Am 11. Dezember ist Schluss: Klaus Wowereit, seit 2001 Regierender Bürgermeister der Bundeshauptstadt Berlin, will zum Jahresende sein Amt aufgeben Foto: dpa

Sein Image wechselte im Lauf der Jahre. Wowereit galt als Partymeister, Zahlenexperte, Schwulen-Vorkämpfer und Tourismus-Magnet. Dann erwischte ihn die Flughafen-Krise.

Sein Image wechselte im Lauf der Jahre. Wowereit galt als Partymeister, Zahlenexperte, Schwulen-Vorkämpfer und Tourismus-Magnet. Dann erwischte ihn die Flughafen-Krise.

Berlin - Manche Dinge sind dann doch größer als das eigene Amt. Und wenn es nur ein Pokal ist, wenn auch ein ganz besonderer. Obwohl: Gerade hat Klaus Wowereit noch gesagt, Regierender Bürgermeister von Berlin zu sein sei „eine der größten Aufgaben in der deutschen Politik“. Eine Aufgabe, von der Wowereit schweren Herzens bald lassen wird.

Im Juli, so erzählt er es jetzt, habe er eigentlich schon seinen Rücktritt ankündigen wollen, aber da sei über Deutschland just ein vierter Stern aufgegangen – nach dem Titelgewinn bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Irgendwo auf dem Beipackzettel im Gefolge des nationalen Jubelrausches wollte er dann seine Rücktrittserklärung auch nicht vermerkt sehen. Also wartete er.

Aber jetzt, gut sechs Wochen später, schien ihm der richtige Zeitpunkt. Wowereit sitzt im überfüllten Saal 319 des Roten Rathauses und lässt in dieser Mittagsstunde gut 100 Journalisten zumindest für einige Sekunden an seinem Gefühlsleben teilhaben. Er hat Tränen in den Augen, als er spricht. „Ich gehe freiwillig“, betont er und schiebt hinterher, dass er „stolz“ darauf sei, seinen Beitrag „für diese Stadt, für meine Stadt“ geleistet zu haben. Wunderbar, dass er sein „größtes Hobby auch zu meinem Beruf“ habe machen können: Politik für Berlin, insgesamt 40 Jahre, davon 30 Jahre hauptberuflich.

Bald geht diese Ära zu Ende. Bald geht Wowereit. Doch bis es so weit ist, lässt er sich selbst, seiner Partei, der SPD, und auch der Stadt Berlin noch ein bisschen Zeit. Was ab heute kommt, sind die Abschiedswochen des Klaus W., Rechtsanwalt, noch 60 Jahre alt, Machtpolitiker durch und durch. Einer, der die Macht nie teilen wollte. Und einer, der sich als erster prominenter Politiker in Deutschland zu seiner Homosexualität bekannte, bevor es der Boulevard getan hätte.

Zwei Sätze von Klaus Wowereit werden bleiben. Mit dem einen, immer wieder zitierten, wurde er 2001 berühmt: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Der andere Satz, einige Jahre später, prägt bis heute das Image seiner Heimatstadt: Berlin sei „arm, aber sexy“. Die beiden Äußerungen markieren zwei Erfolgsgeschichten der politischen Karriere Wowereits, die auch bemerkenswerte politische Fehler und Niederlagen aufweist.

Auf das Etikett „schwuler Politiker“ wollte sich Wowereit nach seinem Amtsantritt im Sommer 2001 nicht festlegen lassen. Im Lauf der Jahre genoss er den Jubel der schwul-lesbischen Szene bei Auftritten auf CSD-Paraden aber genauso wie die Schwärmerei der Partyszene, die ihn gerne umringte.

Am 11. Dezember dieses Jahres, wenn sich Klaus Wowereit endgültig aus der aktiven Politik verabschieden will, wird er 13 Jahre und sechs Monate Regierender Bürgermeister von Berlin gewesen sein. Prädikat: dienstältester Ministerpräsident der Republik. Ein „Kopfmensch“ sei er, einer, der die Dinge rational wäge. Und so sei auch die Ankündigung seines Rücktritts keine Bauchentscheidung gewesen, obwohl der „Bauchumfang im Amt gewachsen“ sei, sagt er selbstironisch.

In den zurückliegenden Monaten habe es „ziemlich viele Spekulationen“ über seine Amtszeit gegeben: Hört er auf? Oder kandidiert er noch mal? Wowereit wollte seinen Abgang selbst bestimmen. Das war sein Ziel. Die Dinge selbst in der Hand zu behalten, so wie er es auch in den von ihm geführten Landesregierungen immer gerne gemacht hat.

Ein großes politisches Tabu brach Wowereit 2001, als er eine Koalition mit der damaligen PDS einging, der SED-Nachfolgerin aus der DDR. Der damalige öffentliche Aufschrei ist heute kaum mehr vorstellbar. Dass die Koalition zehn Jahre hielt, gibt Wowereit im Nachhinein recht. Zweimal koalierte er mit der damaligen PDS und heutigen Linken. Nie mit den Grünen. Seit 2011 führt er eine Große Koalition mit der CDU als Partner.

In Berlin war Wowereit zunächst als harter Haushaltssanierer und Zahlenexperte angetreten. Mit seinem Finanzsenator und Parteifreund Thilo Sarrazin, der sich später als Bestsellerautor und mit Thesen über Einwanderung viele Feinde machte, sorgte er für einen neuen Kurs in der hoch verschuldeten Hauptstadt.

Erst nach und nach entdeckte Wowereit die bundesweite und internationale Beliebtheit Berlins, die er nach Kräften unterstützte. Hier spürte er den Erfolg, die Touristenzahlen stiegen Jahr für Jahr.

Gleichzeitig lernten die Berliner immer wieder Wowereits anstrengende Seiten kennen. Neben dem charmanten Plauderer, der keiner Umarmung mit älteren Damen der SPD-Basis aus dem Weg geht, gibt es auch den arrogant-schnoddrigen und rücksichtslosen Wowereit, der anderen über den Mund fährt.

Aus einfachen Verhältnissen hatte sich das jüngste Kind einer Putzfrau nach oben geboxt. Nach dem Jura-Studium folgte die SPD-Karriere: Kommunalpolitiker, Bildungsstadtrat, Abgeordneter, Fraktionsvorsitzender, Regierender Bürgermeister. Bundespolitisch gelang es Wowereit, zum stellvertretenden SPD-Vorsitzenden aufzusteigen. Eine wirklich wichtige Rolle spielte er auf der Ebene aber nie.

An diesem Dienstag zeigt der Kopfmensch Wowereit noch einmal Emotionen. „Ja, das muss ich zugeben.“ Mehr als eine Träne habe er im Knopfloch. Der Hierarchie nach runter informierte er nach eigenen Angaben die relevanten Personen über seinen bevorstehenden Rücktritt. Erst den SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel, dann SPD-Landeschef Jan Stöß und den Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh. Schließlich auch die CDU. „Na, ich gehe mal davon aus, dass sie damit nicht gerechnet haben und sehr überrascht waren“, sagt Wowereit zur Reaktion beim Koalitionspartner.

Jetzt muss ein Nachfolger für Wowereit her. Die Gremien der Berliner SPD sind gefragt. Wowereit hat bewusst einen Zeitraum von gut drei Monaten bis zu seinem Abgang gelassen, damit die Genossen entscheiden können. Ein Mitgliederentscheid sei möglich. Wer es werden könnte? Wowereit nennt keine Namen, dankt aber ausdrücklich Fraktionschef Saleh für dessen Loyalität. Den Namen von Landeschef Stöß erwähnt er nicht. Ohne Worte.

Ja, es gab in gut 13 Jahren Siege und Niederlagen. „Bei Erfolgen warn se alle da“, sagt er schmunzelnd. Misserfolge gab Wowereit nicht gerne zu. Dabei ließ die wirtschaftliche Entwicklung Berlins abgesehen vom Tourismus zu wünschen übrig. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau. Die größte Krise seiner Amtszeit war aber sicher die immer wieder verschobene Eröffnung des Pannenflughafens Berlin-Brandenburg. Eröffnungstermin ungewiss.

Am 11. Dezember also will Wowereit übergeben. Einen Tag später hat Flughafen-Chef Hartmut Mehdorn einen Auftritt: Dann will er den nächsten Eröffnungstermin nennen. Wowereit ist da nicht mehr im Amt. In diesem Fall ist es ihm noch nicht mal unrecht.