Hand an Lösungen arbeiten. Wir brauchen eine höhere Förderung für Altersvorsorgeprodukte, also für die Riester-Rente. Ich halte das für dringend geboten und fair. Der Finanzminister wird durch die niedrigen Zinsen entlastet. Er sollte davon etwas weitergeben an die Menschen, die durch die niedrigen Zinsen im Alter große Schwierigkeiten bekommen werden. Im Gegenzug sollte die Branche Riester-Produkte einfacher, kostengünstiger und flexibler gestalten.
Sieht das die Politik ebenso?
Die Gespräche werden geführt. Politisches Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Bevölkerung muss dazu führen, dass die private Altersvorsorge noch in dieser Legislaturperiode verstärkt wird, damit das Interesse daran nicht weiter schwindet. Die Einschnitte bei der gesetzlichen Rente vergrößern die Lücken beim Alterseinkommen. Auf der anderen Seite haben von 34 Millionen Berechtigten für eine Riester-Rente erst 16 Millionen einen Vertrag abgeschlossen.
Nicht nur die niedrigen Zinsen auch die Digitalisierung wird die Branche völlig umkrempeln. Was treibt Sie mehr um?
Beide Themen sind sehr wichtig. Wir kritisieren die niedrigen Zinsen, aber wir müssen das Beste daraus machen. Bei der Digitalisierung sehen wir dagegen große Chancen für uns. Die technische Entwicklung ist wie ein neuer Rohstoff für die Branche. Diesen wollen wir für noch mehr Kundenzufriedenheit und Service effizient nutzen.
Können Sie konkreter werden?
Die Digitalisierung verändert die Kommunikation mit den Kunden und die Abläufe in den Unternehmen. Produkte müssen einfacher werden. Die Kunden gewinnen an Macht: Sie kontaktieren das Unternehmen, wann, wo, zu welchem Thema und über welchen Weg sie wollen. Die Unternehmen müssen sich darauf einrichten. Das ist mit Kosten und Investitionen verbunden. Hier entsteht ein neuer Wettbewerb. Die Unternehmen, die sich am besten darauf einstellen und sich nicht verzetteln, werden die Nase vorn haben. Das finde ich spannend.
Konkurrenz droht von Internetfirmen, die neue Anwendungen für Handys entwickeln.
Durch einen besseren Datenschutz werden wir uns von den Internetfirmen absetzen. Wir wollen personenbezogene Daten nur mit einer klaren Regelung zum Verwendungszweck und zur Frage der Kundeneinwilligung nutzen. Auf einen entsprechenden Datenkodex hat sich die Versicherungsbranche geeinigt. Den Kodex, der mit Datenschutzbehörden abgestimmt worden ist, haben 90 Prozent des Marktes unterschrieben.
In den USA kann ich eine Krankenversicherung abschließen, bei der ich meine Arztbesuche und Medikamente im Internet einsehen kann, und wenn ich Beschwerden angebe, erhalte ich eine Diagnose. Ist das die Zukunft?
Die Versicherungswirtschaft beschäftigt sich mit solchen Herausforderungen. Wenn aber in der Konsequenz jedem Menschen ein einzelner, genau seinem gesundheitlichen Stand entsprechender Tarif angeboten werden würde, wäre das eine Abkehr vom Solidaritätsprinzip. Die Ausdifferenzierung hätte zur Folge, dass Menschen, die etwa von Geburt an gesundheitlich beeinträchtigt sind, durch überhohe Prämien benachteiligt werden. Den neuen Methoden der Datenauswertung sollten deshalb auch Grenzen gesetzt werden.
Sie plädieren dafür, am Solidaritätsprinzip festzuhalten?
Genau. Wir erwarten aber von der Politik, dass sie nicht zwei Klassen von Anbietern zulässt: Internetfirmen, die sich Daten beschaffen, wie sie wollen, und diese nach Belieben vermarkten, und klassische Anbieter wie Versicherer, die eng reguliert sind.
Worauf müssen sich Ihre Mitarbeiter einstellen, wenn die Digitalisierung vorangetrieben wird?
Mitarbeiter sollten ihre Erfahrungen mit den neuen Medien ins Unternehmen hineintragen, Ideen entwickeln und experimentieren. Wir ermutigen sie, sich in Netzwerken zu engagieren. Dazu brauchen die Mitarbeiter Freiräume. Das Zusammenspiel zwischen Führung und Belegschaft wird sich ändern. Die Führung gibt den Fahrplan vor, die Züge müssen aber von den Mitarbeitern aufs Gleis gesetzt werden. Das sollte uns auch als Arbeitgeber attraktiv machen für kluge Köpfe, die sich kreativ einbringen wollen.
Sie konzentrieren sich mit ihrem neuen Programm W&W@2020 auf die digitale Welt. Was kostet diese Offensive und was packen Sie schon in diesem Jahr an?
Insgesamt will der Konzern für die Jahre 2015 bis 2017 rund 500 Millionen Euro investieren, das betrifft auch die Digitalisierung. In diesem Jahr werden wir neue Möglichkeiten schaffen, Kunden und Außendienst besser mit dem Unternehmen zu vernetzen.
Wollen Sie die technischen Anwendungen für mobile Geräte selbst entwickeln oder planen Sie, so ein Unternehmen zu kaufen?
Wir brauchen Geschwindigkeit und Innovationen. Neben den klassischen Finanzprodukten geht es um mehr Komfort für die Kunden, der durch Digitalisierung unterstützt wird. Deshalb prüfen wir, ob wir mit einem begrenzten Budget ein Unternehmen für digitale Anwendungen gründen. Dies kann im Alleingang geschehen oder mit anderen zusammen. Wir werden auch von kleinen neuen Technologie-start ups eingeladen, uns daran zu beteiligen. Ich bin sicher, im ersten Halbjahr werden wir Nägel mit Köpfen machen und eine solche Werkstatt starten.
Investitionen in IT verschlingen viel Geld. Und das jetzt, wo die Erträge durch die Niedrigzinsen unter Druck sind. Wo sparen Sie ein?
Uns muss ein Spagat gelingen: Auf der einen Seite müssen wir weiter sparen, auch strukturell, auf der anderen Seite wollen wir Motivation, Ideen, Kreativität, Mut und Begeisterung entfachen. Wir werden das IT-System unserer Wüstenrot Bank auslagern an ein Rechenzentrum einer Finanzdienstleistungsgruppe. Die Verträge sind unterschriftsreif. Dadurch sparen wir jährlich zehn Millionen Euro ein. An anderer Stelle schaffen wir neue Wachstumspotenziale.
Wie reagieren Wüstenrot-Kunden darauf, dass Verträge, die seit zehn Jahren zuteilungsreif sind, nun aufgelöst werden?
Es geht um Verträge, bei denen die Möglichkeit, das Darlehen in Anspruch zu nehmen, zehn Jahre lang verweigert wurde. Die Beschwerden sind überschaubar. In jedem Fall stehen wir Rede und Antwort.
Warum haben Bausparkassen ihren Kunden einen Bonus gezahlt – sie also belohnt -, wenn sie ihr Darlehen nicht in Anspruch nahmen?
Das geschah in einer vollkommen anderen Zinswelt. Die Kunden haben von dem Vertrag profitiert und in den vergangenen Jahren eine vergleichsweise hohe Rendite erzielt. Doch Bausparen ist Zwecksparen und die Bauspargemeinschaft muss geschützt werden.
Sind bei den Gesprächen mit der Politik leichtere Kündigungsmöglichkeiten für Bausparverträge auch ein Thema?
Die Erfahrungen mit der ungewöhnlich lange anhaltenden Niedrigzinsphase zwingen die Branche dazu, Bauspar-Tarife zu überdenken. Das heißt: Wir müssen das Bausparen neu erfinden. Die Flexibilität von Verträgen ist dabei ein Thema. Das kann nicht nur im Interesse des Anbieters, sondern auch im Interesse des Kunden sein. Da wir als Branche gesetzliche Vorgaben zu erfüllen haben, sind diese Themen mit der Politik zu besprechen.
Die Niedrigzinsen bleiben uns noch lange erhalten. Worauf müssen sich Sparer einstellen?
Beratung und Planung werden wichtiger. Sicherheit und Vorsorge verdienen Priorität. Sparer sollten nicht alle Eier in einen Korb legen und sich überlegen, wann sie welches Geld wofür brauchen. Auch Sachvermögen zu bilden – rund um die Immobilie – ist in Zeiten richtig, wo die Preise noch nicht übertrieben sind. Grundsätzlich gilt: Die Regierungen müssen Voraussetzungen schaffen, damit mehr investiert wird. Deutschland braucht weniger Bürokratie und eine wirtschaftsfreundliche Politik. Die Große Koalition hat jetzt ein Jahr lang etwas für die Sozialpolitik getan, 2015 muss das Jahr der Wirtschaft und der Nachhaltigkeit werden. Sonst ist der Wirtschaftsaufschwung nicht zu halten.