Kann ein Wirtschaftslobbyist gleichzeitig das ganze Volk vertreten? Der frühere Europaminister Wolfgang Reinhart (CDU) sieht darin kein Problem Foto: dpa

Kann ein Wirtschaftslobbyist gleichzeitig das ganze Volk vertreten? Der frühere Europaminister Wolfgang Reinhart sieht darin kein Problem. Seit Anfang Februar wirbt er für den Mittelstand. Kritiker sehen darin Konfliktpotenzial.

Stuttgart - Der CDU-Landtagsabgeordnete und frühere Europaminister Wolfgang Reinhart vertritt künftig die Interessen des Mittelstands. Wie er unserer Zeitung bestätigte, arbeitet er seit Anfang Februar als einer von zwei Bundesgeschäftsführern des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) mit Sitz in Berlin.

Die Vertretung von mehr als 270 000 Unternehmen mit mehr als neun Millionen Beschäftigten sieht ihre Aufgabe unter anderem in der „aktiven Lobbyarbeit auf allen Ebenen“.

In grün-roten Regierungskreisen wird diese Doppelfunktion kritisch kommentiert, zumal Reinhart auch künftig aktiv in der Landespolitik bleiben will. Der CDU-Kreisverband Main-Tauber hat ihn vor kurzem erneut als Kandidaten für die Landtagswahl 2016 nominiert. Sein früherer Fraktionskollege Dietrich Birk, so heißt es, habe sein Mandat mit dem Wechsel zum Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau niedergelegt.

Aber auch unabhängige Beobachter der parlamentarischen Szene sehen die Doppelfunktion kritisch. „Die neue Aufgabe von Wolfgang Reinhart ist ein bezahlter Lobbyjob“, sagt Christina Deckwirth von der Kölner Initiative Lobbycontrol, „damit ist Herr Reinhart Diener zweier Herren: Einerseits ist er seinen Wählerinnen und Wählern verpflichtet, andererseits erhält er Geld dafür, dass er die Interessen eines Wirtschaftsverbands vertritt.“

"Gefährdet Unabhängigkeit des Landtagsabgeordneten"

Das sei ein klarer Interessenkonflikt, der „die Unabhängigkeit des Landtagsabgeordneten gefährdet“, so Deckwirth. Bezahlte Lobbyisten hätten weder im Bundestag noch in Landtagen etwas zu suchen, so das Fazit der Organisation, die seit vielen Jahren Macht- und Einflussstrategien aufzudecken versucht.

Reinhart selbst sieht in der Doppelfunktion hingegen keinerlei Konfliktpotenzial. „Es besteht keine Interessenkollision, denn der BVMW vertritt ja keine Einzelinteressen, sondern die der mittelständischen Wirtschaft insgesamt, und dieses Thema ist durchweg positiv besetzt“, sagte er unserer Zeitung. Mit der Landespolitik gebe es auch keine Berührungspunkte, er sei vielmehr europaweit tätig.

„Mein Engagement wird überall unglaublich positiv aufgenommen, ich höre überhaupt keinen kritischen Einwand“, sagte der Abgeordnete. Er habe die neue Aufgabe auch ausdrücklich vor der Nominierung zum Landtagskandidaten bekanntgegeben – und sei von der CDU im Main-Tauber-Kreis mit fast 97 Prozent gewählt worden.

Zeitlicher Aufwand: Kein Problem (?)

Reinhart sieht auch kein Problem darin, seine neue Tätigkeit als Bundesgeschäftsführer (mit dem Zuständigkeitsbereich Politik) zeitlich mit seinem Landtagsmandat in Einklang zu bringen. Es handle sich um einen Teilzeitjob: „Ich bin in der Ausgestaltung meiner Arbeit völlig frei.“

Zu Zeiten als Minister mit wechselnden Einsatzorten von Berlin über Stuttgart bis Brüssel habe er eine viel größere zeitliche Belastung gehabt, als dies künftig der Fall sein werde, sagt er. Wie viel Zeit er künftig in Berlin verbringe, werde sich aber erst auf der Strecke zeigen. Reinhart wird daneben von der Tauberbischofsheimer Kanzlei Reinhart – Kober – Großkinsky als einer von mehreren Rechtsanwälten genannt.

In der öffentlichen Diskussion ziehen Abgeordnete und frühere Regierungsmitglieder immer wieder Kritik auf sich, weil sie nach einer mehr oder weniger langen Übergangsfrist in die freie Wirtschaft oder zu Interessenverbänden wechseln – zuletzt die CDU-Bundestagsabgeordnete Katherina Reiche, die zum Verband Kommunaler Unternehmen wechselt.

Ein neues Gesetz sieht jedoch vor, dass künftig zwölf Monate Karenzzeit zu beachten sind. Der Landtag kennt solche Regeln nicht. Da Reinhart sein Ministeramt aber schon 2011 aufgegeben hat, spielte dies bei ihm ohnehin keine Rolle.

Laut Offenlegungsregeln muss Reinhart seinen neuen Job aber dem Landtagspräsidenten anzeigen. Dies sei bisher noch nicht geschehen, heißt es bei der Pressestelle.