Reinhold Würth, der „Schraubenkönig“ von Künzelsau Foto: dpa

Kunstmäzen, Self-Made-Milliardär, Dickkopf und zeitweise vorbestraft – wenige Begriffe reichen nicht aus, den Künzelsauer Schraubenkönig Reinhold Würth zu charakterisieren. Jetzt feiert er seinen 80. Geburtstag.

Künzelsau - Wenn die Prominenz aus Wirtschaft und Gesellschaft runde Geburtstage begeht, dann kann der Auftritt meist nicht opulent genug sein. Je schwerer die Gardinen im Saal und je dicker das Kristall auf den Tischen, desto besser.

Ähnliches hätte man auch bei Reinhold Würth vermuten können, dem schwerreichen Schrauben-König aus dem Hohenlohischen, der neben vielen anderen Spielzeugen auch eine Jacht, mehrere Privatflugzeuge und ein Schlösschen sein Eigen nennt. Würth entschied sich aber anders. Seinen 80. feiert der Milliardär in der freien Schule Anne-Sophie, einem modernen, aber ziemlich nüchternen Zweckbau in Künzelsau. 500 Freunde und alte Weggefährten sind geladen. EU-Digitalkommissar Günther Oettinger und Außenminister Frank-Walter Steinmeier werden eine kurze Rede halten. Dem „Alten aus Künzelsau“ gehe es gut, heißt es aus seinem Umfeld. Nur seine Augen schwächeln langsam. Freiwillig hat er deswegen vor wenigen Wochen seinen Pilotenschein abgegeben. Den Führerschein behält er zunächst, vermutlich weil sein Chauffeur ihm sowieso selten von der Seite weicht.

Dass Würth dagegen in einer Schule feiert, in der sonst Kleinkinder umhertollen, kann man als Sinnbild verstehen. Die Jugend fasziniert ihn schon immer. „Man staunt, was in einem noch nicht so durchstrukturierten Hirn so alles an Ideen drin sein kann“, sagte er einmal verschmitzt. Das „Wachsen und Werden“ bezeichnet er gerne als wichtigste Phase des Menschseins. Die Grundlagen des Lebens würden hier gelegt. Der Charakter geformt.

Und so kann es durchaus sein, dass Würth am späten Abend, wenn sich der Trubel des Festes gelegt hat, durch die Klassenzimmer streift und sich besinnt, wie es früher war. Als er selbst jung war und die Schulbank drückte.

Viel Zeit zum Lernen hat er selbst indes nie gehabt. Seit seinem zehnten Lebensjahr arbeitete er in der väterlichen Firma jeden Nachmittag mit. Während seine Spielkameraden im kühlen Wasser der Kocher tobten, räumte der junge Reinhold Schraubenregale ein, obwohl er viel lieber „auch schwimmen“ gegangen wäre, wie er einmal wehmütig betonte.

Immerhin: Als sein Vater im Jahr 1954 überraschend an einem Herzinfarkt stirbt, ist Reinhold vorbereitet. Er übernimmt die Schraubenhandlung und bringt die Firma in Höchstgeschwindigkeit auf Expansionskurs. Dazu führt er den Direktvertrieb ein – damals eine Revolution. Mitte der 1960er Jahre expandiert Würth auf den Weltmarkt. Aus einer ersten Auslands-Dependance in den Niederlanden ist heute ein Netz von 400 Gesellschaften in mehr als 80 Ländern gewachsen. 66 000 Mitarbeiter und gut zehn Milliarden Euro Umsatz hat das Unternehmen, das von Schrauben über Kfz-Teile bis zu Bad-Armaturen fast alles liefert.

In vorderster Front steht seit damals der kleine Mann mit dem durchdringenden Blick. Der Lohn sind zweistellige Wachstumsraten seines Unternehmens, fast jedes Jahr. Damals wird die Firma Würth zum Inbegriff der Wirtschaftswunderjahre in Süddeutschland. Und ganz nebenbei zeigt ihr Chef, dass im Tüftlerland Baden-Württemberg nicht nur Ingenieure und Autobauer, sondern auch Händler und Verkäufer Erfolg haben können.

Das wirkt bis heute nach. Wer durch das Hohenloher Land reist, der wird den Namen Würth nicht mehr los. Er ziert Museen ebenso wie Kongresshallen und Produktionswerke. Dafür, dass auch die Person Würth nicht in Vergessenheit gerät, sorgt der Chef selbst. Immer wieder mischt er sich unter die „normalen Leute“, heißt es aus seinem Umfeld. Er schätzt die Hohenloher wegen ihrer Bodenständigkeit und ihres Humors. Es komme dann schon mal vor, dass er sich ein Gläschen zahlen lasse, gab er einem Journalisten einmal zu Protokoll. Dass er solvent sei und Schulden begleiche, wisse man ja.

So etwas ist typisch für Würth, den man mit Fug und Recht als Gegenmodell des bierernster schwäbischen Pietisten bezeichnen kann – ein Menschenschlag, der es im weiter südlich gelegenen Bibel-Gürtel Schwabens oft zu Ruhm und Reichtum gebracht hat. Würth dagegen ist Pragmatiker, der die irdischen Güter durchaus hoch schätzt – und sie auch auskosten will.

Anders als viele andere erfolgreiche Unternehmer der Nachkriegszeit hat es der 80-Jährige daher geschafft, loszulassen – zumindest teilweise. Bereits Mitte der 1990er Jahre – mit nicht einmal 60 Jahren – leitet er seinen Rückzug aus dem operativen Geschäft seines Imperiums ein. Er wechselte in den Würth-Unternehmensbeirat – das Kontrollorgan des Konzerns und kümmerte sich ums Große-Ganze.

Wirklich ohne den „Herrscher aller Häuser“, wie er sich selbst einmal genannt hat, geht es indes auch heute noch nicht. Ziemlich barsch meldet sich der 80-Jährige immer dann aus dem Hintergrund zu Wort, wenn es irgendwo schief läuft. Mal verbietet er seinen Außendienstlern den Gebrauch von Laptops, weil sie ihren Kunden beim Gespräch sonst nicht mehr in die Augen schauen können. Mal watscht er sie in einem siebenseitigen (!) Brandbrief ab, weil sie „miserable Umsatzzuwachsraten“ abgeliefert hätten. Sein Appell, mal früher aus dem Bett zu kommen und „die Geduld der Zentrale – also seine! – nicht zu überfordern“ schallt noch heute in den Fluren der Künzelsauer Konzernzentrale nach.

Und was ist mit dem Familienmenschen Reinhold Würth? Wenig dringt diesbezüglich an die Öffentlichkeit. Sicher ist nur, dass der Vater dreier Kinder dem verzweigten Würth-Clan phasenweise nicht uneingeschränkt über den Weg getraut hat. Als er sich aus dem Tagesgeschäft zurückzieht, beruft er an die Konzernspitze nicht seine Erben, sondern familienfremde Manager.

Durch ein verschachteltes Stiftungskonstrukt, in dem sowohl die Würths als auch die Auswärtigen vertreten sind, sorgt er für eine Art Machtbalance. Wenn einer „verrückt“ spielt, könne die andere Seite immer noch gegenhalten, lautet die in bestechender Offenheit formulierte Leitlinie Würth’scher Familien-Realpolitik.

Würth selbst widmet sich in der jüngeren Vergangenheit immer mehr Kunst und Kultur – zweifellos eine seiner größten Leidenschaften. Schon 1964 kauft er sein erstes Gemälde – einen Emil Nolde. Heute umfasst seine Sammlung, die zu den bedeutendsten in Europa zählt, 16 000 Werke. Über Jahrzehnte kauft er alles, was eine Wertsteigerung verspricht. Skulpturen von kommunistischen Bildhauern ebenso wie Ölgemälde des Mittelalters. Für die „Schutzmantelmadonna“ von Hans Holbein dem Jüngeren macht Würth 2011 geschätzte 60 Millionen Euro locker – auch für heutige Verhältnisse ein gigantischer Kunst-Deal.

Die Werke teilt er mit der Öffentlichkeit und seinen Mitarbeitern. Nicht wenige hängen in den Würth-Standorten an den Wänden. Der Eintritt zu den Museen der Familienstiftung ist gratis. Selbstzweck ist die Kunst für den Hohenloher Mäzen denn auch nie gewesen. Er sei bereit alles zu verkaufen, „um Arbeitsplätze zu retten“, sagte er einmal.

Zum dunkelsten Kapitel wurde eine Steueraffäre, die 2008 – kurz vor Würths 60-jährigem Arbeitsjubiläum – für Schlagzeilen sorgte. Nach Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen seines Konzerns ermittelt die Staatsanwaltschaft. Kosten waren zwischen seinen Konzerngesellschaften nicht korrekt verbucht worden. Um sich eine juristische Auseinandersetzung zu sparen, geht Würth auf einen Deal ein und akzeptiert einen Strafbefehl über 3,5 Millionen Euro.

Die darauf folgende Vorstrafe wegen Steuerhinterziehung wird zwar Mitte 2012 gelöscht; Würths Verhältnis zum Rechtsstaat hat die Sache aber nachhaltig erschüttert. Monatelang zieht er sich zurück, droht dann, ins Ausland abzuwandern. Mittlerweile bezeichnet er Salzburg als seine Wahlheimat.

Die Sache habe ihn „bis ins Mark getroffen“, sagte er damals und schob nach, „nie einen Cent Schwarzgeld gehabt“ zu haben. Auf die Affäre angesprochen, sagte er vor einiger Zeit: „Die Wunden sind geheilt, aber Narben sind geblieben.“

Dass diese zu seinem 80. wieder aufgerissen werden, glaubt in Künzelsau niemand. Falls doch, hat der Patriarch einen Tag später genügend Zeit, das Ganze zu verdauen. Dann feiert er da, wo er am liebsten ist. In seinem Unternehmen. Mit seinen Mitarbeitern – eine „After-Work-Party“.